Das neue Problemviertel in Kiel ist eigentlich gar keines. Die Politik hat es dazu gemacht. Eigentlich gilt der Stadtteil Wik als bürgerlich. Selbst eine Unterkunft von Asylbewerbern sorgte für wenig Ärger. Bis dort eine Gruppe von 30 Roma einzog. Seitdem geht es drunter und drüber. Anwohner beschweren sich über laute Musik, Verschmutzung und Vandalismus. Auch von Einbrüchen und Körperverletzungen ist die Rede.
Beschwerden bei der Stadtverwaltung verliefen mehr oder weniger im Sande. Bis sich der Sozialdezernent zu Wort meldete. „Sie halten sich nicht an Ruhezeiten, drehen spätabends die Musik laut auf. Sie schmeißen ihren Müll achtlos auf den Boden. Und was am schwersten wiegt, stehlen im nahe gelegenen Supermarkt“, schrieben die Kieler Nachrichten einleitend zu einem Interview. „Wir kommen an eine Grenze, an der auch die Nachbarschaft selbst mitmachen kann. Wir brauchen genügend Menschen, die sich engagieren: Die sich zum Beispiel trauen, ihre Wohnung zu verlassen und den Menschen sagen, daß es keine gute Idee ist, nach 22 Uhr die Musik auf dem Rasen voll aufzudrehen. Oder diejenigen, die die Polizei rufen“, sagte Dezernent Gerwin Stöcken und sorgte damit für einen Sturm der Entrüstung.
Allein in den vergangenen zwölf Monaten wurden rund 800 Delikte von den Bewohnern der Gemeinschaftsunterkunft verübt. Der Großteil der Straftaten wird der „Puschen-Gang“ zugeordnet. So werden sie genannt, weil sie hauptsächlich in Hausschuhen herumlaufen. „Sie leben nach ihren eigenen Regeln“, äußerte sich Sozialdezernent Stöcken fast väterlich und fügte hinzu: „Sie tun es meist ohne ein Unrechtsbewußtsein. Deshalb wirken auch die polizeilichen und gerichtlichen Interventionen nicht.“ Die Folge: Zahlreiche Bürger gingen auf die Barrikaden, protestierten bei der Verwaltung. Auch die Lokalpresse lief Sturm. „Er windet sich wie ein Förde-Aal“, höhnte die Bild-Zeitung über den überforderten Dezernenten. Die AfD im Stadtrat witterte ihre Stunde, beantragte eine Aussprache. „Ich bin irritiert, wie schnell es sich in der Debatte reduziert hat auf die Menschen, die sich nicht an die Regeln halten“, gab Stöcken zum Besten und sorgte dabei für Gelächter. Immerhin räumte er mittlerweile ein, sein Interview habe einen falschen Zungenschlag bekommen. Der AfD-Abgeordnete Fabian Voß hatte das Thema auf die Tagesordnung der Ratssitzung gebracht. „Menschen fühlen sich in der Stadt nicht mehr sicher.“ Das dürfte sich auch nicht ändern. Eine grüne Stadtverordnete stellte fest, daß Kriminalität kein Problem sei, das nur Migranten betreffe. Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD), ohnehin kein Typ „Durchgreifer“, kündigte an, daß Polizei und Ordnungsdienst verstärkt werden. Seine Forderung: Die Justiz solle schneller Urteile fällen. Doch konkrete Vorschläge, wie das genau funktionieren soll, blieben aus. „Luschen-Plan gegen Puschen-Clan“, ätzte die Bild.
Zurück bleiben die ratlosen Anwohner. Besonders bitter für sie: 2015, als das Aufnahmelager eingerichtet wurde, präsentierte man sich betont flüchtlingsfreundlich, organisierte Kleiderspenden und backte Kuchen. Davon will man nun nichts mehr wissen.