© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/24 / 15. November 2024

Von der Staatshand in Familienhand
Stahlindustrie: Günter Papenburg und Remondis-Tochter TSR Recycling wollen traditionsreichen Salzgitter-Konzern kaufen
Christian Schreiber

Es gibt doch noch Unternehmer, die sich was trauen. Günter Papenburg zählt zweifelsohne dazu. Der norddeutsche Bauunternehmer kann im Alter von 85 Jahren auf ein beachtliches Lebenswerk zurückblicken. Zu seinem Firmenverbund gehören 61 Gesellschaften und möglicherweise bald ein prominenter Name: Papenburg greift überraschend nach der Mehrheit beim Stahlmittelständler Salzgitter AG. Er erwägt, ein Angebot über den Kauf der Aktien gemeinsam in einem Konsortium mit der westfälischen TSR Recycling zu machen. Die Gespräche befänden sich noch in einem frühen Stadium, teilte Papenburg mit. Ziel sei es, die „Transformation der Salzgitter AG hin zum grünen Stahl abzusichern“.

Das Land Niedersachsen sei informiert worden, da es weiterhin als langfristiger Salzgitter-Mitgesellschafter der Salzgitter AG angesehen werde. Papenburg und TSR wollen mindestens 45 Prozent der Anteile über eine freiwillige Offerte übernehmen. Damit würde das Konsortium das Land Nieder­sachsen als derzeit größten Aktionär (26,5 Prozent) ablösen. Die rot-grüne Landesregierung hielt sich bislang bedeckt. Ministerpräsident Stephan Weil äußerte sich in einer Landtagssitzung zum Thema Industrie eher nebenbei. Grundsätzlich wolle man weiter an der Beteiligung festhalten: „Von uns aus, das will ich deutlich sagen, sehen wir keinen Bedarf, die Anteilsverhältnisse zu ändern“, sagte Weil.

Klima-Transformation trotz Umsatz- und Gewinnrückgang?

Er bestätigte, daß die Salzgitter AG, deren Aktienkurs gefallen war, sich in einem schwierigen Marktumfeld befindet. Die Umstellung auf „klimaneutrale“ Stahlproduktion sei „ambitioniert“. Man bewerte die Firma aber als „erfolgreich und stabil“. Der SPD-Politiker sagte aber auch: „Wir werden uns nun – wie es geboten ist – mit dem einstweilen erwogenen, aber bisher nicht konkretisierten Angebot sachlich auseinandersetzen, denn selbstverständlich ist ein solches Angebot an die Aktionäre rechtlich möglich und natürlich legitim.“

Kurz nach der Nachricht über die Kaufabsichten legte die Aktie im nachbörslichen Handel deutlich zu. Die Salzgitter AG hatte vor einigen Wochen ihre Umsatzprognose für das laufende Geschäftsjahr nach unten korrigiert und eine Gewinnwarnung herausgegeben. Konzernchef Gunnar Groeb­ler sprach von „herausfordernden Zeiten“, man wolle aber am Umbau zu einer „klimafreundlichen“ Stahlproduktion festhalten. „An der Transformation führt nach meiner Überzeugung kein Weg vorbei“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Groebler fordert vom Bund, bessere Rahmenbedingungen für Strom und große Mengen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen zu schaffen.

Der Stahlproduzent leidet wie die gesamte Branche unter hohen Energiepreisen und schwacher Nachfrage. Bereits vor Monaten kündigte das Unternehmen ein Sparprogramm an. Das Ergebnis des ersten Halbjahres brach im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 429,3 auf 233,6 Millionen Euro fast um die Hälfte ein. Gleichzeitig investiert Salzgitter dennoch in den Aufbau einer angeblich klimaneutralen Direktreduktionsanlage als Ersatz für Hochöfen am Standort Salzgitter, aber auch in den Bau von zwei Elektrolichtbogenöfen. Für dieses Projekt erhält die Salzgitter AG eine Subvention von Bund und Land von einer Milliarde Euro. Doch wer soll den so extrem verteuerten Stahl kaufen?

In der Vergangenheit hatte es Überlegungen für eine Deutsche Stahl AG unter Beteiligung von Thyssenkrupp und Salzgitter gegeben. Bei Salzgitter waren solche Ideen stets auf Ablehnung gestoßen. Zu den Übernahmeplänen von Papenburg hielt sich das Unternehmen bislang eher zurück. Lediglich der Betriebsrat meldete sich mit Drohgebärden zu Wort. Die Avancen von Papenburg kommen überraschend. Aber für Überraschungen war der Selfmade-Multimillionär schon immer gut. Aus einem 1963 gegründeten Fuhrbetrieb mit gebrauchten Krupp-Lkws und einer Hanomag-Planierraupe ist die weitverzweigte GP Günter Papenburg AG entstanden – ein Mischkonzern mit Firmen aus der Bauwirtschaft, Speditionen, Lieferanten von Beton und Baumaschinen, Recycling- und Entsorgungsspezialisten. Papenburg selbst mag das Wort Konzern nicht und spricht lieber von einem „Kompetenznetzwerk“, das er gemeinsam mit seinen Kindern führe. Aufsichtsratschef bei der AG ist der ehemalige Salzgitter-Chef Heinz Jörg Fuhrmann.

Mit an Bord bei seinem Vorhaben ist ein weiteres Familienunternehmen. TSR ist eine Tochter des Entsorgungsunternehmens Remondis, das zur Gruppe der Rethmann-Familie gehört. Allein Remondis setzte voriges Jahr 12,1 Milliarden Euro um, innerhalb des Unternehmens ist TSR auf Stahlschrott-Wiederaufbereitung spezialisiert. Die Rethmann-Gruppe beschäftigt weltweit rund 100.000 Mitarbeiter und ist damit deutlich größer als Papenburgs Unternehmensgruppe.

„Richtungsentscheidung hin zu grünem Stahl“ müsse bleiben

In Hannover galt der Millionär lange als eine Art graue Eminenz, der einerseits öffentlichkeitswirksame Ämter wie den Vorsitz eines Eishockey-Bundesligisten übernahm, andererseits aber zurückgezogen lebte. Nun tritt er mit einem Vorhaben an die Öffentlichkeit, das der Politik nicht unbedingt gefallen könnte. Aus Sicht von Papenburg und TSR macht eine Übernahme durchaus Sinn. Für die Politik ist sie heikel. Überlegungen, Thyssenkrupp Steel Europe und Salzgitter in einer deutschen Stahl-AG zusammenzufassen, wären so wohl endgültig vom Tisch. Interessanterweise hatte Felix Banaszak, der am Wochenende zu einem der Grünen-Vorsitzenden gewählt werden will, kürzlich solche Überlegungen wieder ins Spiel gebracht.

Nun wächst die Angst, eine neue Mehrheitsstruktur könnte die Ausrichtung hinsichtlich der „Klimaneutralität“ beeinflussen. „Wir sind von der Richtungsentscheidung der Salzgitter AG hin zu grünem Stahl nach wie vor fest überzeugt und möchten das Unternehmen auf diesem zukunfts­orientierten Weg auch weiter konstruktiv begleiten“, teilte das Finanzministerium in Niedersachsen mit.

www.salzgitter-ag.com/de/investor-relations

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Foto: Günter Papenburg vor Industrieruine in Hannover: Immer für neue Überraschungen gut