© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 46/24 / 08. November 2024

Nacht der deutschen Einheit
Eine Chronik der wichtigsten Ereignisse am 9. November 1989

Oktober/November 1989

Im Oktober 1989 gelingt 57.024 DDR-Bürgern die Flucht in westliche Länder, 30.598 weitere dürfen die DDR mit Genehmigung verlassen. Allein das Wochenende vom 4./5. November nutzen insgesamt 23.200 DDR-Bürger, um über die CSSR in die Bundesrepublik auszureisen. Egon Krenz, Nachfolger Erich Honeckers an der Spitze von Staat und Partei, verspricht ein neues Reisegesetz. Ein erster Entwurf am 6. November beschränkt genehmigungspflichtige

Auslandsreisen auf 30 Tage. Die Leipziger Montagsdemonstranten lehnen den Entwurf als völlig unzureichend ab.




9. November, 9 Uhr

Mitarbeiter des DDR-Innenministeriums sowie des Ministeriums für Staatssicherheit erarbeiten im Auftrag des SED-Politbüros einen Ministerratsbeschluß über ständige Ausreisen. Darin heißt es: „Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen (Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse) beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt.“ Dies soll am Freitag, dem 10. November, 4 Uhr, veröffentlicht werden.




12 bis 16 Uhr

SED-Generalsekretär Egon Krenz erhält den Entwurf, verliest die geplante Reiseregelung in der ZK-Sitzung und händigt das Ganze als Beschlußvorlage des Ministerrats dem Pressesprecher des ZK, Günter Schabowski, aus.




18 bis 19 Uhr

Kurz vor Ende der Pressekonferenz fragt der italienische Journalist Riccardo Ehrman nach, ob der Entwurf des Reisegesetzes vom 6. November nicht ein Fehler gewesen sei. Schabowski antwortet unter anderem: „Und deshalb haben wir uns dazu entschlossen, heute eine Regelung zu treffen, die es jedem Bürger der DDR möglich macht, über Grenzübergangspunkte der DDR auszureisen.“ Und auf Nachfrage dann: „Das tritt nach meiner Kenntnis, ähh, ist das sofort, unverzüglich.“




20 Uhr

An den Grenzübergängen Bornholmer Straße, Invalidenstraße und Sonnenallee versammeln sich auf Ostberliner Seite die ersten Menschen. Zuvor hatte die westliche Agentur AP als Eilmeldung: „DDR öffnet Grenze“ verbreitet. Unter derselben Schlagzeile beginnt die „Tagesschau“ in der ARD.




20.30 Uhr

Am Übergang Bornholmer Straße fordert die Menge die Öffnung der Grenze. Die Situation spitzt sich zu, die diensthabenden Grenzsoldaten haben bisher keinen Befehl zur Öffnung der Grenze erhalten, und die Menge vor dem Grenzübergang ruft: „Tor auf! Tor auf“. Gegen 21 Uhr sind dort bereits mehr als 1.000 Menschen.




21.20 Uhr 

Der stellvertretende Leiter der Paßkontrolleinheit an der Bornholmer Straße, Stasi-Oberstleutnant Harald Jäger, genehmigt einem Teil der Wartenden die Ausreise. Ohne deren Kenntnis wurde in ihrem Paß vermerkt, daß sie als Ausgebürgerte nicht in die DDR zurückkehren dürften.




22 bis 23 Uhr

Der Chef der Staatssicherheit, Erich Mielke, unterrichtet Krenz über die Lage. Der entscheidet, den Dingen ihren Lauf zu lassen. Unter dem Druck der Menschenmasse öffnet Oberstleutnant Jäger, ohne daß er dazu einen Befehl hat, an der Bornholmer Straße den Schlagbaum. Die Leute strömen gen Westen.




0 Uhr

Am Checkpoint Charlie gibt der Kommandant auf Ost-Berliner Seite den Befehl, die Tore zu öffnen. Kurz nach Mitternacht heißt es im Lagebericht der Volkspolizei, daß alle Übergänge an der Sektorengrenze geöffnet seien.




10. November, 1 Uhr

Tausende West- und Ost-Berliner überwinden die Mauer am Brandenburger Tor, gehen durch das Tor und tanzen vor Freude auf der Mauer. Die ersten „Mauerspechte“ bearbeiten den Beton auf der Westseite mit Hämmern und Meißeln. Ost-Berliner strömen zum Kurfürstendamm. Die Nachrichten von Radio DDR I melden unter Berufung auf das Innenministerium, daß die Grenze „als Übergangsregelung“ bis zum Morgen, 8 Uhr, unter Vorlage des Personalausweises passiert werden könne.