Vor 100 Jahren, in der Landsberger Festungshaft, begann Adolf Hitler mit der Abfassung seiner Bekenntnis- und Propagandaschrift „Mein Kampf“. Diese bis 1927 in zwei großformatigen Bänden erschienene „Bibel des Nationalsozialismus“ erreichte bis zum Sommer 1939 eine deutschsprachige Auflage von 5,3 Millionen Exemplaren. In den zwei Jahren bis zum Beginn des Rußlandfeldzuges im Juni 1941 wurden noch einmal 1,8 Millionen Exemplare gedruckt. Auf diese Auflagen konzentriert sich der Münchner Militärhistoriker Roman Töppel, um zu prüfen, ob programmatische, die Sowjetunion und die bolschewistische Herrschaft betreffende Aussagen Hitlers mit Rücksicht auf den am 23. August 1939 geschlossenen deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, den anschließenden Grenz- und Freundschaftsvertrag sowie das Wirtschaftsabkommen vom Februar 1940 revidiert wurden (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 4/2024).
Es erfolgten keine politischen Anpassungen der Passagen
Vor allem zwei zentrale Ideologeme hätten Moskau zuliebe diplomatischer formuliert, wenn nicht ganz entfernt werden können. Erstens die Botschaft, im Kreml regiere der „Abschaum der Menschheit“. Mit solchen „blutbefleckten, gemeinen Verbrechern“, den Vertretern des Weltjudentums, dürfe Deutschland bei Strafe seines Untergangs kein Bündnis schließen. Zweitens die außenpolitische Zielsetzung, daß dieser „Todfeind“ eines nationalsozialistischen Reiches zu liquidieren, sein Territorium als deutscher „Lebensraum im Osten“ zu erobern sei. Ohne Zweifel hätten es diese Passagen sein müssen, die mit Rücksicht auf die deutsch-sowjetische Annäherung als erste der Zensur zu opfern gewesen wären. Doch nichts dergleichen geschah. Die Sowjetführer figurierten bis 1941 auch in den neuen Auflagen von „Mein Kampf“ als „blutbefleckte gemeine Verbrecher“ und Exponenten der „jüdischen Weltbolschewisierung“.
Inhaltlich verändert scheint überhaupt nur ein einziger antisowjetischer Satz, der sich im Kapitel „Volk und Rasse“ der Erstauflage findet. Demnach habe „der Jude“ in Rußland „dreißig Millionen Menschen in wahrhaft satanischer Wildheit teilweise unter unmenschlichen Qualen“ getötet oder verhungern lassen, „um einem Haufen jüdischer Literaten und Börsenbanditen die Herrschaft über ein großes Volk zu sichern“. Ist in allen Ausgaben vor 1939 von „dreißig Millionen“ Opfern des Bolschewismus die Rede, reduziert sich diese Zahl in etlichen Ausgaben bis 1941 auf drei Millionen Menschen. Das ist für Töppel jedoch kein politisch motivierter Versuch, Greueltaten des neuen Bündnispartners zu minimieren, sondern Folge eines Setzfehlers in der NSDAP-Stammdruckerei in München, der an andere Druckereien weitergegeben und erst 1943 getilgt wurde, so daß es wieder dreißig statt drei Millionen hieß. Der auch unter Historikern bis vor kurzem noch kursierende Verdacht, „Mein Kampf“ sei dem Hitler-Stalin-Pakt „angepaßt“ worden, sei damit ausgeräumt. https://metropol-verlag.de