© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/24 / 01. November 2024

Brauchtum schlägt Kommerz
Halloween: Mancherorts haben sich die ursprünglichen Riten von Allerheiligen und Allerseelen erhalten
Ludger Bisping

Frühe Dunkelheit, fallendes Laub und Bäume, deren Äste in der Dämmerung unheimliche Gestalt annehmen: Der Herbst bietet die passende Stimmung zur Beschäftigung mit Tod und Vergänglichkeit. Schon vor über tausend Jahren gedachten die Menschen Anfang November der Seelen ihrer Verstorbenen und den Heiligen.

Während an Allerheiligen in vielen Ländern wie Spanien, Italien oder Polen der Heiliggesprochenen der katholischen Kirche gedacht wird, gilt das Gedenken an Allerseelen den „Normalsterblichen“ – Verwandten und Freunden –, daher ist dieser Tag auch kein gesetzlicher Feiertag. In protestantischen Regionen wurde dafür der Reformationstag am 31. Oktober zum Feiertag erklärt.

Bis heute sind Allerheiligen und Allerseelen am 1. und 2. November in katholischen Gegenden stille Tage des Andenkens, an denen sich Friedhöfe in ein Lichtermeer von Grabkerzen verwandeln. Wenn Hunderte Flämmchen vor den Grabsteinen tanzen und die letzten Ruhestätten gespenstisch erhellen, breitet sich melancholisch-morbide Stimmung aus, wie herbstlicher Nebel.

Erinnerung an verstorbene Verwandte und Freunde

Leider können einige diese jahrhundertealte Tradition nicht würdigen: Jedes Jahr gibt es erneute Debatten über das Tanzverbot an Allerheiligen in manchen Bundesländern, das für Progressive eine unerträgliche Einschränkung ihrer freien Entfaltung darstellt. Daß sich dieselben Personen über Clubschließungen während der Lockdowns beschwert hätten, ist nicht bekannt.

Das Allerseelenfest war bis zur Aufklärung mit allerhand Aberglauben verbunden. So waren die Hinterbliebenen vielfach überzeugt, daß die Geister der Toten an diesen Tagen umherwandeln und sie besuchen. Aus dieser Verbindung heidnischer Vorstellungen und christlichen Glaubens entstanden Bräuche, die bis heute bestehen. Zum Beispiel das rituelle Erbetteln von Gebäck durch Kinder und auch Grableuchten in einer ausgehöhlten Rübe mit geschnitzter Fratze. Katholische Iren brachten dieses Brauchtum mit in die USA, wo aus „Hallows’ Eve“ – dem Abend der Heiligen – Halloween wurde. Das amerikanisierte Event schwappte stark verkitscht und kommerzialisiert wieder nach Europa zurück. Halloween-Sonderfolgen in US-Zeichentrickserien wie „Die Simpsons“ oder in Eingespielte-Lacher-Sitcoms wie „Roseanne“ fixten so manches Kind an – und die Kaufhäuser boten bald mit Blick auf die Geldbörsen der Eltern gruselige Kostüme und Deko-Elemente an.

Doch nicht nur bei uns verbanden sich Heiden- und Christentum: Auch der mexikanische „Dia de Muertos“ entstand aus der Fusion indigener Riten und Allerseelen. Nachdem Missionare zunächst versucht hatten, den Totenkarneval abzuschaffen, legten sie ihn kurzerhand mit dem Kirchenfest zusammen.

Auch in Deutschland haben sich in manchen Gegenden Bräuche vorchristlichen Ursprungs erhalten, vor allem sogenannte „Heischebräuche“ (vom Wort „Erheischen“). Das sind Bräuche, bei denen es um das Fordern oder Erbitten und Erhalten von Gaben geht, zumeist Eßbarem. In dem westfälischen Städtchen Gescher an der niederländischen Grenze ziehen Kinder mit einem plattdeutschen Lied um die Häuser und bekommen traditionell Äpfel, heute vermehrt Süßes geschenkt. Auf der Zollernalb und in manchen Schwarzwaldgemeinden werden statt Halloween-Kürbissen nach altem Brauch Futterrüben ausgehöhlt und in leuchtende Grimassen verwandelt. Ähnliche Bräuche gibt es auch in Thüringen und der Oberlausitz, im Taunus und im Westerwald. Da der Rübenanbau stagniert, ist die Kürbis-Konkurrenz aber auch hier auf dem Vormarsch. Am 3. November, nach Allerheiligen und Allerseelen, gibt es noch einen weiteren Feiertag: Den Namenstag des Heiligen Hubertus nennt die Jägerschaft scherzhaft „Allerhasen“.

Das Gedenken an verstorbene Verwandte und Freunde ist ein guter Anlaß, sich intensiver mit der eigenen Familiengeschichte zu befassen. Viele Kirchgemeinden bieten Gottesdienste für die Verstorbenen der vergangenen zwölf Monate an, in denen die Namen der Toten vorgelesen werden. Ob man in alten Fotoalben stöbert oder sich sogar auf einer der zahlreichen Genealogie-Webseiten wie familysearch.org einen Stammbaum anlegt – auf jeden Fall lohnt es sich, den Ahnen etwas Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich gehört man selbst eines Tages dazu.