Herr Lynch, wird ein Präsident Trump Amerikas Probleme lösen?
Rudyard Lynch: Ich glaube nicht.
Warum?
Lynch: Trump ist ein Babyboomer und typisch für sie ist es, die Tragweite der gegenwärtigen Probleme nicht zu verstehen, weil diese während des größten Teils ihres Lebens noch nicht existiert haben.
Zum Beispiel?
Lynch: Nehmen Sie etwa Homer Simpson aus der populären TV-Serie „Die Simpsons“. Homer ist die Verkörperung des Babyboomer-Amerikas: Er ist ein einfacher Arbeiter (im örtlichen Atomkraftwerk) und finanziert damit ein Haus, ein Auto und den Lebensunterhalt einer vierköpfigen Familie plus Hund. Doch das ist Geschichte – obwohl die Serie nach wie vor läuft, existiert das Homer-Simpson-Amerika nicht mehr.
Und das ist die Schuld der Babyboomer-Generation?
Lynch: Mitunter denke ich, was den Westen zerstört, ist tatsächlich ihre Politik, die Ausweitung der Einwanderung, die Aufblähung des Wohlfahrtsstaats, all die Zahlungen ins Ausland – alles Dinge, die zur Zeit der prosperierenden Gesellschaften der Babyboomer vielleicht ihren Sinn hatten, heute aber nicht mehr funktionieren. Die aber dennoch von einer ständig wachsenden Bürokratie am Leben gehalten werden. Trump wird nicht in der Lage sein, dagegen einen Neuentwurf zu formulieren.
Gewinnt er die Wahl überhaupt?
Lynch: Das Rennen ist eng, aber ich neige zu einem Ja, da der Zeitgeist auf seiner Seite ist.
Inwiefern?
Lynch: Fast alles, was in den Nachrichten auftaucht, läßt Trump gut, Kamala dagegen schlecht dastehen.
Warum?
Lynch: Weil sich die Linke vor Jahren ihr eigenes Grab geschaufelt hat. Heute ist sie ein politischer Untoter, der sich zwar noch bewegt, aber kein Leben mehr in sich hat. Denn sie operiert auf einer marxistischen Agenda von vor fünfzig Jahren, die heute keinen Sinn mehr ergibt. Doch durch ihr Festkrallen daran, hat sich die Linke um jede strategische Flexibilität gebracht, auf die neue Realität reagieren zu können.
Sie meinen, sie ist nicht in der Lage, sich heutigen Herausforderungen anzupassen? So wie es etwa in Deutschland Sahra Wagenknecht mit ihrem BSW versucht.
Lynch: Ich bin mit der Lage in Deutschland nicht so vertraut, doch die Linke wird von einem Wechselspiel aus Kabale – also planvoller Absicht – und populistischem Sturm – die emotionalen Äußerungen ihrer Basis – vorangetrieben. So entspringen etwa die Politisierung von Rasse und Sexualität auf der Linken einem strategischen Kalkül, nachdem die Arbeiterklasse heute nicht mehr als Grundlage linker Macht taugt. Das Problem ist nur, daß das linke Fußvolk die eigene Propaganda glaubt und mit einer sich verselbständigenden Fanatisierung reagiert. Das macht es der Linken unmöglich, pragmatisch auf Probleme zu reagieren, weil jedes Abirren von der reinen Lehre einen Wutsturm der eigenen Basis erzeugt, der jeden Abweichler wegfegt.
Erklärt sich so auch, weshalb die Linke auf jemanden wie Kamala Harris setzt, obwohl sie offensichtlich den Anforderungen nicht gewachsen ist und mit jedem Auftritt für Umfrageeinbußen sorgt? Aber sie ist eben eine schwarze Frau und voll auf Linie, und das gefällt der Basis.
Lynch: So ist es, wobei noch dazukommt, daß es für Oligarchien nicht unüblich ist, einen Narren vorzuschieben, um im Hintergrund diskret die Strippen zu ziehen. Kamala garantiert, daß das eigenartige Interessengeflecht aus Wirtschaftsunternehmen und radikalem linken akademischem Sektor, das hinter der Demokratischen Partei steht, ungestört weitermachen kann und nicht etwa ein frischer, charismatischer Anführer den Interessen der Strippenzieher im Parteiestablishment in die Quere kommt.
Zum Beispiel?
Lynch: Etwa erläßt Kalifornien, Hochburg der Linken, ein neues Mindestlohngesetz für Gastronomiebetriebe, das allerdings so geschneidert ist, daß die Bäckereikette „Panera Bread“ – einer der großen Spender der Demokraten – nicht davon betroffen ist. Harris ist im Grunde die Vertreterin einer alten Kaste, die nach politischer Kontrolle durch sozialistische Ideen strebt. Sie haben Geld und Macht und wollen beides ausweiten, und sie können sicher sein, Kamala wird ihnen dabei nicht ins Handwerk pfuschen. Ein weiteres Problem der Linken ist, daß sie aus zuvor beschriebenen ideologischen Gründen einem großen Teil der Wähler kein attraktives Angebot mehr zu machen vermag, nämlich heterosexuellen, weißen Männern. Und schließlich hat die Linke ob ihrer Verbohrtheit in die eigene Ideologie kein Verhältnis mehr zu Leistung und Pragmatismus, und damit auch nicht zur realen Welt. Und so nähert sie sich dem Punkt, an dem ihr politisches Kapital aufgezehrt ist.
Und wenn doch Harris gewinnt?
Lynch: Das kann sein, widerspräche aber dieser langfristigen Entwicklung nicht. Solange es der Linken nicht gelingt, sich aus dem Griff eines selbstsüchtigen Establishments und einer wildgewordenen Basis zu befreien, um endlich den Bürgern wieder etwas anbieten zu können, wird sie sich insgesamt in einer Abwärtsspirale bewegen.
Moment, tatsächlich ist die Linke heute mächtiger als je zuvor. Sogar gegen Wissenschaft und Vernunft kann sie durchsetzen, es gäbe mehr als zwei Geschlechter – oder wie Orwell es ausdrückte: „Krieg ist Frieden, Freiheit Sklaverei und Ignoranz Stärke“
Lynch: Richtig, aber auch das ist kein Widerspruch, denn Imperien zerfallen, wenn sie ihre Macht überdehnen. Ob Römer, Araber, Türken oder Briten, immer hatte der innere Verfall bereits begonnen, als ihre Reiche die größte territoriale Ausdehnung erlangten. Die Linke war in der Lage, die Institutionen des etablierten Amerikas zu übernehmen, hat aber dabei jene Fähigkeiten eingebüßt, die ihr dies ermöglicht haben. Um ihre Macht zu bewahren, muß sie nun die Konservativen von der Macht fernhalten. Doch ist sie bereits an einem Punkt, an dem ihr das nur noch möglich ist, indem sie den Zugang zur Macht blockiert. Denn auf herkömmlichem, demokratischem Wege ist die Linke dabei, ihre Konkurrenzfähigkeit zu verlieren. So muß sie ihre Macht über die Institutionen dazu nutzen, einen Eisernen Vorhang gegenüber den Konservativen herabzulassen, der diese möglichst aus dem demokratischen Wettbewerb ausgrenzt.
Was, wenn Trump gewinnt?
Lynch: Dann wird er, wie gesagt, keine neue Machtstruktur etablieren, also die Verbindung von Politik, Großunternehmen, Medien sowie politischen Ideen. Er hat das schon während seiner ersten Amtszeit nicht getan und er wird es auch in einer möglichen zweiten nicht tun.
In Deutschland verbreiten viele, zum Beispiel der „Spiegel“, daß er diesmal den Faschismus einführt.
Lynch: Absurd.
Warum?
Lynch: Gut, es gibt einen Personenkult um Trump, aber sonst? Doch selbst wenn er es wollte, er ist viel zu alt dafür. Im übrigen fehlen in den USA die Voraussetzungen, denn in Deutschland war die Etablierung des Faschismus nur möglich, weil die damals tonangebende Klasse, die Konservativen, gewillt waren, im Kampf gegen die Linke mit den Nazis zu kooperieren. Diese Bereitschaft gibt es in den USA nicht. Im übrigen wird der Begriff Faschismus heute völlig beliebig verwendet – es scheint, daß die Leute gar nicht mehr wissen, daß er eine bestimmte Bedeutung hat.
„Was ist die Rechte? Auf diese Frage weiß keiner eine Antwort“
Nämlich?
Lynch: Faschismus ist eine totalitäre, nationalistische Ideologie, die zwar auch in den USA Anhänger hat – allerdings so gut wie nicht in der politischen und gesellschaftlichen Elite. Sagen wir es also so, sollte Trump gewinnen und damit dann folglich der „Faschismus“ Einzug halten, so wird dies der erste Faschismus mit Meinungsfreiheit, Bürgerrechten, unabhängigen Gerichten und freien Wahlen sein. Nein, solange es in den USA keine „Französische Revolution“, also einen totalen Zusammenbruch und Chaos gibt, gibt es für die amerikanischen Faschisten schlicht keinerlei Mechanismus, der ihnen erlaubt, etwa die Republikanische Partei zu übernehmen, denn die ist fest im Griff klassischer Liberaler. Auch fehlen dem Faschismus fast alle gesellschaftlichen Ansatzpunkte, die er in Italien oder Deutschland hatte, so haben die USA etwa weder ein ethnisch homogenes Volk noch die Erinnerung an ein mächtiges Römisches Imperium, das wir wiederherstellen wollen etc. Nach meiner Erfahrung haben amerikanische Konservative auch keine Vorstellung davon, was Faschismus eigentlich ist. Sie kennen in der Regel gar keine faschistischen Vordenker, sondern sind inspiriert vor allem von britischen Denkern oder amerikanischen Konservativen wie etwa dem schwarzen Soziologen Thomas Sowell.
Sie meinen, Trumps mögliche zweite Amstzeit würde wie seine erste. Die allerdings hat nicht den erhofften beziehungsweise befürchteten Umschwung gebracht. Wird sich also der ganze Riesen-Rummel um Trump, sowohl seiner Anhänger als auch seiner Gegner, im Rückblick als Seifenblase herausstellen – seine Regierung als Intermezzo und keineswegs als Begründung einer, ob zum Guten oder Schlechten, neuen Epoche?
Lynch: Richtig, und die spannende Frage ist deshalb auch nicht, ob Trump regiert und wenn ja, was er tun wird. Die spannende Frage ist, was geschieht nach ihm.
Warum?
Lynch: Wann immer ich jemanden frage: Wofür steht die amerikanische Rechte eigentlich? ist die Antwort: Keine Ahnung. Und das stimmt, niemand weiß, was die Rechte heute ist, weil sie aus einer Vielzahl unterschiedlicher Ideen und Gruppen besteht, die sich derzeit alle um Trump sammeln. Momentan ist er es, der durch seine Person diese Disparität überdeckt und die Rechte eint. Allerdings ist er bereits 78, und so wird die Rechte spätestens in einigen Jahren vor der Frage stehen, wer sie ist und in welche Richtung sie sich entwickelt.Und da wird es spannend, denn es gibt keine gemeinsame rechte Ideologie, keine einheitliche rechte Kultur und keine führende rechte Institution. Das ist übrigens ein Problem, vor dem nach meiner Einschätzung die gesamte westliche Rechte steht. Denn der Westen hat es heute überall mit einer nihilistischen, ja geisteskranken, weil auf Selbstabschaffung hinsteuernden Herrschaftselite zu tun. Nachvollziehbarerweise formiert sich dagegen überall Widerstand, aber außer in der Ablehnung dessen ist – und ich nehme an, auch in bei Ihnen Deutschland nicht – überhaupt nicht klar, wofür dieser eigentlich stattdessen steht.
Haben Sie eine Antwort?
Lynch: Klar ist, daß es nach Trump keine Rückkehr zur Vorherrschaft des sogenannten Country-Club-Konservatismus – also dem Konservatismus des bisherigen Establishments – geben wird, weil dafür die gesellschaftlichen Voraussetzungen nicht mehr da sind. Doch ich sehe im Moment nicht, daß eine andere Fraktion der US-Rechten das Potential hat, dessen Stelle einzunehmen. In spätestens vier Jahren muß die Rechte eine neue Antwort geben, da die Amtszeit eines Präsidenten auf maximal zweimal vier Jahre begrenzt ist. Und eigentlich müßte das auch die Linke, doch wird diese das nicht tun, weil sie, wie gesagt, in der Hand einer fanatisierten Basis ist, die jeden Abweichler mit neuen Ideen wegsäubert.
Welche Optionen sehen Sie auf der Rechten?
Lynch: Um zu verstehen, von was ich spreche, muß man verstehen, daß früher schon „Bürgerkriege“ auf der Rechten ausgetragen wurden, etwa zwischen der alten Rechten der Adeligen und der liberalen Rechten britischer Prägung, der bürgerlichen Geschäftsleute. Oder zwischen dieser und der Rechten des autoritären „Big Government“ Hitlers und Mussolinis. Die liberale Rechte setzte sich durch, doch heute fehlen ihr, die sich auf den Protestantismus und Kapitalismus stützte, die gesellschaftlichen Voraussetzungen. Und so ist die Frage, welche Strömung wird die Rechte der Zukunft prägen? Ich sehe vier Kandidaten mit mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg, die – von uns Zeitgenossen eher unbemerkt, weil immer erst aus der Rückschau deutlich werdend – darum ringen könnten, zur führenden Idee zu werden. Erstens: Der Darwinismus, der heute völlig stigmatisiert ist, obwohl wir wissen, daß er biologische Realität ist. Vor allem aber könnte das Tabu, mit dem er belegt ist, erodieren, weil die jetzige Elite den Vorwurf des Sozialdarwinismus – sprich man sei ein Nazi – so inflationär und willkürlich nutzt, daß er irgendwann nichts mehr bedeutet und damit das Tabu verschwindet. Zweitens: Die Technologie, denn wir beobachten bereits, wie in der BigTech-Sphäre aufgrund der unglaublichen Möglichkeiten neuer Technologien, diese zum Ausgangspunkt einer Ersatzreligion werden, inklusive der Hoffnung auf Erlösung von allen Leiden und Nöten und sogar des Tods durch die Technik. Drittens: Der Marxismus, wofür spricht, daß unsere Welt heute weitgehend von marxistischen Vorstellungen unterfüttert ist, auch wenn das den meisten nicht bewußt sein wird. Damit ist es nicht unwahrscheinlich, daß sich eine künftige Rechte auf diesem Fundament entwickeln könnte. Viertens: Das Christentum, denn auch wenn es im Verfall begriffen ist, ist es noch sehr verbreitet, und anders als Europa, das weitgehend agnostisch ist, betrachtet sich noch jeder vierte Amerikaner nach eigener Einschätzung als religiös. Keine dieser Strömungen muß sich übrigens in Reinform durchsetzen, vielmehr könnte die Zukunft sie auf ganz eigene Art verschmelzen.
Rudyard Lynch: Der kanadisch-amerikanische Nachwuchshistoriker wurde 2001 in Massachusetts geboren, wuchs in Pennsylvania auf und besuchte das Bates College, eine traditionsreiche Privatuniverstät in Maine. Sein Kanal „Whatifalthist“ ist mit knapp 700.000 Abonnenten eines der größten amerikanischen Angebote zum Thema Geschichte auf Youtube.
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