© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/24 / 01. November 2024

Gesundheitspolitik für eine Kultur des Miteinanders
Einsamkeitsempfinden nimmt zu

Die häufigsten Krankheitsdiagnosen im Gesundheitswesen sind gegenwärtig Ängste, Depressionen, Bluthochdruck oder vielfältige Reaktionen einer Unverträglichkeit mit den jeweiligen Lebensverhältnissen. Die heutigen Volkskrankheiten, so folgert Ellis Huber, der ehemalige Präsident der Ärztekammer Berlin, stellen mithin individuelle Antworten auf soziale Verwerfungen dar. Denn „die Beschwerden kranker Menschen haben immer auch psychosoziale und soziokulturelle Wurzeln“. Gesundheitspolitik, die das erkenne, sollte sich vom materiellen Reduktionismus heutiger Medizin, die den Menschen als Maschine sehe, verabschieden und durch verbesserte Bildungsangebote, gesündere Wohnverhältnisse und bürgerschaftliche Teilhabe für eine „gesundheitsförderliche Kultur des Miteinanders“ sorgen. Davon würden für die Psychologinnen Antonia Küttner und Janine Selle (Uni Halle) vor allem junge Menschen profitieren. Denn nicht, wie zu vermuten, Senioren, sondern Junge zwischen 16 und 30 Jahren litten am meisten unter einem Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe. Fast die Hälfte der Befragten in dieser Alterskohorte berichtet von Streß, Erschöpfung und Selbstzweifeln.  Zunehmende Einsamkeitsempfindungen und Depressionen stehen in einem starken wechselseitigen Zusammenhang, der erhöhter gesundheitspolitischer Aufmerksamkeit bedürfe – die zu einer Verbesserung des psychotherapeutischen Versorgungsangebots führen sollte. Ein erster Schritt wäre, die Forderung der Bundespsychotherapeutenkammer nach 1.500 zusätzlichen Zulassungen kassenärztlicher Psychotherapeuten zu erfüllen (Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 10/2024). (dg)  www.frankfurter-hefte.de