© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/24 / 01. November 2024

Der Flaneur
Fiktiv im Widerstand
René Langner

Ich wäre sowas von im Widerstand gewesen!“, tönt es neben mir. Ob diese Aussage im vorangegangenen Genuß alkoholischer Getränke oder in dem recht emotionalen Film begründet liegen mag, kann ich nur erahnen. Da ich meinen ehemaligen Kollegen Thomas aber schon eine ganze Weile kenne und ihn zudem bereits in verschiedenen Lebenslagen erleben durfte, kann ich durchaus behaupten, daß Widerstand nicht unbedingt in seinem Vokabular zu finden sein dürfte. Scheinbar bin ich nicht der einzige, der sich an seinen Worten stört: Stefan, der sonst stets zurückhaltend auftritt, lächelt abschätzig.

„Was gibt’s da zu lachen?“, will der Urheber der großspurigen Ansage nun wissen.  Bis dahin war es eigentlich ein netter Abend. Sven, mit dem mich auch nach meinem beruflichen Wechsel noch eine tiefe Freundschaft verbindet, hatte zu diesem kleinen Treffen ehemaliger Kollegen eingeladen. Wir alle hatten 2005, nach erfolgreichem Abschluß einer Weiterbildung, für einige Zeit zusammengearbeitet. Und obwohl mich mit den meisten der hier Anwesenden daher einiges verbindet, hatte ich vor allem aus persönlichen Gründen nicht wirklich Lust gehabt.

„Grundrechtseingriffe für Ungeimpfte“ waren damals seine Worte, an die er sich wohl nicht mehr erinnert.

Letztlich habe ich dann aber zugesagt und sitze nun mit fünf damaligen Wegbegleitern im großen Partykeller meines Freundes. Sven liebt Kino, und so ersann er diesen Abend unter dem Motto „Ein Film aus unserem ersten gemeinsamen Jahr“. Seine Wahl fiel auf „V wie Vendetta“. Mittlerweile scheint er zu erkennen, daß die Geschichte des Freiheitskämpfers V, der gegen einen totalitären Staat ins Felde zieht, nicht unbedingt die beste Option gewesen sein könnte.

„Wer möchte noch ein Bier?“, versucht er die Situation zu retten. Zu spät. Stefan nimmt den letzten Schluck aus seinem Glas und entgegnet: „Du und Widerstand? Da kann man doch nur lachen! Wie waren noch deine Worte vor nicht allzu langer Zeit?“ Noch bevor Thomas antworten kann, ergänzt er: „‘Grundrechtseingriffe für Ungeimpfte’. Nur, falls du dich nicht mehr daran erinnern solltest.“

Etwas später – alle Gäste sind bereits gegangen – sitze ich noch für einen Absacker mit Sven zusammen. „Lag es am Film?“, lächelt er bedrückt. „Mach dir keine Vorwürfe“, entgegne ich. „Es ist völlig egal, was wir angeschaut hätten. In der Fiktion scheinen es alle zu verstehen, nur um in der Realität ständig alles mitzumachen.“



Krieg bricht die Routine des komfortablen Lebens.

Julius Evola, italienischer Kulturphilosoph (1898–1974)