© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 45/24 / 01. November 2024

Die Brandmauer wackelt immer heftiger
EU-Parlament: Ein Großteil der Christdemokraten stimmte erstmals auch für AfD-Anträge. Linke, Grüne und Liberale sind deshalb hellauf empört
Julian Schneider

Der AfD im Europaparlament und ihrer Fraktion Europa der Souveränen Nationen (ESN) ist ein kleiner Coup gelungen. Erstmals hat ein Großteil der christdemokratischen EVP-Fraktion, aber auch einige Abgeordnete aus der liberalen Renew- und der sozialdemokratischen S&D-Fraktion in der vergangenen Woche für einige ihrer Änderungsanträge gestimmt – viele Grüne, Linke und Liberale waren deshalb außer sich. In der Folge ließen sie die zur Parlamentsposition gehörige – nicht bindende  – Resolution, die erklären soll, wofür EU-Gelder verwendet werden sollen, durchfallen. 

„Daß die Linken toben, zeigt uns, daß wir auf dem richtigen Weg sind“, betonte AfD-Haushaltspolitiker Alexander Jungbluth am Montag gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Er hatte zwei Anträge eingebracht, diefür mehr Mittel für Grenzzäune und Abschiebelager für Asylbewerber außerhalb der EU plädieren. „Alarm aus Europa!“ twitterte die grüne EU-Abgeordnete Alexandra Geese. Die EVP habe in der Haushaltsabstimmung „die Brandmauer mit der AfD und Orbáns Patrioten gebrochen“, klagte Geese. „Rechtsruck passiert.“ Ihr Grünen-Kollege Daniel Freund nannte es einen „Dammbruch“. Sein Parteifreund Grünen-Politiker Erik Marquardt fand das Abstimmungsergebnis einfach „krass“ und „ernüchternd“. Der Grünen-Mandatar Michael Bloss aus Stuttgart warnte: „Die Brandmauer fällt“. Weil die linken und liberalen Parteien daraufhin den Entschließungsantrag für den EU-Haushalt – mit der Forderung nach mehr als 200 Milliarden Euro Ausgaben für 2025 – durchfallen ließen, schrieb Bloss: „CDU und AfD bringen die Demokratie ins Wanken“.

AfD-Politiker Jungbluth freut sich hingegen. „Wir sind zwar die kleinste aller Fraktionen, aber trotzdem können wir etwas bewegen. Wir treiben gerade die CDU vor uns her.“ AfD-Delegationschef René Aust fügte hinzu: „Deutsche und internationale Mainstreammedien hatten geglaubt, wir könnten im EU-Parlament keinen Einfluß ausüben. Wir haben sie eines Besseren belehrt.“

Dagegen klagte die Vizevorsitzende der SPD-Gruppe im EU-Parlament, Gaby Bischoff, die CDU an: „Brandmauer ist für euch inzwischen Fremdwort.“ Der FDP-Abgeordnete Moritz Körner sagte der Süddeutschen Zeitung: „Die EVP hat jegliche Scham verloren.“ Dagegen sagte die CDU-Politikerin Lena Düpont auf die Kritik, die Vorwürfe nach dem vermeintlichen Eklat seien „billiger Populismus“. Denn was die AfD-Anträge beinhalteten, sei ja alles Beschlußlage der Union.

Im Zentrum vieler Anklagen von links steht EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP). Sie betreibe ein doppeltes Spiel, weil sie sich in Deutschland gemäßigt gebe, auf EU-Ebene aber die Zusammenarbeit mit Italiens „Postfaschistin“ Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia; FdL), die der rechten EKR-Fraktion angehört, suche, klagt die Linke. 

So hatte Iratxe García Pérez, S&D-Fraktionsvorsitzende, von der Leyen Mitte September heftig dafür kritisiert, die sie den rechten Italiener Raffaele Fitto (FdL) zum Vizepräsidenten der EU-Kommission küren will. „Der Cordon sanitaire funktioniert, solange die Fraktionen ihn funktionieren lassen: Bisher hat er mit anderen Fraktionen funktioniert, bei der EKR hat er offensichtlich nicht gehalten, weil die EVP ihn nicht anwenden wollte.“

Wie es im EU-Parlament um den Cordon sanitaire gegen Rechts wirklich steht, werden die Verhandlungen über den endgültigen EU-Haushaltsplan 2025 in den nächsten drei Wochen sowie die Anhörungen der vorgeschlagenen Kommissare in den zuständigen EU-Ausschüssen vom 4. bis 12. November zeigen.