Trotz Kritik will sich der niedersächsische Verfassungsschutz nicht von linksextremen Schlachtrufen distanzieren, die er zuvor in den sozialen Netzwerken verbreitet hatte. Konkret schrieb der Inlandsgeheimdienst am 14. Oktober: „‘Siamo tutti antifascisti!’ Ob das die ‘Antifa’ genauso sieht? Wobei es ‘die’ Antifa gar nicht gibt.“ Auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT teilte die Behörde mit, die Parole sei „deutlich als Zitat kenntlich gemacht und ist somit nicht als Aussage des niedersächsischen Verfassungsschutzes zu verstehen“. Allerdings teilte der Geheimdienst nicht mit, von wem das Zitat stammen soll. „Das besagte Zitat ist als solches verstanden worden. Es hat darauf keine weiteren kritischen Reaktionen gegeben“, behauptete ein Sprecher der Behörde weiter.
Dies ist allerdings nicht richtig, da sowohl CDU als auch AfD die „Wir sind Antifa“-Äußerungen scharf kritisiert hatten, die ebenfalls Teil der Beitragsreihe gewesen waren. „Diese Äußerung des Verfassungsschutzes ist inakzeptabel und nicht tragbar“, kritisierte etwa der verfassungsschutzpolitische Sprecher der CDU im Landtag, Christoph Plett, gegenüber der Hannoverschen Allgemeinen.
Ähnliche Töne hatte auch der AfD-Fraktionsvorsitzende Klaus Wichmann angeschlagen. „Antifa steht seit langem für politische Gewalt und Linksextremismus“, sagte er der jungen freiheit. Der Politiker ergänzte mit Blick auf den Inlandsgeheimdienst: „Wer sich selbst begrifflich in die Nähe von Verfassungsfeinden und Straftätern rückt, kann sich nachher nicht damit rausreden, er befasse sich von Amts wegen auch mit Rechtsextremismus. Antifa ist kein neutraler Begriff, sondern seit Jahren eine politische Position – eine linksextremistische Position.“
„Fortlaufend kritisch betrachten“
Die Auffassung von AfD und CDU teilte die Behörde nicht. „Wenn sich der niedersächsische Verfassungsschutz als antifaschistisch bezeichnet, dann erfolgt dies selbstverständlich im demokratischen Sinne und damit im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie unter Wahrung des Neutralitätsprinzips“, sagte Pressesprecher Frank Rasche der Hannoverschen Allgemeinen. Laut Rasche könne abgeleitet werden, daß jeder Demokrat Antifa sei. „Laut Bundesverfassungsgericht stehen im Zentrum der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Würde des Menschen, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip.“
Auf dem Kurznachrichtendienst X argumentierte der Verfassungsschutz: „Zur Klarstellung: Wir nehmen unsere Aufgaben auf Grundlage der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wahr. Die Ablehnung von Faschismus und jeglicher Form von menschenfeindlicher Ideologie sind in ihr verankert. Jede Person, die hinter der fdGO steht, ist antifa(schistisch).“
In den sozialen Netzwerken waren die Äußerungen auf heftige Kritik der Nutzer gestoßen. Allein unter dem Beitrag auf X finden sich fast 300 meist negative und kritische Kommentare zu den Einlassungen des Inlandsgeheimdienstes. Grundsätzlich werde die Arbeit des Verfassungsschutzes, der der niedersächsischen Innenministerin Daniela Behrens (SPD) untersteht, „fortlaufend einer kritischen Betrachtung unterzogen, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen“, so die Behörde.
Die Einschätzung des Nachrichtendienstes teilen auch die Grünen im Landtag: „Unser Grundgesetz ist in seiner Entstehung eine sehr deutliche Reaktion auf den Nationalsozialismus. Der Verfassungsschutz ist klar an diese antifaschistische Ausrichtung gebunden und lebt das auch“, sagte der Sprecher für Innenpolitik und Antifaschismus der Grünen-Fraktion, Michael Lühmann. Er führte weiter aus: „Das Mißverständnis fußt auf einer Verkürzung des Begriffs Antifaschismus. Es wird der Eindruck erweckt, Antifa sei gleichbedeutend mit gewalttätiger linker Militanz.“
Im Unterschied zum staatlich verordneten „Antifaschismus“ des SED-Regimes in der damaligen DDR galt in der Bundesrepublik zunächst wenigstens bis in die siebziger Jahre der antitotalitäre Grundkonsens, der sich gleichermaßen gegen die Bedrohung der freiheitlichen Demokratie von Rechts- wie Linksaußen zur Wehr setzte.
Der Schlachtruf „Siamo tutti antifascisti“ wird immer wieder auf linksextremen Demonstrationen skandiert, bei denen regelmäßig auch Polizisten angegriffen werden.