Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) läuft die Zeit davon. Anfang Februar muß seine neue Regierung vereidigt sein, sonst gibt es Neuwahlen. Und die scheut der Christdemokrat angesichts des Stimmungsbildes im Land mehr noch als eine Minderheitsregierung, zu der er aktuell verdammt zu sein scheint. Zu groß wäre bei einem erneuten Urnengang die Gefahr, daß die AfD die Sachsen-Union in der Wählergunst überflügelt, die man am 1. September noch knapp auf Platz zwei verweisen konnte.
Die Brandmauer nach rechts und zur Linkspartei steht im Freistaat. Derart eingeengt hat Kretschmer für eine Regierungsbildung schlechte Karten. Die aus seiner Sicht tragbarste Variante, eine Koalition der Union mit SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ist nach ersten gemeinsamen Sondierungsgesprächen überraschend gescheitert. Die Positionen in Sachen Friedens-, Migrations- und Finanzpolitik würden zu weit auseinanderliegen, erklärte die BSW-Landesvorsitzende Sabine Zimmermann und bezog sich dabei ausdrücklich auf die SPD, die sich „ideologisch eingemauert“ habe. Lediglich ein Zweierbündnis mit der CDU hält man beim BSW für möglich, aber das will Kretschmer nicht. Wenn er schon mit der neuen Partei aus Ex-Mitgliedern der Kommunistischen Plattform und ehemaligen Genossen der SED-Nachfolgepartei paktieren muß, dann sollen auch die ihm vertrauten Sozialdemokraten als Juniorpartner dabeisein. Es dürfte ihm auch wenig geschmeckt haben, daß die selbstbewußte Zimmermann für ihre Partei gleich mehrere Schlüsselministerien verlangt hatte: Inneres, Finanzen, Wirtschaft, Soziales und Gesundheit.
„Bequem wird das natürlich nicht“
Doch die Dreierkoalition aus CDU, BSW und SPD ist vom Tisch, ein Bündnis allein mit dem BSW würde aber auch nur 56 Sitze bringen. Bliebe theoretisch die Möglichkeit, daß sich die CDU neben SPD noch Grüne und Linke (sechs Abgeordnete) dazuholt, was 64 Stimmen und damit eine Mehrheit im Landtag bedeuten würde. Aber daß er mit den Grünen in Sachsen nichts mehr zu tun haben will, hat Kretschmer im Wahlkampf überdeutlich betont. Und eine Koalition mit der Linkspartei hat die CDU ausgeschlossen.
„Die Stabilität Sachsens bleibt meine Priorität“, schreibt Kretschmer: „Ich werde alles dafür tun, um für unseren Freistaat eine handlungsfähige Regierung zu bilden. Dabei muß aber klar sein: Das Land und seine Menschen stehen immer an erster Stelle. Das ist mein Maßstab.“ Rein rechnerisch müßte das bedeuten, daß Sachsens CDU-Chef Verhandlungen mit der AfD aufnimmt. Das würde ihm eine satte Mehrheit im Parlament bescheren. Eine derartige Koalition könnten sich sogar namhafte CDU-Politiker vorstellen.
Aber nicht nur wegen der Brandmauer-Doktrin ist das mit Kretschmer nicht machbar. Denn daß er von der AfD einmal als „Volksverräter“ geschmäht wurde, hat sich im Gedächtnis des gebürtigen Schlesiers eingebrannt. Ganz allein will er mit seiner CDU und ihren 41 Abgeordneten aber nicht regieren. Ein Zweierbündnis aus CDU und SPD käme also auf 51 von 120 Stimmen im Landtag, würde aber vom BSW nicht toleriert werden, auch wenn es zumindest mit der CDU etliche Schnittmengen gäbe.
Die Verhandlungen mit der Union würden zwar wegen der in vielen Punkten unterschiedlichen Positionen „schwierig werden, aber wenn wir uns anstrengen und es schaffen, uns auf Sachsen zu konzentrieren, ist eine Regierungsbildung vor Weihnachten denkbar“, sagte SPD-Landeschef Henning Homann der Freien Presse. Strittig sind immer noch der Umgang mit Einwanderern sowie die von der SPD geforderte Lockerung der Schuldenbremse. Für all das müßten jenseits von CDU und SPD mindestens zehn Stimmen anderer Abgeordneter gewonnen werden. „Bequem wird das natürlich nicht, aber das Beste für Sachsen“, findet Ulrich Link, Sprecher der konservativen Heimatunion innerhalb der Sachsen-CDU. Er sei überzeugt, daß jeder einzelne Punkt des Regierungsprogramms eine Mehrheit finden werde und zwar ohne die bisher nötigen nachteiligen Kompromisse.
CDU-Fraktionsvorsitzender Christian Hartmann ist sich dagegen sicher, daß es ohne Kompromisse nicht gehe, schließt im gleichen Atemzug Absprachen mit der AfD aus und setzt auch nicht allein auf die SPD: Die Diskussion sei noch nicht abgeschlossen, es bleibe auch die Option, „es allein zu versuchen“.