Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann ein Wettlauf zwischen der Sowjetunion und den USA um die Abschöpfung des Wissens der Raketenexperten des Dritten Reiches. Dabei hatten die Vereinigten Staaten eindeutig die Nase vorn: Im Rahmen der „Operation Paperclip“ verpflichteten sie nicht bloß Wernher von Braun, den ehemaligen Technischen Direktor der Heeresversuchsanstalt Peenemünde, wo am 3. Oktober 1942 erstmals eine Rakete vom Typ A4 ins Weltall aufgestiegen war, sondern auch mehr als 130 frühere Mitarbeiter von Brauns. Diese sollten zunächst nur für sechs Monate engagiert werden, jedoch zeichnete sich beizeiten ab, daß es sehr viel sinnvoller sein würde, sie deutlich länger zu beschäftigen. Dennoch dauerte es bis zum 13. September 1949, ehe der US-Präsident Harry S. Truman eine Direktive unterzeichnete, welche den Nachzug der Familien der Betroffenen und die Einbürgerung der Wissenschaftler regelte. Das lag am massiven Widerstand gegen die Indienstnahme der „Nazi-Forscher“ – ein entsprechendes Protestschreiben wurde unter anderem von Albert Einstein unterzeichnet. Deshalb fanden die Einbürgerungen auch erst deutlich später statt, wobei die meisten zwischen dem 8. und 11. November 1954 erfolgten.
Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die Deutschen schon als ausgesprochen kooperativ und nützlich erwiesen, indem sie auf dem texanischen Militärstützpunkt Fort Bliss an der Weiterentwicklung der Raketentechnik des Dritten Reiches für die Streitkräfte der Vereinigten Staaten arbeiteten und in diesem Zusammenhang insgesamt 66 von den US-Amerikanern erbeutete A4 vom Testgelände White Sands Proving Ground starteten. Anschließend war von Brauns Team dann in das neue Redstone Arsenal in Huntsville (Alabama) verlegt worden, wo es mit der Entwicklung der ersten ballistischen Rakete der USA mit Atomsprengkopf namens Redstone begann.
Die diesbezüglichen Arbeiten erfolgten ab Februar 1956 im Rahmen der nunmehrigen Army Ballistic Missile Agency (ABMA), als deren technischer Leiter von Braun fungierte. Nachdem die Sowjetunion am 4. Oktober 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten in eine Umlaufbahn gebracht und damit den Sputnikschock ausgelöst hatte, beschloß Washington eine deutliche Aufstockung der Ausgaben für die Raketenentwicklung und Raumfahrt. Das führte zum einen zum Start des US-Satelliten Explorer 1 am 1. Februar 1958 mit einer modifizierten Redstone und zum anderen zur Gründung der National Aeronautics and Space Administration (Nasa) am 29. Juli 1958, deren Aufgabe darin bestand, das zivile Raumfahrtprogramm der USA voranzutreiben. Aufgrund der unverzichtbaren Expertise des Teams um von Braun wurde dieses im Oktober 1959 in die Nasa integriert. Kurz darauf, am 1. Juli 1960, erfolgte die Umwandlung des Redstone Arsenals in Huntsville in das Marshall Space Flight Center (MSFC) der Nasa. Dessen Leitung übernahm wiederum von Braun.
Das erste große Projekt des MSFC war die Bereitstellung einer nochmals optimierten Redstone-Rakete, welche die bemannte Mercury-Kapsel ins All hieven sollte. Diese startete am 5. Mai 1961 mit Alan Shepard an Bord. Zwanzig Tage später verkündete Präsident John F. Kennedy seinen Plan, bis 1970 Menschen auf den Mond zu bringen, womit er den Grundstein für das Apollo-Programm legte. Bei dessen Durchführung kam dem MSFC die Aufgabe zu, die dreistufige Trägerrakete Saturn V zu entwickeln, deren Erstflug am 9. November 1967 erfolgte und die im Juli 1969 schließlich auch die erste bemannte Mondlandung ermöglichte.
Dabei spielten von Braun und die anderen deutschen Raketeningenieure aus der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ebenfalls eine zentrale Rolle, wie schon die Besetzung der sonstigen Führungsposten im MSFC zeigt. Als Stellvertreter von Brauns fungierte dessen langjähriger Assistent Eberhard Rees, der später noch in die Entwicklung der Raumstation Skylab und des Weltraumteleskops Hubble sowie der Triebwerke des Space Shuttle involviert war. Dazu kamen Männer wie Wilhelm Angele (Division Chief in Charge of Practical Application of Space Hardware), Ernst Geissler (Director of the Aeroballistic Division), Dieter Grau (Director of the Quality and Reliability Laboratory), Walter Häussermann (Director of the Guidance and Control Division), Karl Heimburg (Director of the Test Division), Helmut Hölzer (Director of Computing), Heinz Hermann Koelle (Director of the Future Projects Office), Werner Kuers (Director of the Manufacturing Engineering Laboratory), Willi Mrazek (Director of Structures and Mechanics Division), Arthur Rudolph (Assistant Director of Systems Engineering), Ernst Stuhlinger (Associate Director for Science) und Bernhard Tessmann (Deputy Director of the Test Division).
Unverzichtbare Bereicherung für das US-Raumfahrtprogramm
Außerhalb des MSFC machte zudem auch noch Kurt Debus eine steile Karriere bei der Nasa. Der frühere Betriebsleiter des Prüfstandes VII in Peenemünde avancierte im Juli 1962 zum ersten Direktor des Launch Operations Center beziehungsweise dann John F. Kennedy Space Center in Florida – eine Position, die er bis November 1974 innehatte. Unter seiner Leitung starteten sämtliche Apollo-Raumschiffe zum Mond und später noch die Besatzungen, welche auf dem Skylab forschten.
Ansonsten stellten die 1954 eingebürgerten NS-Raketenexperten, von denen der letzte erst 2006 in den Ruhestand ging, gleichermaßen eine Bereicherung für das US-amerikanische Raumfahrt- und Raketenprogramm dar, wenn sie nicht für die Nasa oder dessen MSFC arbeiteten. So wurde der frühere Testpilot Willy Fiedler, der unter anderem eine bemannte Version des Marschflugkörpers V1 erprobt hatte, Chefwissenschaftler in der Raketen- und Raumfahrtabteilung von Lockheed, welche die U-Boot-gestützten Raketen Polaris, Poseidon und Trident entwickelte. Der Physiker Heinz Haber wiederum gehörte zu den Mitbegründern der Raumfahrtmedizin und nahm großen Anteil an der Entwicklung der ersten Raumanzüge. Und der Elektroingenieur Hans Ziegler kam 1954 auf die bahnbrechende Idee, bei der Stromversorgung im All auf Solarzellen zurückzugreifen.
Foto: Wernher von Braun mit US-Präsident Kennedy 1963: In die Nasa integriert