Die Lebensleistung eines Verstorbenen in den Schmutz zu ziehen und sich selbst damit im Licht des Zeitgeistes zu sonnen, dazu bedarf es wenig. Aktuell demonstriert das gerade der in Nassau an der Lahn aufgewachsene und in München lebende Historiker Stefan Holler. Im Mittelpunkt seiner „Studie“ steht Günter Leifheit (1920–2009). Ein Unternehmer, der für das Wirtschaftswunder der jungen Bundesrepublik steht. Leifheit hatte 1959 gemeinsam mit seiner Frau die Günter Leifheit KG Metallwarenfabrik Nassau/Lahn gegründet, die schnell zum führenden Produzenten für Haushaltsgeräte wuchs und an deren Anfang Teppichkehrer Regulus stand. „Leifheit“-Haushaltshelfer hatten bald einen Bekanntheitsgrad von neunzig Prozent und die Firma wurde der größte Gewerbesteuerzahler in der schwer zerstörten Stadt.
In Nassau galt Leifheit bisher als „bemerkenswerte Persönlichkeit, die sich mit einem unermüdlich scheinenden Elan und mit Hingabe für die Interessen der Allgemeinheit engagierte“, wie die Heimatzeitung anläßlich seines 100. Geburtstags schrieb: „Mit seiner bescheidenen und ruhigen, aber doch sehr zielstrebigen Art hat er unermeßlich viel für die Stadt Nassau geschaffen.“
Es war in Nassau allerdings ein offenes Geheimnis, daß der erfolgreiche Unternehmer in seiner Jugendzeit ein überzeugter Nationalsozialist gewesen ist, der bereits 1932 als Elfjähriger in die Hitlerjugend eintrat und es bis zum hauptamtlichen Jungbannführer in Wuppertal brachte und daß er während des Krieges in der Waffen-SS kämpfte. Selbst daß es sich dabei um eine Pioniereinheit der späteren 1. SS-Panzer-Division Leibstandarte Adolf Hitler (LSSAH) handelte, konnte jeder wissen, der eine 2017 erschienene Biografie gelesen hatte. Autor Wolfgang Redwanz schreibt von der „Pionierkompanie des 1. SS-Panzerregiments“, in der es Leifheit bis zum Kompaniechef brachte.
Bis zum Kriegsende blieb Leifheit nur Untersturmführer
Nassaus Bürgermeister Manuel Liguori räumte im Gespräch mit dem SWR ein, daß Leifheits NS-Zeit „schon einmal in den 90er Jahren Thema im Stadtrat war, aber nicht weiter verfolgt wurde“. Für die Biographie „Es muß den Menschen dienen“ habe er in Nassau mit sechzig bis siebzig Personen gesprochen, und es „waren durchaus einige, die mir von seiner Mitgliedschaft bei der Waffen-SS erzählt haben“, berichtet Biograf Redwanz ebenfalls im SWR. Leifheit selbst schwieg sich über jene Jahre aus. Für ihn war die Jugendzeit ein abgeschlossenes Kapitel, mit dem er nichts mehr zu tun haben wollte. Daß erklärt auch, weswegen der Unternehmer offenbar bei den von 1968 bis 1978 in Nassau stattfindenden Veteranentreffen der Leibstandarte nicht gesehen wurde.
In den Augen Hollers hat sich Leifheit seiner NS-Vergangenheit allerdings nicht gestellt, und Biograph Redwanz habe dessen Soldatenzeit „ausweichend und verharmlosend“ beschrieben. Aber vielleicht gab es nicht viel mehr zu berichten, als daß Leifheit „beim Kriegseinsatz in Rußland verwundet wurde und bis zum Lebensende Granatsplitter im Körper“ behält, wie Redwanz schreibt: „Auch die Bewegungsfreiheit seiner rechten Hand und seines Oberarms bleibt eingeschränkt.“
Tiefgreifende Recherchen hat Holler nicht vorgenommen. Der von ihm zusammengerührte Giftbrei besteht vor allem aus zwei Komponenten: aus dem im Bundesarchiv einsehbaren Wehrstammbuch und den in ihm enthaltenen Informationen zu Laufbahn, Musterung, Dienstzeiten, Beförderungen, Ausbildungen, Einsatzorten, Auszeichnungen und Verwundungen und Beurteilungen von Dienstvorgesetzten sowie der im Online-Lexikon nachzulesenden Geschichte der Leibstandarte, die trotz hoher Verluste immer wieder auf rund 20.000 Mann aufgefüllt wurde. Tagebücher oder Einsatzberichte, in denen Leifheit oder zumindest seine Kompanie eine Rolle spielt, kann Holler nicht vorweisen. Unklar bleibt, warum Leifheit, der 1938 Mitglied der NSDAP wurde und sich 1940 als „länger dienender Freiwilliger“ für die Waffen-SS gemeldet hatte, als Soldat auch ein Aufnahmegesuch für die Allgemeine SS stellte.
Aber auch wenn er dem jungen Soldaten keine konkreten Verfehlungen nachweisen kann, spekuliert Holler munter drauflos: „Leifheit kämpfte, mit Unterbrechungen, von September 1940 bis Mai 1945 im Fronteinsatz, erhielt dafür zahlreiche Auszeichnungen und wurde mehrfach verwundet. Leifheit dürfte also mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn nicht Mittäter, so doch Mitwisser“ der Kriegsverbrechen der Leibstandarte gewesen sein.
Eine steile These, die der SWR noch um einiges verschärft, in dem er die Frage stellt, ob der spätere Vorzeige-Unternehmer „aufgrund seines hohen Ranges und seiner umfangreichen Fronterfahrungen“ nicht „möglicherweise an Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verstrickt gewesen war. Und für den Münchner Merkur war Leifheit bereits ein „hochrangiger SS-Offizier“. Nun hatte es Leifheit trotz fünfjähriger Dienstzeit lediglich zum Untersturmführer gebracht. Diesen Dienstgrad erhielt er nach Besuch der Junkerschule in Braunschweig 1943. Er entsprach dem niedrigsten Offiziersrang der deutschen Streitkräfte, dem des Leutnants. Beförderungen erfolgten bis Kriegsende nicht, und auch die Kriegsauszeichnungen künden eher von schlichter Teilnahme als von herausragendem persönlichen Einsatz: EK2, Infanteriesturmabzeichen in Bronze, Ostmedaille, Verwundetenabzeichen in Schwarz.
Dazu kommen durchweg schlechte Beurteilungen durch seine Dienstvorgesetzten. Zwar wird er an der Offiziersschule prinzipiell als „zum SS-Führer und Pionierzugführer geeignet“ eingestuft, aber gleichzeitig wird ihm bescheinigt, „in seinem Benehmen muß er stets beaufsichtigt werden, da er zu jugendlicher Überheblichkeit neigt“. Arroganz und „sein entschlossenes Draufgängertum“ machen ihn auch an der Front bei „Kameraden und Untergebenen allgemein unbeliebt“, heißt es in einer schriftlichen Einschätzung: „SS-Untersturmführer Leifheit ist ein junger, noch vollkommen unreifer Führer, der stark zum Angeben neigt. Durch überstraffes Auftreten versucht er starke Lücken in seinen militärischen Kenntnissen zu verbergen. Charakterlich ist er unreif und bedarf noch einer harten Erziehung.“ Unterschrieben ist das Dokument von SS-Hauptsturmführer und Regimentsadjutant Gerhard Nüske. Aber auch SS-Obersturmbannführer und Regimentskommandeur Joachim Peiper hat es abgenickt. Eine derart schlechte Beurteilung, so Holler, könne aus heutiger Sicht „fast als Auszeichnung gewertet werden“, denn der Schwerterträger Peiper und sein Adjutant seien nachweislich Kriegsverbrecher gewesen.
Trotzdem liest sich Hollers Fazit vernichtend: Leifheit habe „zuletzt als Kompanieführer einer Pioniereinheit der an Kriegsverbrechen beteiligten ‘Leibstandarte Adolf Hitler’ an vorderster Front Verantwortung im Kampf gegen die Alliierten übernommen“ sowie als Waffen-SS-Offizier den NS-Unrechtsstaat in befehlender Position unterstützt. Die Politiker von Nassau und Garmisch-Partenkirchen – wo der Unternehmer seinen Zweitwohnsitz hatte und das er ebenso großzügig bedachte – müssen nun entscheiden, wie sie mit diesen Anschuldigungen umgehen.
Kaum eine andere Antwort, als den Stab über Leifheit zu brechen
„Darf man im 21. Jahrhundert eine Schule, eine Stiftung, eine gemeinnützige GmbH, ein Kulturhaus und eine Senioreneinrichtung nach einem ehemaligen überzeugten Offizier der Waffen-SS und belasteten Nationalsozialisten benennen“, fragt Holler scheinheilig. Und wie soll man damit umgehen, daß seit Jahrzehnten Millionenbeiträge aus einem Stiftungsvermögen fließen, mit denen in Nassau und Umgebung (gemeinnützige „G. und I. Leifheit Stiftung“) sowie in Garmisch-Partenkirchen (Leifheit-Stiftung) soziale Projekte finanziert werden? Holler legt indirekt den Kommunalpolitikern nahe, daß es gar keine andere Antwort geben kann, als den Stab über Leifheit zu brechen: „Günter Leifheit hat aus innerer Überzeugung aktiv in einem Unrechtssystem mitgewirkt. Er hat sich nicht gegen das Regime gestellt und er hat auch nicht versucht, sich ihm zu entziehen. Ohne das Mitwirken von Menschen wie Günter Leifheit wäre das NS-Regime nicht handlungsfähig gewesen.“
Foto: Soldaten der Waffen-SS an der Ostfront 1944: Leifheit bedarf noch einer harten Erziehung