© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

Die Champagnerchefin
Kino II: Ein poetisches Historiendrama würdigt die Lebensleistung der französischen Schaumweinkönigin Barbe-Nicole Clicquot
Dietmar Mehrens

Für Freunde des edlen Tropfens und alle Arten von Weinkennern kommt mit „Die Witwe Clicquot“ jetzt ein Film in die Kinos, der erlesene Sommelier-Phantasien in eine auf Tatsachen beruhende feministische Erfolgsgeschichte kleidet. Eine junge Liebe und ein jäher Tod, der sie beendet, sind der Ausgangspunkt des Historiendramas von Thomas Napper, gedreht an Originalschauplätzen im Raum Reims sowie im Weinanbaugebiet Burgund (Franche-Comté, Bourgogne).

In berückenden Rückblenden wird die poetische Liebesgeschichte von Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin (Haley Bennett) und ihrem Ehemann François (Tom Sturridge) erzählt, die in den Jahren der Herrschaft Napoleon Bonapartes in Frankreich spielt. François baut in der Champagne in großem Stil Wein an und ist verzaubert von der Schönheit seiner blühenden Weinberge wie von der seiner zu verführerischer Anmut erblühten Gemahlin. Doch der übersensible Weinbauer gerät in einen dunklen Sog, aus dem ihn seine schöne Frau nicht retten kann.

Die junge Witwe will das Erbe ihres Mannes bewahren

Vor allem geht es in dem verschachtelt erzählten Melodram aber um Barbe-Nicoles Selbstbehauptungswillen nach dem frühen Tod ihres geliebten Gatten. Denn anders als von ihrem Schwiegervater empfohlen, will die junge Witwe die ertragreichen Ländereien nicht gewinnbringend veräußern, sondern das Erbe ihres Mannes bewahren und in seine Fußstapfen treten. Doch kann das gutgehen in Zeiten, in denen berufstätige Frauen alles andere als eine Selbstverständlichkeit sind?

Wider Erwarten behauptet die 27jährige sich. Sie übernimmt die familieneigene Weinkellerei und hat bald Erfolg mit einer eigenen Kreation. Die neue Mixtur sorgt vor allem bei russischen Kunden für Begeisterung. Das klingt verheißungsvoll. Doch Napoleons Kontinentalsperre gegen England steht den Exportbemühungen im Weg. Die unerfahrene Geschäftsfrau versucht die Sperre zu umgehen und organisiert einen Transport des kostbaren Guts nach Amsterdam. Im Königreich Holland wies die französische Freihandelsblockade zwischen 1806 und 1810 nämlich ein paar Schlupflöcher auf. Aber die Jungunternehmerin hat zu hoch gepokert: Es kommt zu einer Katastrophe, die sie weit zurückwirft und an den Rand des Ruins bringt. Ihr Schwiegervater will dem in seinen Augen unziemlichen Frauenprojekt nun ein Ende machen. Zum Glück kann sie in dieser extremen Notlage auf die Unterstützung des unorthodoxen Weinhändlers Louis Bohne (Sam Riley) zählen, an dem Barbe-Nicole auch als Frau Gefallen findet. Eine Romanze bahnt sich an.

Nach dem Ende der Napoleon-Ära steht zwar dem Export nichts mehr im Wege. Doch es kündigt sich neues Ungemach an: Hat die Witwe mit ihrem Geschäftsgebaren gegen den Code civil, das vom Kaiser eingeführte Zivilrecht, verstoßen? Es kommt zum Prozeß. 

„Die Witwe Clicquot“ beruht auf dem gleichnamigen Bucherfolg der Kunsthistorikerin Tilar J. Mazzeo. Für seine Verfilmung setzt Thomas Napper auf malerische Landschaftsaufnahmen, ein entspanntes Erzähltempo und einen elegischen Grundton. Kaum einmal setzen die Streicher aus, die den Film musikalisch untermalen und damit Nappers künstlerischen Ansatz unterstreichen, auf große Gesten und Theatralik zugunsten lyrischen Erzählens zu verzichten.

Die wahre Geschichte der „Grande Dame der Champagne“, die den Grundstein für die moderne Champagnerherstellung legte und mit dem exklusiven Schaumwein ihres Hauses zum Musterexempel für erfolgreiche Emanzipation und Selbstbestimmung wurde, ist der Idealstoff für die von Antipatriarchats-Ambitionen zerfressene Kunst- und Kultur-Elite. Es war daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Coco Chanel des Weinkellers die Leinwand erobern würde.

Die alles in allem recht zurückgenommene Inszenierung Thomas Nappers sorgt immerhin dafür, daß man über die unterschwellige Botschaft dieses feinsinnigen Frauenporträts nicht ständig stolpern muß. Trotzdem purzelt man irgendwann unvermittelt aus der Geschichte heraus. Denn der Film endet abrupt, als es gerade spannend wird.

Barbe-Nicole Clicquot Ponsardin (Haley Bennett): Selbstbestimmt

Kinostart ist am 7. November 2024