© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/24 / 01. November 2024

Zeitschriftenkritik: taz FUTURZWEI
Dagegenhalten von links
Werner Olles

Wer ist das Volk“ fragt das vierteljährlich erscheinende Magazin für Zukunft und Politik taz FUTURZWEI (Eigenschreibweise) im Titelthema seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 30/2024) und beginnt mit den beiden „Alt-Frankfurter Schwergewichten“ Joschka Fischer und Jürgen Habermas am Beispiel von Krieg und Frieden in der Ukraine. Fischer, der „Praktiker der Kritischen Theorie“, betont, daß die Ukraine „nicht verlieren dürfe, weil Putin sonst weiter in den Westen gehe“, während Habermas die Erfahrung irritierend findet, daß ein Kriegsausbruch in Europa „kein erschrockenes Nachdenken auslöste, stattdessen eher bellizistische Effekte“. Eine seltsame Welt tut sich hier auf, wenn der Ex-Außenminister und Propagandist des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Nato auf Serbien im Sinne Carl Schmitts im Druck der Verhältnisse das Politische erblickt und der ehemalige Adorno-Assistent nach Auswegen aus der Spirale des Tötens sucht. 

Magazinherausgeber Harald Welzer beschreibt, wie die „liberale Demokratie zur Beute ihrer Feinde wird“. Mit seiner Aussage „Gerade wenn das Gemeinsame auch emotional nicht mehr erfahren wird, wird das ‘Wir’ der Trumps, Le Pens, Melonis und Orbáns attraktiv“ liegt er zwar nicht falsch, aber sein Gegenrezept ist banal. Wenn die „gutgemeinte Aufklärung“ hinter der Dynamik der Rechten zurückbleibe, so Welzer, müsse es in Zukunft darum gehen, konkrete politische Arbeit vor Ort zu leisten im Bündnis mit der freiwilligen Feuerwehr, dem Roten Kreuz, Umweltorganisationen, Volkshochschulen, Kirchen und dem vorpolitischen Raum.

Interessanter ist das Interview mit Thomas Krüger, Chef der Bundeszentrale für politische Bildung. Er erkennt, daß sich der Nationalstaat zur Demosperspektive auch die Ethnosperspektive dazuholen muß und daß politische Bildung Politik nicht ersetzen kann. So sieht er neben den klassischen Kontroversen – rechts versus links – als neue kulturelle Achsen Kulturessentialismus versus Hyperindividualismus. Hinzu komme, daß die Globalisierungskritik inzwischen durch Rechtspopulisten gekapert worden sei. Der Globalisierungsaspekt habe keinen linken Mehrwert mehr, da die Linke nicht mehr an Kapitalismuskritik glaube. Die Frage sei, ob der Kapitalismus überhaupt noch Demokratie brauche. China führe uns jeden Tag das Dementi vor Augen. Eine Vernetzung der AfD mit der europäischen Rechten sieht er nicht, da die Partei durch ihre „starke extremistische Haltung“ im Unterschied zu den französischen und italienischen Rechtsparteien nicht „satisfaktionsfähig“ sei.

Weitere Beiträge: „Keine Zeit für Goebbels“ (Mariam Lau), „Wokeness ist ruiniert“ (Jens Balzer) und „Neunzig Prozent Trump“ (Janne Köder).


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