© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

„Chronik eines vorhergesagten Todes“
Brasilien: Ex-Präsident Jair Bolsonaros Partei feiert ihren fulminanten Sieg bei den Kommunalwahlen / Linke des Landes zerstritten
Wolfgang Bendel

Überraschung in Brasilien. Bei den landesweiten Kommunalwahlen, die immer zur Halbzeit einer parlamentarischen Legislaturperiode stattfinden, konnte unerwarteterweise die rechtsgerichtete Partido Liberal (PL) von Ex-Präsident Jair Bolsonaro große Gewinne erzielen. In den 103 Städten mit über 200.000 Einwohnern verfügt die Partei jetzt über 16 (vor vier Jahren zwei) Bürgermeister, darunter in vier Hauptstädten von Bundesstaaten. Auch in 516 Landkreisen (municipios) stellt sie fortan den Präfekten – und die linke Arbeiterpartei (PT) nur in 252. 

Damit werden 26 Millionen Brasilianer von der PL und nur noch zehn Millionen von der PT regiert. Der Rest verteilt sich auf cirka 30 andere Parteien. Die PT von Präsident Lula da Silva, erlangte sechs Präfekte (vorher vier), womit sie ihr historisch schlechtes Ergebnis von 2020 nur unwesentlich verbessern konnte. Im Jahr 2012 hatte sie noch 17 Bürgermeisterposten besetzen können.

In São Paulo, der größten und wichtigsten Stadt des Landes, hatte die PT auf einen eigenen Kandidaten verzichtet und zur Wahl von Guilherme Boulos (PSOL; Partei Sozialismus und Freiheit) aufgerufen. Diese Partei ist dem äußersten linken Spektrum zuzuordnen, und deshalb siegte wenig überraschend der bürgerlich-konservative, von Bolsonaro unterstützte Amtsinhaber Ricardo Nunes mit großem Vorsprung. Der Verzicht, einen eigenen Kandidaten aufzustellen, löste innerhalb der PT heftigen Streit aus. Der Vizepräsident der Partei, Washington Quaquá, sprach von der „Chronik eines vorhergesagten Todes“ und fügte ironisch hinzu: „Wir haben eine Kandidatur mit einer nach oben begrenzten Zahl linker Wähler beschlossen. Wir scheinen wieder gelernt zu haben, das Verlieren zu lieben.“ 

Hinzu kommt, daß Boulos beste Kontakte zur Organisierten Kriminalität nachgesagt werden. Bei den mehrheitlich gesellschaftspolitisch eher konservativen Brasilianern kam es zudem nicht gut an, daß bei Wahlveranstaltungen von Boulos die Nationalhymne genderneutral umformuliert wurde.

Bolsonaro seinerseits zeigte sich gegenüber dem Sender CNN euphorisch: „In São Paulo war es sehr gut. Der Sieg war für die Konservativen, die Rechten, die guten Leute. Ich bin glücklich! Immer mehr Menschen wenden sich von dem Bösen, dem Roten ab, das die ganze Welt heimsucht. Die PT ist tot. Sie haben den Sarg schon heruntergelassen. Jetzt muß nur noch Erde auf das Grab geworfen werden.“

Während das mäßige Ergebnis der Wahl in Kreisen der PT zu Unmut führte, sorgte Präsident Lula an anderer Stelle für Aufsehen. Kurz vor dem Treffen der BRICS-Staatengruppe im russischen Kasan, bei dem mehrere weitere Nationen aufgenommen werden sollten, war er im Präsidentenpalast in Brasília gestürzt und hatte sich erhebliche Verletzungen am Kopf zugezogen. Deshalb mußte der inzwischen 79jährige seine Reise zu dem Treffen absagen. Auf der Zusammenkunft selbst legte Brasilien dann ein Veto gegen die Aufnahme Venezuelas in die Staatengruppe ein. Dies empörte den Präsidenten Venezuelas, Nicolás Maduro, so sehr, daß er seinen Generalstaatsanwalt Tarek William Saab damit beauftragte, gegen Lula zu ermitteln: „Direkte Quellen, die Brasilien nahestehen, haben mich darüber informiert, daß Präsident Lula da Silva einen angeblichen Unfall manipuliert hat, um ihn als Vorwand für seine Nichtteilnahme am jüngsten BRICS-Gipfel zu benutzen“, schrieb der Generalstaatsanwalt in den sozialen Netzwerken.

Hintergrund des Streits zwischen Venezuela und Brasilien ist die Tatsache, daß Brasília den offensichtlich durch Betrug zustande gekommenen Wahlsieg Maduros Ende Juli nicht anerkennt.