Was kann bei solch einer Einmütigkeit falsch sein? Im März 2023 legte die EU-Kommission ihre Richtlinie vor. Unter dem SPD-Parlamentarier René Repasi als Berichterstatter wurde das „Recht auf Reparatur“ verschärft und im April 2024 vom EU-Parlament mit 584 zu drei Stimmen bei 14 Enthaltungen angenommen. Nach der Annahme im Ministerrat trat die Richtlinie am 10. Juli in Kraft.
Jetzt müssen die 27 Mitgliedstaaten die Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren bis zum 31. Juli 2026 in nationales Recht umsetzen und anwenden. Im Gegensatz zu einer EU-Verordnung, die eins zu eins umzusetzen ist, verbleiben den Staaten hier noch kleinere Spielräume. Die EU-Richtlinie ist unter anderem das Ergebnis der Umsetzung von Forderungen der 800 interessierten, nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Bürger auf der „Konferenz zur Zukunft Europas“ (JF 23/22).
Tatsächlich leben wir in einer „Wegwerfgesellschaft“: Ob Einwegkaffeebecher, Billigkleidung bis hin zu Jobs. Ein gewisser Wohlstand, Bequemlichkeit, Reizüberflutung, die Abgabe von Verantwortlichkeit, Vergemeinschaftung der Folgen eigenen Handelns, mangelnde Bildung oder fehlendes Bewußtsein hinsichtlich von Konsequenzen – auch deshalb maßt sich der Staat an, individuelle „Nachhaltigkeit“ durch Gesetze zu regeln. Denn vieles davon hat Drittwirkungen auf andere, was die Folgen erst zum gesellschaftlichen Problem werden läßt.
Zwölf Milliarden Euro Verlust durch nicht erfolgte Reparaturen
So werden laut EU-Kommission wegen vorzeitiger Entsorgung noch brauchbarer Konsumgüter jährlich 35 Millionen Tonnen Abfall verursacht, bei hohem Anteil wiederverwertbarer Ressourcen und 261 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent. Die Verbraucher würden durch Nicht-Reparaturen zwölf Milliarden Euro Verluste erleiden. Für ein gebrauchtes iPhone ergebe sich gegenüber einem Neukauf beispielsweise eine Ersparnis von 200 Euro bei Minderung der CO₂-Emissionen um 80 Prozent und des Wasserverbrauchs um 90 Prozent. Das Aufkommen von Elektroschrott sinkt um etwa 80 Prozent. Nur hat man dann auch nicht das neueste Modell – was oft nur geringen Zusatznutzen stiftet.
Gemäß der Reparatur-Richtlinie müssen die Hersteller auch nach der zweijährigen gesetzlichen Gewährleistung die Reparatur eines defekten Gerätes vornehmen. Allerdings betrifft dies nur die in einem Anhang aufgeführten Geräte wie Waschmaschinen, Trockner, Geschirrspüler, Staubsauger, Kühlgeräte, Mobiltelefone und Tablets/Laptops/PCs (EU-Ökodesign-Regel). Bei Waschmaschinen beträgt die Reparaturpflicht zehn Jahre, bei Smartphones nur sieben – ab dem Zeitpunkt, zu dem das letzte Gerät eines Modelltyps an den Handel ausgeliefert wurde. Wurde das Gerät in der Gewährleistungszeit repariert, verlängert sich der Mängelhaftungszeitraum um ein Jahr, also auf drei Jahre. Dies soll die Reparatur gegenüber der Aushändigung eines mängelfreien Gerätes (§ 439 Abs. 1 BGB) attraktiver machen. Falls eine Reparatur nicht möglich ist, soll ein generalüberholtes Gerät angeboten werden. Um einen Reparaturmarkt abseits der Hersteller zu befördern, müssen Hersteller Ersatzteile und Werkzeuge zu angemessenen Preisen zur Verfügung stellen. Die Reparatur erschwerende Vertragsklauseln oder technische Hindernisse sind nicht erlaubt. So könnten zukünftig Softwarebeschränkungen von Apple hiergegen verstoßen.
Um Reparaturen attraktiver zu machen, verpflichtet die Richtline zu Maßnahmen wie Fördergelder für Reparaturen, Angebote zu Reparaturkursen oder die Bereitstellung zu Reparaturräumen – natürlich unter Zugriff auf EU-Gelder. Staatliche Online-Plattformen sollen helfen, „Reparaturbetriebe vor Ort, Verkäufer generalüberholter Geräte, Käufer defekter Geräte oder Reparaturinitiativen in der Nachbarschaft“ ausfindig zu machen. Doch wer soll das aktuell halten? Wie wird dem Konkurrenzschutz Rechnung getragen? Statt auf Markt und Privatinitiative setzt die EU im Zweifel auf Bürokratie. Umweltministerin Steffi Lemke hat bereits vorige Woche ihr Förderprogramm „Reparieren statt Wegwerfen“ vorgestellt, das Reparaturinitiativen, die als gemeinnützige Vereine organisiert sind, ab Dezember mit 3.000 Euro unterstützt.
In der Praxis werden sich die Hersteller den Pflichten teils entziehen können. Zwar soll die Reparatur zu „einem angemessenen Preis“ erfolgen, doch ist eine rechtliche Überprüfung von Abschreckungsangeboten kaum möglich. Auch kann der Hersteller dem Kunden „in Fällen, in denen die Reparatur unmöglich ist“, eine überholte Ware anbieten. Zudem dürfte die Handhabung des Herstellers gerade bei aus Nicht-EU-Ländern importierten Billigwaren zum Problem werden.
Pfandsysteme, Entsorgungspflicht und hohe Gebühren geplant?
Zwar zählt auch ein beauftragter Bevollmächtigter, der Importeur oder der Vertreiber des Produktes als Verpflichteter. Doch wie soll etwa ein deutscher Käufer eines chinesischen Produktes seine Rechte gegenüber einem rumänischen Importeur in der Praxis durchsetzen? Ungeklärt bleibt auch, wer bei einem aus mehreren Produktkomponenten zusammengesetzten Endprodukt als Hersteller anzusehen ist. Ein Sicherheits- und Haftungsproblem entsteht für den Hersteller durch die Vorgabe, daß er die Reparatur „nicht allein deshalb ablehnen [darf], weil eine frühere Reparatur von anderen Reparaturbetrieben oder anderen Personen vorgenommen wurde“.
Ein Vorteil der Richtlinie dürfte für Gebrauchtplattformen wie die vor 20 Jahren gegründete Berliner Firma Rebuy entstehen (Umsatz 2023: 216 Millionen Euro). Während bislang überwiegend gebrauchte Elektronikgeräte ohne Reparaturbedarf gehandelt wurden, verbessert sich die handwerkliche Kompetenz durch den Zugang zu Ersatzteilen, Werkzeugen und Serviceunterlagen. Auch dürfte ein reparaturfreundliches Design Einzug halten, das zukünftig etwa den Akkuersatz beim Handy auch für versierte Laien möglich macht. Wie allerdings die Kombination aus Förderung und Zwang bei der „Wärmewende“ zeigt, besteht die latente Gefahr, daß das „Recht auf Reparatur“ das „Recht auf Wegwerfen“ einschränken könnte – durch Pfandsysteme, Entsorgungspflichten und hohe Gebühren.
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg. europarl.europa.eu/thinktank/de/document/EPRS_BRI(2023)753927