© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

Erste Opfer der Klimaneutralität
Autoindustrie: Das Strukturproblem bei VW ist vor allem ein politisches / Lohnsenkungen statt Werksschließungen?
Paul Leonhard

Durch den „Green Deal“ der EU soll „Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden“ und das Gesetzespaket „Fit für 55“ soll die CO₂-Emissionen schon bis 2030 um 55 Prozent senken. Die VW-Markengruppe „Progressive“ war diesbezüglich laut Eigenwerbung vorbildlich: „Im Werk Brüssel produziert Audi den Q8 e-tron bilanziell CO₂-neutral. Das Werk deckt seinen Energiebedarf vorwiegend mit umweltfreundlich hergestelltem Biogas ab und bezieht seit 2012 Grünstrom.“ Doch 2023 wurden hier nur 53.555 E-SUV hergestellt – zu wenig für die 3.033 „Mitarbeitenden“. Am 28. Februar wird die Produktion eingestellt. Die Abwicklung kostet den Wolfsburger Konzern schlimmstenfalls 1,4 Milliarden Euro – wenn sich kein Käufer für den 58-Hektar-Standort findet.

Der Markengruppe „Core“ steht ähnliches noch bevor: Drei der deutschen VW-Werke könnten geschlossen werden, sollten sich Management, Betriebsrat und IG Metall in den laufenden Tarifverhandlungen nicht auf ein „Zukunftskonzept“ einigen. Und auch hier sind die reinen E-Auto-Werke Emden, Dresden und Zwickau keineswegs „sicher“ – die Produktion der unbeliebten ID-Modelle lastet die Fabriken nicht aus. Doch auch die Produktionskosten der Benziner-, Diesel- und Hybrid-Modelle sind der Konzernführung zu hoch. Das liegt nur zum Teil an den deutschen Energiepreisen. Auch der Haustarifvertrag mit Vier-Tage-Woche, 36 Urlaubstagen, übertariflichen Löhnen und Boni für Arbeiter lassen sich angesichts der radikalen „Dekarbonisierung“ künftig nicht mehr finanzieren.

„VW baut hervorragende Autos, verdient aber nicht ausreichend“

Die Standorte in Polen, Spanien, der Slowakei oder der Tschechei sind viel günstiger – bei inzwischen ähnlicher Qualität. „Die Marke Volkswagen baut hervorragende Autos, verdient aber nicht ausreichend, um aus eigener Kraft in die Zukunft zu investieren“, sagt daher VW-Finanzchef Arno Antlitz. Der Konzerngewinn lag im dritten Quartal nur noch bei 1,58 Milliarden Euro und damit knapp 64 Prozent niedriger als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Es wurde nur noch eine operative Marge von zwei Prozent erzielt. Dennoch verdient Antlitz wohl weiter 4,2 Millionen Euro bei VW. In ähnlichen Größenordnungen liegen die anderen Vorstandsmitglieder. Konzernchef Oliver Blume erhielt 2023 laut Geschäftsbericht 9,7 Millionen Euro plus Rentenaufwendungen. Hier zu sparen wäre sicher populär – doch es bringt letztlich wenig.

Neben diesen Summen nehmen sich die bisherigen Löhne für die 130.000 Beschäftigten in den sechs westdeutschen Werken mit Haustarifen bescheiden aus: Manager verdienen bei VW 158.400 Euro brutto, Anwälte 130.900, Abteilungsleiter 124.600, Leitende Ingenieure 118.700. Ein Industriemeister kommt auf 78.900 Euro, ein Schichtführer auf 67.700, ein Maschinenschlosser auf 67.200, ein Dreher auf 49.800, ein Produktionshelfer auf 42.500, ein Lehrling auf 14.000 Euro. Seit Mai liegt das monatliche Bruttogehalt der Produktionsmitarbeiter laut IG Metall zwischen 3.914 Euro und 4.304 Euro. Das ist bislang branchenüblich: Bei Mercedes erhält der Facharbeiter laut dem Gehaltvergleichsportal Kununu im Schnitt 44.400 Euro jährlich.

Doch angesichts der „Transformation in eine klimaneutrale Gesellschaft“ (Max-Planck-Gesellschaft) rechnet sich das nicht mehr. Zehnprozentige Lohnsenkungen statt mehrerer Werksschließungen sind nun im Gespräch. Die EU-Autoindustrie sei auf dem „Altar der Klimaneutralität geopfert“ worden, kritisiert Barry Norris, Manager des Hedgefonds Argonaut. „Ohne die Einmischung der Regierung würden die Autobauer in der EU weiter die Nachfrage der Verbraucher befriedigen, indem sie Autos mit Verbrennungsmotor gewinnbringend produzieren.“ Die Politik habe dies mit sich ausweitenden Verboten und Reglementierungen unmöglich gemacht und die Autobauer in die E-Mobilität gezwungen. Doch „ein begehrtes Elektroauto für den Massenmarkt rentabel zu produzieren, übernehmen jetzt die Chinesen“, so Norris.

Sicher, der Boom der chinesischen E-Autoindustrie hängt auch mit Subventionen zusammen, aber die hat VW auch kassiert: zwischen 2016 und 2023 waren es laut der Wirtschaftswoche 9,1 Milliarden, davon 6,4 Milliarden Euro direkte Förderungen. Auch Steuererleichterungen, Kaufprämien und Technologieförderung gab und gibt es – doch das läßt sich angesichts der grünen Deindustrialisierung nicht mehr finanzieren. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), der über den 20prozentigen Landesanteil bei VW „mitreden“ kann, verlangt dennoch eine neue E-Autoförderung.

Sein bayerischer Amtskollege Markus Söder, der dem Freistaat 2019 sogar „Klimaneutralität bis 2040“ verordnet hat, will nun plötzlich einen „Marshallplan“, um die 40.000 Audi-„Mitarbeitenden“ im oberbayrischen Ingolstadt zu halten. Konkret fordert der CSU-Chef die Aussetzung aller CO₂-Strafzahlungen, die Aufhebung des EU-Verbrennerverbots, Technologieoffenheit sowie keine Zölle auf Autos. Auch müsse die 2023 abgeschaffte E-Auto-Prämie wieder eingeführt und verbilligter Ladestrom zur Verfügung gestellt werden.

Deutsche Zulieferindustrie von der Auto-Krise ebenfalls hart betroffen

„Wir können in Deutschland keine Elektroautos bauen, die zwischen 25.000 und 30.000 Euro kosten. Mit den deutschen Lohn- und Energiekosten geht das heute einfach nicht“, entgegnet Florian Huettl, Opel-Chef beim amerikanisch-französisch-italienischen Stellantis-Konzern, in der Augsburger Zeitung. Opel produziere günstige Modelle wie den Corsa im Ausland. Ausdruck der schwächelnden E-Auto-Nachfrage ist auch die Verlängerung des Baustopps für die gemeinsam von Stellantis, Mercedes und dem Energiekonzern Total in Kaiserslautern geplante Batteriefabrik, für die der Steuerzahler Hunderte Millionen Euro zuschießen soll. Der „Job-Motor“ Batterieproduktion könne den Wegfall von Autoarbeitsplätzen nicht kompensieren, und es bestehe zudem „aktuell hohe Unsicherheit“, ob es Deutschland gelinge, im Bereich der europäischen Batterie-Wertschöpfungskette seine führende Rolle zu behalten, heißt es in einer Prognos-Studie für den Autoindustrieverband VDA. Darin wird von einem Beschäftigungsrückgang bei der Produktion von E-Fahrzeugen um rund ein Drittel gegenüber Autos mit Verbrennungsmotoren ausgegangen. Damit wären Zuliefererbetriebe besonders betroffen. Setze sich der zwischen 2019 und 2023 eingesetzte Trend fort, wären bis 2035 knapp 190.000 Personen weniger in der Autoindustrie beschäftigt.

Der Zulieferer Schaeffler zeigt das schon in der Praxis: Bis 2027 sollen 4.700 Stellen in Europa wegfallen – 2.800 davon in Deutschland. ZF will sogar 14.000 Stellen streichen. „Wettbewerbsfähige Energiepreise, weniger erdrückende Bürokratie, schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren, ein wettbewerbsfähiges Steuer- und Abgabensystem, mehr Freihandelsabkommen“ – das verlangt nun VDA-Chefin Hildegard Müller, die als CDU-Präsidiumsmitglied und Staatsministerin im Kanzleramt die „Energiewende“ mit abgenickt hat. Doch das allein ist kein „Zukunftskonzept“ für die Autobranche, das verlangen fast alle Arbeitgeber.


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