Wird in Österreich der Bundespräsident gewählt, schaut man entspannt zu. Geht es um den US-Präsidenten, ist es anders – zumal angesichts eines wohl knappen Wahlausgangs. Und weil amerikanische Wahlkampffronten immer wieder mit deutschen Blockbildungen einhergehen, mit Linken auf seiten der US-Demokraten und Rechten mit Daumendrücken für die Republikaner, stärkt das siegreiche US-Lager in Deutschland die Hoffnungen der einen und die Sorgen der anderen. Immerhin weiß man bei Donald Trump schon, wozu er fähig oder weniger fähig ist, während Harris als Vizepräsidentin im Schatten Bidens wirkte, kaum Spuren hinterließ und sich im Wahlkampf klaren Aussagen durch Schwurbelei entzog. Also läßt sich leichter einschätzen, was ein Wahlsieger Trump statt einer Präsidentin Kamala Harris an der deutschen Lage veränderte.
Wichtig ist allerdings auch die ideologische Dimension des US-Wahlausgangs. In Deutschland ist die Rechte wie überall in Europa auf dem Vormarsch, kulturell und oft auch an Wahltagen. Ein Rechter wie Trump im Weißen Haus, falls der überhaupt mit dieser Kategorie zu fassen ist, löste Triumphgefühle in AfD- und auch Unionskreisen aus. Die linke Demokratin aber, falls sie denn mit ernstgemeinten Positionen aufträte, schenkte den Linksgrünen dahingehend Zuversicht, daß doch noch zu rechnen wäre mit den woken Progressiven an US-amerikanischen Küsten. Im Zusammenwirken mit diesen überwintert man eine CDU-Kanzlerschaft viel leichter.
Deutschen Populismus wird Trump kaum befeuern. Der ist gesättigt
Konkrete Auswirkungen auf das deutsche Parteienwesen sollte man vom Ausgang der amerikanischen Wahlen nicht erwarten. Womöglich machen sich manche Harris-Anhänger an Gegendemonstrationen, wenn Trump gewinnt. Das wird die USA aber so wenig erschüttern wie ihren neuen Präsidenten. Allenfalls innerdeutsche Polemiken zum politischen Stil dürften folgen. Sonderliche innenpolitische Folgen wird hierzulande nur jene Politik haben, die ab Januar betrieben wird – und eigentlich auch nur dann, wenn Änderungen in Aussicht stehen, die Deutschland unangenehme Lasten auferlegen. Das ist bei einem Wahlsieg von Trump aber wahrscheinlicher als beim Übergang von Biden auf Harris, gerade im Bereich der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik.
Hinsichtlich von Harris kann man es mangels klarer Ansagen zwar bei der Hoffnung belassen, sie werde irgendwie weiterführen, was Biden begonnen hat. Doch wie weit kann sie das tun als Präsidentin eines Landes, das sich nun dem Kräftemessen mit China zu stellen hat, obendrein stärker im Mittleren Osten gefordert werden wird – und eigentlich hofft, ein weiterhin US-loyales Deutschland werde in Europa allmählich die bisherige US-Führungsfunktion übernehmen? Als ob man hierzulande darauf geistig eingestellt wäre!
Deutschen Populismus wird ein Präsident Trump schwerlich weiter anfachen; der nämlich nährt sich schon bis zur Sättigungsgrenze aus den Fehlern der deutschen Politiker- und Journalistenschaft. Gar zu vermuten, Trumps Rückkehr ins Weiße Haus nach dem von ihm zumindest nicht verhinderten Sturm aufs Kapitol werde in Deutschland so etwas wie einen „neuen Reichsbürgerangriff auf den Bundestag“ auslösen, zeugt von unverständiger Lust am bloßen Analogisieren. Zwar bekommt Deutschland nach einiger Zeit den Schnupfen, wenn US-Amerika heftig niest. Doch die wesentliche Einwirkungskraft der USA auf die Bundesrepublik ist eine strukturelle, keine vor allem an die Präsidentschaft gebundene. Allerdings wird Harris keine „Obamania“ auslösen und auch nicht zum einst heiligenähnlichen Status von John F. Kennedy aufsteigen.
Leider ist es mit Europa und Deutschland dahin gekommen, daß man sich auch nach achtzig Friedensjahren ohne die USA sicherheitspolitisch so hilflos vorkommt wie ein Junge ohne seinen Vater. Erst recht ist es schlimm, daß die Auswahlmechanismen fürs höchste Staatsamt der USA am Ende bloß zur Wahl zwischen Pest und Cholera führten. Es wird also Zeit für einen Neuaufstieg Europas, falls der noch möglich ist.
Prof. Dr. Werner J. Patzelt ist emeritierter Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft an der TU Dresden.
Sollte Donald Trump seine angekündigten Zehn-Prozent-Zölle gegen Europa einsetzen, könnte es diesmal schwieriger werden, sie im Rahmen eines transatlantischen Freihandelsabkommens wieder abzuschaffen – eine Chance wurde 2018 verpaßt. Klar ist, daß beide Kandidaten China als Hauptkonkurrenten sehen. Trump wird Zölle gegen das Reich der Mitte erheben – 60 Prozent sagt er: Wer dann nicht mitmacht, wird selbst mit Handelsabgaben belegt. Die amtierende Vizepräsidentin Kamala Harris wird es diplomatischer versuchen.
Da dies die Verträge der Welthandelsorganisation bricht, bereitet die EU diskret Gegenzölle vor. Nun sitzen die mit ihrem großen Binnenmarkt wenig außenhandelsabhängigen USA in einem Handelskrieg am längeren Hebel. Sie exportieren fossile Energie, Weizen, Sojabohnen, High-Tech und Rüstungsgüter, die für Strafzölle kaum taugen, zumal Trump erneut relativ risikofrei drauflegen könnte.
Wer bei Trumps Zöllen gegen China nicht mitmacht, wird selbst belastet
All dies wäre mit den verbundenen Milliardenverlusten Gift für die schwer angeschlagene europäische und speziell die deutsche Wirtschaft und würde neue Industrieinvestitionen abschrecken. Dazu kommt der Umleitungseffekt chinesischer Exporte, die die USA nicht mehr abnimmt und die angesichts der Überkapazitäten im Reich der Mitte mit Dumpingpreisen auf den Markt drängen werden.
Positiv überraschen könnte Trump beim Thema Sanktionen. Er hat sich grundsätzlich skeptisch dazu geäußert und insbesondere eine Aufhebung der Strafen gegen Rußland bei Ukraine-Friedensverhandlungen genannt. Das „deal making“ steht bei ihm bekanntlich hoch im Kurs. Profitieren könnte die deutsche Wirtschaft, ist sie doch viel stärker als die selbst Öl fördernden USA von günstigen Energieimporten abhängig. Kosten, die Trump im Sinne seiner Wähler drücken will. Bleiben die Gaspreise hierzulande oben, wird dies die Abwanderung deutscher Produktion weiter befördern. Beide Kandidaten werden die Kernenergie ausbauen, dabei aber auf deutsche Technologie verzichten und die „Energiewende“-Bundesrepublik so im atomaren Abseits stehen lassen. Harris geht es dabei ums Klima, Trump um die Strompreise.
Deutsche Autobosse warnten unlängst vor einer erneuten Trump-Präsidentschaft. Der Ex-Präsident forderte die Autobauer auf, künftig ihre Werke in den USA zu betreiben, falls sie den Schutzzöllen entgehen wollten. Deutschlands schwächelnde Wirtschaft und das jetzt schon überlastete Budget dürften so weiter schrumpfen. Einige hiesige Unternehmen hoffen also auf Harris und daß sie nicht lästiger wird als ihre demokratischen Amtsvorgänger.
Auf wirtschaftliche Konfrontation unabhängig vom Gewinner dürfte der EU-Digital Services Act (DSA) hinauslaufen. Er wird in Washington als Fehdehandschuh gesehen, da er „endverbraucherorientierte“ Technologiekonzerne schärfer belangt als solche, die Unternehmen als Kunden haben. Erstere sind in aller Regel US-amerikanisch, die europäischen Größen wie SAP oder Atos zählen zu letzteren. Im Gegenzug werden die Amerikaner verstärkt Kartellrecht und nationale Sicherheit gegen EU-Firmen einsetzen. Auch hohe Strafzahlungen wie beim Dieselskandal könnten verhängt werden.
Ob Zölle überhaupt zum Problem werden, ist derweil eine andere Frage: Wenig bekannt ist, daß der transatlantische Handel in Trumps erster Präsidentschaft zulegte. Das lag aber am Euro, der deutlich schwächer war als unter Obama und die Kostensteigerungen der Zölle ausglich. Traditionell waren Außenhandelsabgaben eher ein Thema der Demokraten, Freihandel Thema der wirtschaftsfreundlichen Republikaner. Die Fronten haben sich seit 2017 verschoben. Freihandel hat gar keine Freunde mehr. Besonders bedenklich ist Trumps Wende. Nutzte er in seiner ersten Präsidentschaft Zölle als Einsatz im Verhandlungspoker, so erklärt er heute Zölle zur Einnahmequelle für die Finanzierung von Steuererleichterungen, die wiederum die Rückkehr der Industrieproduktion unterstützen sollen. Wieviel davon Wahlkampfrhetorik ist, kann man noch nicht abschätzen.
Thomas Kirchner ist Gründer und Manager der US-Spezialfondsgesellschaft Camelot Event-Driven Advisors.
In etlichen Staatskanzleien Europas schrillen die Alarmglocken. In Brüssel ließ Ursula von der Leyen ihren Stabschef Björn Siebert eine Art Krisenstab einrichten, der für alle Eventualitäten vom Handelskrieg bis zum Abbruch der US-Ukrainehilfe gewappnet sein soll. Das ist leichter gesagt als getan, da Trump unberechenbar ist. So hat er sich mit nahezu allen seinen früheren außen- und sicherheitspolitischen Mitstreitern zerstritten, die während seiner Amtszeit 2017 bis 2021 seine Impulsivität einbremsten.
Kamala Harris dagegen galt, bevor sie medial hochgejubelt wurde, als außenpolitische Nullnummer, die auf illegale Migranten aus Mexiko angesprochen, entwaffnend antwortete, sie wäre noch nie in Europa gewesen. Wie für viele US-Amerikaner findet auch für sie der Rest der Welt reflexartig südlich der Grenze statt. Dies, obwohl die kalifornische Anwältin als Tochter einer tamilischen Ärztin und eines Jamaikaners lange Jahre in Kanada aufgewachsen ist. So erwartet man außenpolitisch die lustlose Fortsetzung des Kurses von Joe Biden: Handelsprotektion, die Stützung des US-Rüstungs- und Energiesektors, den Versuch China einzudämmen und die halbherzige militärische Unterstützung der Ukraine, Südkoreas, Taiwans und Israels. Während Biden sich bereits als Senator für Delaware jahrzehntelang um gute transatlantische Beziehungen bemühte und als der letzte Europäer im Weißen Haus gilt, zählt seine mögliche Nachfolgerin nicht als solche.
„Weiter so“ mit der Biden-Politik?
Der Bedeutungsverlust schreitet voran
Trump schlägt im politischen und medialen Kontinentaleuropa allgemeine Ablehnung entgegen, die er in seiner Verachtung von EU und Nato aus vollem Herzen erwidert. Die Außenpolitik sah der gelernte Immobilienentwickler stets als die Kunst, „Deals“ zu machen; am liebsten mit Autokraten, die liefern konnten und Kunden, sprich Verbündeten, die zahlen sollten. So nannte er Südkorea jüngst einen „Geldautomaten“, der für US-Verteidigungsleistungen zu leeren sei.
Klingt bedrohlich für Deutsche: Wir erfüllen zwar inzwischen das zugesagte Zwei-Prozent-Ziel des Verteidigungshaushalts am Bruttoinlandsprodukt, aber nur unter Zuhilfenahme von Taschenspielertricks, wie Pensions- und Sozialkosten der Bundeswehr als Wehrausgaben auszuweisen. Doch was, wenn Trump nicht jener Friedensengel ist, als den er sich angekündigt hat? Der durch ein Telefonat mit Selenskyj und Putin den Ukraine-Krieg in den ersten Tagen beendet, sondern der den Europäern sagt: Das ist euer Krieg. Warum sollen Amerikaner für ihn bezahlen? Dann wird Deutschland sparen müssen und die Schuldenbremse aussetzen oder als moralpolitischer Maulheld lächerlich werden.
Nicht auszuschließen ist, daß er Kiew sofort den Nachschub kappt und in Moskau mit einem großen Zimmermannsbleistift ohne große Rücksichtnahmen um örtliche Befindlichkeiten im Donbass – schließlich hielt er Finnland einmal für einen Teil Rußlands – eine Demarkationslinie zeichnet und einen Waffenstillstand ausruft, mit oder ohne US- und Nato-Sicherheitsgarantien für die Rest-Ukraine.
Als Isolationist hat es Trump im Gegensatz zu seinen Vorgängern vermieden, sich in fremde Kriege zu verstricken. Den kopflosen Rückzug aus Kabul im September 2021 hat er gekonnt auf das Konto seines Nachfolgers laufen lassen. Seine Sicherheitsgarantie für Taiwan beschreibt er schlicht: Peking wisse, er sei „fucking crazy“ („total verrückt“). Gerade in seiner Unberechenbarkeit liegt sein Abschreckungswert, sollte China die Insel wie geplant durch eine Luft- und Seeblockade abschnüren wollen. Im Stil der Außenpolitik dürfte es wieder die von niemandem vermißte Rückkehr zu getwitterten Dreizeilern mit Drohungen, vollmundigen Ankündigungen und mehr oder minder rüden Kommentaren zum Weltgeschehen geben.
Also doch heimlich für Kamalas Sieg beten? „Weiter so“ der Biden-Politik? Die Afrika-Gipfel vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping und der BRICS-Gipfel im russischen Kasan haben den weltweiten Bedeutungsverlust des Westens dramatisch illustriert. Eine Rückkehr zur Realpolitik und einer EU-Außen- und Verteidigungspolitik tut deshalb dringend not. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen am 5. November.
Dr. Albrecht Rothacher ist Gesandter-Botschaftsrat der EU a.D. auf Posten in Wien, Tokio, Paris und Singapur