© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

Die Kommerzialisierung der europäischen Gedenkkultur
Toilettenstopp Auschwitz-Birkenau

Bis zu 1.000 Euro kostet „Liebhaber des Lebens und der Natur“ eine Übernachtung in einem von ägyptischen Milliardären finanzierten Luxushotel auf der montenegrinischen Adriainsel Mamula. Exakt dort, wo sich ein italienisches Konzentrationslager mit 2.300 Häftlingen befand, von denen 1942/43 100 ermordet wurden oder verhungerten, ist ein Fünf-Sterne-Dorado entstanden, das mit Fitneßstudio und Yogakursen keine Erinnerung mehr an eine beunruhigende Vergangenheit zuläßt. Für die weißrussische Journalistin Olga Bubich ist Mamula lediglich eins von vielen Beispielen, die seit 1990 einen Trend markieren: Immer mehr europäische Gedenkorte, die an die Menschheitsverbrechen während des Zweiten Weltkriegs erinnern, stehen für kommerziellen Profit und unbeschwerte Unterhaltung. Eine Entwicklung, die mittlerweile selbst an der touristischen Vermarktungsstrategie  des Vernichtungslagers Auschwitz abzulesen sei. Zahlreiche polnische Reiseagenturen bewerben das dortige Museumsgelände, das allein 2023 rund 1,5 Millionen Besucher zählte, nicht mehr vornehmlich als Gedenk- und Lernort, sondern als Etappe einer Sightseeing-Tour. Angeboten in Kombination mit einem Ausflug von Auschwitz-Birkenau, dem „Toilettenstopp“, zum Salzbergwerk Wieliczka bei Krakau. Dessen illuminierte Stollen scheinen für die meisten Teilnehmer eigentlicher Höhepunkt des Programms zu sein. Doch die Haltung zum NS-Horror verändere sich auch in deutschen Gedenkstätten, wo vergnügte oder gelangweilte Touristen regelmäßig vor Hinrichtungsstätten für Selfies posieren (Blätter für deutsche und internationale Politik, 11/2024). (ob)

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