© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

Böhmermann, die Werteunion und pöbelnde Zwischenrufer
Mit viel Drama kündigte der ZDF-Agitator an, bei einer Werteunion-Veranstaltung in Koblenz aufzutauchen
Lorenz Bien

Eigentlich hatte man mit einer großen und medienwirksamen Auseinandersetzung rechnen können. Mitte Oktober kündigte Fernsehmoderator Jan Böhmermann in seiner Show „ZDF Magazin Royale“ an, bei einer Veranstaltung der Werteunion (WU) vorbeischauen zu wollen. „Ich bin dabei, auf jeden Fall“, posaunte der 43jährige in die Kamera, nachdem er die im Schnitt 2,29 Millionen Zuschauer darauf hingewiesen hatte, daß der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, bei einer Veranstaltung zur „Causa Böhmermann“ sprechen werde.

Und so fanden sich am vergangenen Samstag rund 300 Gäste im rheinland-pfälzischen Koblenz ein, um Böhmermann auf seine Worttreue zu testen. Und, selbstverständlich, um einer Reihe von Vorträgen zu lauschen. Der Landesvorsitzende der Werteunion Rheinland-Pfalz, Eugen Radtke, erklärte gegenüber der JUNGEN FREIHEIT, das Thema des Tages sei geradezu an die Partei herangetragen worden: „Im Gespräch mit Menschen bekommen wir immer häufiger mit, daß den öffentlich-rechtlichen Medien nicht mehr vertraut wird und die Leute sich entsetzt über die manipulative Berichterstattung äußern. Daher wollen wir mit unserer Veranstaltung aufklären.“

Dementsprechend war Medienkritik das Oberthema der Veranstaltung. Maaßen trug zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, zur Fake-News-Debatte und Böhmermann vor, während der Buchautor Tom Lausen über die fehlerhafte Arbeit des Paul-Ehrlich-Instituts während der Corona-Zeit sprach – und über das völlige Fehlen einer Berichterstattung darüber. Der ehemalige AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen erläuterte, wieso sich die Beibehaltung einer Gebühr für öffentlich-rechtliche Medien rechtlich nicht mehr halten lasse, die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel referierte zum Selbstbestimmungsgesetz, und der Sohn des 1977 von der RAF ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, Michael Buback, erklärte, wieso sowohl die deutsche Justiz als auch die Medienlandschaft sich im Fall seines Vaters seiner Ansicht nach sehr früh auf die falschen Täter einschossen.

Maaßen: Böhmermann tritt nach unten

Draußen, vor den Toren der Veranstaltungshalle, demonstrierte ein Bündnis aus Linken, Die Partei und Omas gegen Rechts und pfiff den Besuchern mit Trillerpfeifen hinterher. Zwei Zelte waren aufgebaut, über eine Box dröhnte laute Musik. Auch die Polizei war vor Ort.

Die meisten Besucher schienen es mit Humor zu nehmen. Ein mittelalter Herr im Tweed-Jackett kannte es kaum noch anders, wie er der JF sagte: „Spätestens seit der ‘Correctiv’-Geschichte zum sogenannten zweiten Wannsee-Treffen wird man im Alltag ja beinahe gesteinigt, wenn man AfD- oder WU-Positionen vertritt. So gesehen ist das Medienthema sehr relevant.“

Nach einer Einleitung von Radtke begann also Maaßen: Die Debatte um „Fake News“ und „Desinformation“ sei gegenüber dem Geist des Grundgesetzes feindlich, da die Pressefreiheit eben auch vorsehe, daß falsche oder verzerrende Nachrichten in die Welt gesetzt werden dürften: „Es liegt nicht am Staat, zu entscheiden, was ‘Fake News’ oder Desinformation ist“. Böhmermann markiere für ihn die Umwertung der Satire – vom Mittel der Schwachen, ihre Herrscher symbolisch vom Podest zu holen, hin zu dem gehässigen Nach-unten-Treten des ZDF-Moderators.

Der Datenanalyst Tom Lausen zeigte anhand mehrerer amtlicher Dokumente auf, daß das Paul-Ehrlich-Institut während der Corona-Zeit einen eklatanten Mangel an Mitarbeitern hatte, deren Aufgabe es gewesen wäre, mögliche Nebenwirkungen der Covid-Impfstoffe nachzuweisen. In mehreren Dokumenten erklärte das Institut, kaum Daten über Nebenwirkungen zu haben – obwohl es gesetzlich dazu verpflichtet gewesen wäre. „Haben Sie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk irgend etwas darüber gehört?“, fragte Lausen mehrfach nach. Weitere Erkenntnisse gebe es in seinem zusammen mit seiner Frau Ulrike verfaßten Buch „Die Untersuchung“.

Der frisch der WU beigetretene Meuthen erklärte, der Rundfunkbeitrag sei rechtlich gesehen kein Beitrag, nicht einmal eine Gebühr, da eine solche üblicherweise auf eine konkrete Gegenleistung hin erfolge. Diese Gegenleistung sei beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht erkennbar: „Die 18,36 Euro zahlen auch Personen, die keines der öffentlich-rechtlichen Programme je zu konsumieren wünschen.“

Für eine Reform setzte sich hingegen der Filmemacher Jimmy Gerum ein. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk schließe immerhin aus, daß sich Firmen und Unternehmer mit privatem Geld dort einkauften und auf diese Weise ihre Interessen durchdrückten. Es gelte lediglich, durch ein globales Netz aus Medienkritikern Druck auf staatliche Strukturen auszuüben, damit diese wieder objektiver berichteten. Etwa in bezug auf den 11. September oder die Ermordung John F. Kennedys, wie Gerum betont.

Streit um das Selbstbestimmungsgesetz

Und Böhmermann? Nirgendwo zu sehen. Oder schlich er möglicherweise mit Perücke und angeklebtem Vollbart irgendwo durchs Publikum? Anwesend war jedenfalls ein öffentlich-rechtliches Fernsehteam des NDR, das Besucher interviewte. Und einige Besucher, die sich mit dem einen oder anderen Zwischenruf zu Wort meldeten. Besonders der Selbstbestimmungsgesetz-Vortrag von Sylvia Pantel erzürnte die Gruppe – und provozierte sie zur Nachfrage, was ihr mit dem Gesetz denn weggenommen werde. „Sämtliche Schutzräume für Frauen“, erwiderte die WU-Mitbegründerin und erntete lauten Applaus.

Werteunion-Chef Maaßen zeigte sich über die Veranstaltung sehr zufrieden. „An einem schönen Tag, an dem man auch etwas anderes hätte machen können“, seien dennoch über 300 Zuschauer gekommen. Daß Böhmermann der Veranstaltung ferngeblieben sei, sei „nicht anders zu erwarten“ gewesen. Die Werteunion plane, die Veranstaltungsreihe fortzusetzen.

Fotos: Vortragende in Koblenz: Reden über die Rundfunkgebühr, Corona und RAF-Morde / Gegendemonstration: Ein Bündnis aus Linke, Die Partei und Omas gegen Rechts demonstrierte gegen die Veranstaltung der Werteunion. Dabei kamen auch Trillerpfeifen und Musikboxen zum Einsatz