Es ist immer gefährlich, wenn sich Künstler in den Dienst einer Ideologie begeben. Ist der für die Dauer ihrer Geltung mit ekstatischer Wollust vollführte Tanz ums goldene Kalb vorbei, das Kalb vom Sockel gestürzt und dessen johlende Anhängerschaft abgetaucht – man nennt das auch Dialektik der Geschichte –, werden sich unverzüglich die Priester des neuen Glaubens einstellen und den Künstler, der als Prominenter nicht einfach im Schutz der Masse untertauchen kann, erbarmungslos mit den Fehlleistungen der Vergangenheit konfrontieren.
Worauf man nach dem Ende der totalitären Exzesse in China, der Sowjetunion oder dem Irak setzen konnte, nämlich auf mildernde Umstände für opportunistische Mitläufer, sollte man im Land der Gründlichkeit und der sozialen Hygiene lieber nicht spekulieren. Und so arbeiten sich Kultur- und Medienschaffende auch zwanzig Jahre nach ihrem Tod an Leni Riefenstahl (1902–2003), dem Regie-Wunderkind der NS-Ära, ab. Die Medienschaffende, die als Produzentin hinter „Riefenstahl“, dem neuen Dokumentarfilm von Andres Veiel, steht, ist dabei selbst eine Prominente. Es handelt sich um ARD-Talk-Königin Sandra Maischberger.
Der Film feierte seine Uraufführung bei den diesjährigen Filmfestspielen in Venedig. Maischbergers Engagement rührt von einem unbefriedigenden Interview her, das sie um den 100. Geburtstag der Filmikone herum mit ihr geführt habe und bei dem sie „nicht an sie rangekommen“ sei. Riefenstahl habe ihr manipulierte und verdrehte Wahrheiten serviert. „Ich war mir aber nicht sicher: Lügt sie mir ins Gesicht, oder hat sie sich selber schon so lange belogen, daß sie den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge nicht mehr erkennt?“, so die Produzentin, die im ARD-Interview natürlich auch pflichtschuldig betont: „Wir sprechen eine Generation an, die durchaus wieder im Nationalen ein Heil sehen könnte. Das ist die Zeit, in der wir uns bewegen.“ Mehr Relevanz geht also kaum.
Eine Spruchkammer stufte sie 1949 als politische Mitläuferin ein
Es gibt einen Satz von Leni Riefenstahl – er fällt etwa in der Mitte des Films –, der erkennen läßt, welche Last die gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Hitler-Regime, dessen Günstling die Hochbegabte zweifelsohne war, für ihre Lebensjahrzehnte danach bedeutete. „Es wäre schön, früher gestorben zu sein“, bekennt die sonst so lebensbejahende Regie-Diva da. Als Wunschjahr für den verfrühten Tod nennt sie 1939. Bis dahin sei es immer nur nach oben gegangen.
Doch dem phänomenalen Aufstieg folgte dann so viel Bedrückendes. Dazu darf man wohl auch ihr gescheitertes Engagement als Kriegsberichterstatterin vom Polen-Feldzug 1939 zählen, den sie – offenkundig wegen der zu starken psychischen Belastung – abbrechen mußte. Wurde sie schon früh Zeugin von Kriegsverbrechen? Später wollte sie davon nichts wissen. Das gilt auch für die Verwendung von in Lagern inhaftierten Sinti und Roma als Statisten bei den Dreharbeiten zu „Tiefland“ 1944. Auf den Archivaufnahmen sieht man fröhliche Kinder und eine entspannt mit ihnen interagierende Regisseurin. Was wußte sie über die Herkunft und die spätere Ermordung der südländisch aussehenden Komparsen?
Endgültige Antworten muß auch dieser Film schuldig bleiben. Immerhin eine liefert das Urteil der Spruchkammer im „Säuberungsverfahren“ gegen die der NS-Kollaboration Beschuldigte aus dem Jahr 1949. Es stufte sie als politische Mitläuferin ein. Andres Veiel stellt den Entscheid unkommentiert neben die „Tiefland“-Anekdote.
Für den Film wurde ihr Nachlaß erstmals umfassend ausgewertet
Als leitmotivisch wiederkehrenden Verfremdungseffekt nutzt der Regisseur, der schon mit der preisgekrönten RAF-Doku „Black Box BRD“ (2001) auf sich aufmerksam machte, Zelluloidstreifen, von denen oft mehrere nebeneinander ins Bild gesetzt werden. Sie symbolisieren das unnachahmliche Gespür der Filmkünstlerin für ausdrucksstarke Bilder, manipulative Perspektiven und nicht zuletzt die effektive Montage der gelochten Schnipsel im Schnittraum. Eine Reihe von Beispielen aus ihren Propagandafilmen „Triumph des Willens“ (1935) über den Nürnberger Reichsparteitag der NSDAP 1934 und die Olympischen Spiele in Berlin 1936 belegen das filmästhetische Vermögen der gebürtigen Berlinerin, das ausgerechnet unter Hitler zur vollen Blüte kam.
Vor allem sind es aber Ausschnitte aus Gesprächen, die den Film prägen: mit den TV-Sendern CBC (1965) und BBC (1976), für die CBS-Show „60 Minutes“ (1979) und die SWR-Sendung „Lebensläufe“ (1980). Ganz zum Schluß ist auch von den Dreharbeiten zu Heinrich Breloers Doku-Dreiteiler „Speer und Er“ (2005), für den Riefenstahl, fast hundert Jahre alt, noch einmal all ihre Kräfte mobilisierte, eine kurze Szene zu sehen. Aufschlußreich – allerdings nicht nur in bezug auf den prominenten Interviewgast, sondern auch auf die verantwortliche Redaktion – sind ferner die Ausschnitte aus der WDR-Talkshow „Je später der Abend“, in der Riefenstahl am 30. Oktober 1976 mit einer einfachen Arbeiterin provoziert werden sollte, die beim Hitlerismus nicht mitgemacht hatte. Säckeweise Zuschauerzuspruch für die Bloßgestellte war die Folge.
Zu Beginn von „Riefenstahl“ sind aber erst mal Bilder aus der weißen Welt des Alpinismus zu sehen: Die Bergfilme von Arnold Fanck erfreuten sich in der Weimarer Republik beachtlicher Beliebtheit und brachten nicht nur Luis Trenker, sondern auch der ehrgeizigen Schauspielerin Helene Bertha Amalie Riefenstahl frühen Filmruhm. Ausschnitte aus „Der heilige Berg“ (1926), „Die weiße Hölle vom Piz Palü“ (1929) und „Stürme über dem Mont Blanc“ (1930) sowie aus „Das blaue Licht“ (1932), Riefenstahls erster Arbeit als Regisseurin, zeigen eine mutige junge Frau, die eisiger Kälte und beträchtlichen Höhenmetern trotzt. Wie stark sich die von ihr berichtete Aussage ihres Vaters: „Schade, daß du kein Junge geworden bist!“ auf die innere Härte, die Leidensfähigkeit und die Beharrungskräfte der jungen Schauspielerin ausgewirkt haben, mag jeder Zuschauer für sich selbst beantworten. Nur selten meldet sich Sprecher Ulrich Noethen kommentierend oder einordnend zu Wort, wenn die Bilder mal nicht für sich sprechen.
Abgerundet wird der Dokumentarfilm durch Aufnahmen, die die Regisseurin privat auf ihrem Grundstück am Starnberger See mit ihrem deutlich jüngeren Lebensgefährten, dem Kameramann Horst Kettner, zeigen, den sie 1967 kennenlernte, sowie von deren gemeinsamen Reisen in den Sudan. Hier fand Riefenstahl unter Angehörigen des afrikanischen Urvolks der Nuba den nötigen Abstand zu zudringlichen Vergangenheitsaufarbeitern. Mehrere Afrika-Bildbände legen Zeugnis davon ab, daß die Meisterin des Bildes auch in vorgerücktem Alter nichts von ihrem scharfen Blick und visuellen Verständnis eingebüßt hatte.
700 Kisten, die heute von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz beherbergt werden, umfaßt Riefenstahls Privatarchiv. Maischbergers Mannschaft wertete diesen Nachlaß für den Film erstmals umfassend aus. Herausgekommen ist dabei eine Doku, die Fragen der Ethik nicht nur hinsichtlich der Rolle der Reizfigur Riefenstahl während der NS-Zeit aufwirft, sondern auch im Hinblick auf die Verfahrensweise der Filmemacher selbst: Wie redlich ist es, Aufnahmen und Dokumente, die von der Interviewten ausdrücklich nicht zur Veröffentlichung freigegeben waren, nun doch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen? In einer Szene ist ein Wutanfall der leicht Erregbaren zu sehen, als sie sich (was häufiger vorkommt) bewußt mißverstanden fühlt und einen Dreh im Wohnzimmer abbricht. Ferner sind private Telefonanrufe, die die Diva in Nixon-Manier aufzeichnen ließ, Teil der Dokumentation.
Wie auch immer man zu diesen Indiskretionen stehen mag, denen mancher das Etikett Voyeurismus aufdrücken wird, bleibt doch unbestreitbar, daß Andres Veiel ein ausgesprochen abwechslungsreiches und somit keine Sekunde langweiliges Porträt der Ausnahmekünstlerin mit der schwierigen Vergangenheit gelungen ist. Und wie eingangs gesagt, leben Künstler eben mit einem besonderen Risiko, auch dem, daß ihnen nach ihrem Tod die Deutungshoheit über das eigene Leben komplett abhanden kommt.
Fotos: Adolf Hitler und Propagandaminister Joseph Goebbels besuchen Leni Riefenstahl in ihrer Villa in Berlin-Dahlem (Kontaktbogen von Heinrich Hoffmann 1937); die Filmemacherin 1993 in der Dokumentation „Die Macht der Bilder“ von Ray Müller: Nachlaß in 700 Kisten
Leni Riefenstahl (1902–2003) bei Dreharbeiten zu dem Film „Tiefland“: Was wußte sie über die Herkunft und spätere Ermordung der als Statisten eingesetzten Sinti und Roma?
Kinostart ist am 31. Oktober