Reisen bildet. Wie sonst auch sollten Großstädter einen Blick bekommen für Probleme in peripheren Regionen. So erging es mir vergangene Woche bei einer Tour nach Ostfriesland an die Nordseeküste. Während einer Fischkutterfahrt erfuhr ich von den Nöten der dortigen Krabbenfischer. Ihr Geschäft ist die sogenannte grundberührende Fischerei, bei der ihnen Krabben, Plattfische und andere bodennah lebende Fische ins Netz gehen. Mit dieser Fangmethode bestreiten sie ihren Lebensunterhalt. Doch jetzt müssen sie um ihre Existenz bangen. Grund dafür ist ein Maßnahmenplan der Europäischen Union, der das Fischen von Krabben mit Grundschleppnetzen in Meeresschutzgebieten untersagen könnte. Erste Einschränkungen rund um die Ostfriesischen Inseln sollten bereits ab diesem Jahr greifen. Nach Protesten von Betroffenen sowie Kommunal- und Landespolitikern bis hinauf zu Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir, die sich allesamt für die Belange der Krabbenfischer einsetzten, ist ein pauschales Schleppnetzverbot nun zwar zunächst vom Tisch. Der EU-Aktionsplan jedoch reicht bis ins Jahr 2030.
Dem Kolumnisten Harald Martenstein geht es oft um die Auswüchse Politischer Korrektheit.
Vereinsmeierei ist nicht so mein Ding. Anfang dieser Woche hörte ich jedoch wie gebannt zu, als im Morgenradio von einem Verein zur Verzögerung der Zeit die Rede war. Eine Recherche ergab dann, daß er 1990 von einem emeritierten Universitätsprofessor in Klagenfurt gegründet worden war. Der Name des international tätigen Vereins soll nach dessen eigenen Angaben darauf hinweisen, „daß in unserer Kultur und in der heutigen Zeit der Entschleunigung wesentlich mehr Beachtung geschenkt werden sollte, als der ohnehin fast automatisch auf uns eindrängenden Beschleunigung“. Das ist meine Rede seit Olims Zeiten. Weiter heißt es in der Selbstdarstellung des gemeinnützigen Vereins, der sich selbst eher als Netzwerk versteht: Die „verhängnisvollen Auswirkungen, welche die oft nicht zu Ende gedachten und aktionistischen Beschleunigungstendenzen in allen Lebensbereichen mit sich bringen“, forderten es geradezu heraus, sich wieder mehr Zeit zu nehmen, um „reife Entscheidungen“ zu treffen. Laut Satzung verpflichten sich die Vereinsmitglieder dazu, „innezuhalten und nachzudenken dort, wo blinder Aktionismus und partikuläre Interessen Scheinlösungen produzieren“. Recht so! Mehr über den Verein gibt es unter www.zeitverein.com.
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Harald Martenstein: Es wird Nacht, Señorita. Gedanken über die Beglückungen der Gegenwart. C. Bertelsmann, München 2024, gebunden, 224 Seiten, 22 Euro