© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 47/24 / 15. November 2024

Von Fülle zu Hülle
Parteitag: Grüne wählen neue Führung und küren den Kanzlerkandidaten. Umfragen setzen die Partei eher auf Diät
Christian Schreiber

Nein, man kann den Grünen nun wirklich nicht vorwerfen, sie hätten sich um Neuwahlen gerissen. Nachdem das Aus der Ampel verkündet war, trat Wirtschaftsminister Robert Habeck mit betretener Miene vor die Kameras. Vor gut drei Jahren, als der Bundestagswahlkampf begann, lagen die Grünen bei rund 20 Prozent der Stimmen. Das Wahlergebnis fiel deutlich schlechter aus. Doch diesmal krebst die Öko-Truppe, die sich einst schon auf dem Weg zur Volkspartei wähnte, knapp oberhalb  der Zehnprozentmarke herum.

Am Wochenende versammeln sich die Delegierten zum Bundesparteitag in Wiesbaden. Nach dem angekündigten Rückzug der Doppelspitze Ricarda Lang und Omid Nouripour wird dann gleich der gesamte Vorstand neu gewählt. Es gilt als ausgemacht, daß Franziska Brantner und Felix Banaszak das neue Tandem in der ersten Reihe bilden werden. Banaszak ist seit 2021 Abgeordneter der Grünen im Bundestag, war Chef der Grünen Jugend und Landesvorsitzender der Grünen in Nord-

rhein-Westfalen. Der 35jährige übernimmt im Quotensystem der Partei den Part männlich und linker Flügel. Realo-Frau Brantner sitzt seit 2013 im Bundestag und ist Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium von Ressortchef Habeck. Nach dem Motto „Es ist mir egal, wer unter mir Parteichef ist“, hat das grüne Alpha-Männchen damit gleich einen verlängerten Arm im Parteivorstand. Außer Frage steht ohnehin, daß Habeck Star des Parteitags sein wird. Am vergangenen Freitag gab er bekannt, daß er als Spitzenkandidat in den kommenden Wahlkampf ziehen möchte. 

Formell muß das am Wochenende noch beschlossen werden, doch ernsthafter Widerstand dürfte sich dagegen nicht regen. Viel interessanter wird die Frage sein, ob es Habeck gelingt, seine Agenda durchzusetzen. Als Wirtschaftsminister ist seine Bilanz dürftig. Das mißlungene Heizungsgesetz geht auf seine Kappe, für die allgemeine schlechte wirtschaftliche Lage kann er nur bedingt etwas. Habeck will weiter regieren, daran hat er nie einen Zweifel gelassen. Er sieht sich selbst als bestmöglichen Regierungschef, tritt daher offiziell auch als Kanzlerkandidat an. Doch er weiß, daß ihm abermals bestenfalls die Rolle des Juniorpartners bleiben wird. Dafür muß er flexibel sein, darf weder SPD, aber vor allem die Union nicht verschrecken. In Fragen der Migration ist er innerhalb der Ampel Sozialdemokraten und Liberalen sehr nahe gekommen. Viele vom linken Parteiflügel haben ihm das übelgenommen. 

Daher verspricht der Parteitag Spannung. Denn die Themen sind kein Geheimnis. Schon Wochen vorher konnten die Parteimitglieder mit einer Onlinebefragung aus 88 Anträgen die zehn wichtigsten auf die Tagesordnung hieven. Gleich zwei Anträge des Europaabgeordneten Erik Marquardt vom linken Flügel haben es geschafft. Marquardt gilt selbst in den eigenen Reihen als Flüchtlings-Lobbyist, wendet sich strikt gegen Grenzkontrollen. Der Gegenantrag eines grünen Landrats aus Hessen, der zum realpolitischen Flügel gehört, hat es dagegen nicht auf die Tagesordnung geschafft. 

Habeck muß den linken Parteiflügel bei Laune halten

Die Realos wollen ihr Glück nun mit Änderungs- und Dringlichkeitsanträgen versuchen. Ausgang ungewiß. Top-Thema wird nach dem Wunsch der Basis aber die Finanzpolitik sein. „Gerechtigkeit statt Spardiktat: Für eine faire Finanzpolitik, die die Großen nicht laufen läßt“, heißt der Antrag, der vor allem für Spitzenkandidat Habeck heikel werden könnte. Schließlich enthält er Forderungen nach massiven Investitionen in soziale Gerechtigkeit, Infrastruktur und Klimaschutz, anstatt auf Sparmaßnahmen zu setzen. Habeck ist an der Basis nicht unumstritten. Verübelt wird ihm bereits, daß im fünfköpfigen Kern-Team seiner Kampagne nur eine Frau bei vier Männern ist. Der Spitzenkandidat wird also einen schwierigen Spagat machen müssen. Einerseits braucht er eine geschlossene Partei, um vernünftig Wahlkampf führen zu können, andererseits darf er mit allzu schrillen Forderungen die Union nicht noch mehr verschrecken.  

Spannend wird auch sein, ob die Mitglieder dem Personaltableau der Oberen folgen werden. So sollen der bisherige Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Sven Giegold und der aus Thüringen stammende Heiko Knopf jeweils als stellvertretende Bundesvorsitzende kandidieren. Giegold ist Habecks Mann, um den linken Flügel bei Laune zu halten. Menschlich stehen sich die beiden näher als politisch. Knopf, der bisher bereits Stellvertreter war, bewirbt sich als Stimme der brachliegenden Ostverbände. Die bisherige Stellvertreterin Pegah Edalatian soll neue Politische Geschäftsführerin werden. Die dezidierte Linke müßte als Sprachrohr nach außen mit Habeck im Wahlkampf harmonieren. Das könnte spannend werden.