© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/24 / 15. November 2024

Meloni gegen die „politisierte Richterschaft“
Italien: Um die Migration einzudämmen, greift die Regierung zu harten Maßnahmen / Die Gerichte machen einen Strich durch die Rechnung
Fabio Collovati

Zur besten Sendezeit platzte Giorgia Meloni der Kragen. Die Ministerpräsidentin nutzte die Sendung „Porta a porta“ („Tür an Tür“), um ihrem Frust über die italienische Justiz Luft zu machen. Hintergrund sind Gerichtsurteile in Rom,  Bologna, Catania und Palermo gegen Melonis rigide Migrationspolitik.

Ein römisches Gericht entschied kürzlich, Bangladesch und Ägypten seien keine sicheren Länder.  Die Richter beriefen sich auch auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs von Anfang Oktober. Im Kern geht es darum, daß ein Land die Kriterien nur erfüllt, wenn es für alle und im gesamten Staatsgebiet sicher ist. „Teilweise Sicherheit“ gebe es nicht, stellte das Gericht fest.  

Nun hat ein Gericht der norditalienischen Stadt Bologna einen Antrag an den Europäischen Gerichtshof gestellt, dieser möge doch genau definieren, was ein sicheres Herkunftsland sei. Und in der sizilianischen Stadt Catania hob ein Gericht inzwischen die Unterbringung von fünf Asylwerbern aus Bangladesch und Ägypten in einer Flüchtlingseinrichtung in Pozzallo auf Sizilien auf. Das gleiche passierte mit zwei Migranten in Palermo. 

Die Begründung der Richter lese sich wie ein Flugblatt von Linken, giftete die Regierungschefin in der TV-Sendung. Das ist starker Tobak, gehört aber in Italien zum guten Ton. Meloni macht seit Jahren kein Geheimnis daraus, daß sie einen Teil der Justiz in Italien nicht mag. Zu links, zu ideologisch seien viele Richter und Staatsanwälte, erklärt sie bei jeder Gelegenheit. 

Künftige Richter sollen sich psychologischen Tests unterziehen

Meloni und ihre nationalkonservative Regierung hatten geplant, Migranten nach Albanien zu bringen und dort über deren Asylanträge entscheiden zu lassen. „Gegen diese Regelung“, kritisierte Meloni, „hat eine gewisse politisierte Richterschaft mobilisiert, die begonnen hat, die Vorschrift nicht anzuwenden“. Die Richter torpedierten den Plan und holten die Migranten aus Albanien wieder zurück nach Italien.

Als Konsequenz will die Regierung künftig Staatsanwälte und Richter auf den Prüfstand stellen. Bewerber für diese Posten sollen sich ab 2026 psychologischen Tests unterziehen. „Ein Angriff auf den Rechtsstaat“, schrieben einige Medien umgehend. Richterpräsident Giuseppe Santalucia unterstellte Meloni, sie wolle die Glaubwürdigkeit der Justiz untergraben: „Ich bin überzeugt, daß es eine Vorschrift ist, die der öffentlichen Meinung suggerieren soll, die Richter müßten stärker kontrolliert werden.“

Die Ministerpräsidentin gibt sich unterdessen kämpferisch. „Ich bin davon überzeugt, daß das Abkommen mit Albanien für die Flüchtlingslager richtig ist, weil es ein Grundpfeiler ist. Deshalb gibt es auf europäischer Ebene so viel Aufmerksamkeit“, erklärte sie während der TV-Debatte und fügte hinzu:  „Ich werde alles tun, damit die Absprache funktioniert. Die Strategie der Regierung funktioniert, denn die Zahl der Bootsflüchtlinge geht zurück, und wir zeigen, daß wir diesem Phänomen Einhalt gebieten können.“ Folgerichtig schickte sie wenige Tage später ein neues Boot mit Asylbewerbern nach Albanien – die aber kurz darauf erneut von einem Gericht in Rom zurückbeordert wurden.

 Für das Ansinnen des Gerichts aus Bologna, eine Prüfung auf europäischer Ebene herbeizuführen, hatte sie nur Hohn und Spott übrig: „Das ist eher ein Propagandaakt, denn ein Gerichtsvorstoß. Ich denke, daß jemand das Ziel verfolgt, den Kampf gegen die illegale Migration zu torpedieren“, sagte Meloni und erklärte, sie habe wegen des Vorhabens Morddrohungen von Menschenhändlern erhalten: „Aber das zeigt, daß unsere Maßnahmen abschreckend sind.“ Innenminister Matteo Piantedosi (parteilos) erklärte , man werde bis zur höchsten Gerichtsinstanz gehen, um die Entscheidung zur Einrichtung eines Aufnahmezentrums auf albanischem Boden zu verteidigen. Es sei Aufgabe der Politik und nicht der Richter zu entscheiden, ob ein Herkunftsland eines Migranten sicher ist oder nicht, erklärte er gegenüber dem staatlichen TV-Sender RAI.

Die Entscheidung der Richter von Bologna trägt mittlerweile Züge eines Schauspiels. Die Fraktionsvorsitzende von Melonis Regierungspartei im Stadtparlament fragte, woher die Richter die Kompetenz für ihr Urteil über derlei politische Dinge nähmen. „Es fehlt ihnen schlicht an Kompetenz.“ 

Aufgrund ihres Kampfs gegen die Mafia bekamen Richter in Italien in den vergangenen Jahrzehnten weitreichende Befugnisse und genießen im Volk hohes Ansehen. Schon Silvio Berlusconi, erster rechter Ministerpräsident des Landes, war das ein Dorn im Auge. Er bezeichnete die Richter schon mal als „Krebsgeschwulst“ und „Gesindel“. Meloni drückt sich gewählter aus. Ihr Koalitionspartner von der rechten Lega, Matteo Salvini, wird deutlicher: „Schlimmer als Sackratten“ seien die Richter. In Italien mag man es halt gerne deftig.