© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/24 / 25. Oktober 2024

Dorn im Auge
Christian Dorn

Alles Fake! Von Aufklärung keine Spur. Im Radio nervt der erbärmliche Luschen-Song „Ich laß für dich das Licht an“ der Band Revolverheld – passender wäre der Name „Pantoffelheld“. Via Radioaktivität erfahre ich auch von der Genese des Bandnamens „Spandau Ballet“, der eigentlich auf die in Spandau gefertigten Maschinengewehre im Ersten Weltkrieg zurückgeht, wenn die im Stacheldraht der Schützengräben hängenden Schwerverletzten sich nach den Treffern im Todeskampf noch zuckend bewegten – was von den Soldaten zynisch „Spandau-Ballett“ genannt wurde. Treffend dazu erklingt daraufhin der Spandau-Ballet-Song „Only when you leave“ von 1984. Nur wenige Tage zuvor hatte der Moderator desselben Rundfunksenders, MDR Sachsen-Anhalt, anläßlich der Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag des Anschlags auf die jüdische Gemeinde in Halle an der Saale vom „Jubiläum“ des Attentats gesprochen. Fast zeitgleich spricht die Deutschlandfunk-Moderatorin in originärer SED-Diktion von der „BRD“ – statt von Deutschland oder der Bundesrepublik. In der DDR, so der Satiriker und Karikaturist Bernd Zeller, sei das Westfernsehen kostenlos gewesen. Heute müsse man dafür bezahlen, ohne es zu gucken. Einen Lichtblick verheißt hier die von ihm online publizierte Zeller Zeitung (zellerzeitung.de), nicht zuletzt durch die Links zu den „Mehrzellern“ (zum Beispiel: seniorenakruetzel.blogger.de sowie tagesschauder.blogger.de) oder den PDF-Cartoon-Geschichten wie „Die Aufarbeitung des Grünen Reiches“ und „Der Untergang des Grünen Reiches“.

Ich träumte von einer Adaption von Hitchcocks „Vögeln“, diesmal mit Drohnen über dem Keml.

Meine eigenen Gedanken arbeiten eher an einem Drehbuch, so Anfang September, als ich aus Poltawa ein Lebenszeichen vom Schriftsteller Christoph Brumme erhalte, unmittelbar nach einem der schwersten Raketenangriffe auf die Ukraine seit Kriegsbeginn. Er sei nur „drei Bushaltestellen entfernt von dem Einschlag“ gewesen. Noch vor seinem – unbedingt lesenswerten – jüngsten NZZ-Gastkommentar „Wer schützt den Himmel über Rußland? In Moskau herrscht leise Sorge und laute Hysterie“ träumte ich von einem Thriller: eine Adaption von Hitchcocks „Vögeln“, nur diesmal in Form von zahllosen, den Himmel vedunkelnden Killerdrohnen über dem Keml, die den Roten Platz zuvor in ein Schwarzes Loch verwandeln – gewissermaßen einer Apotheose ex negativo, in Anlehnung an Viktor Jerofejews Reflexionen über den hier konzentrierten, überdimensionierten Nukleus der inszenierten Sowjetmacht.


Diese literarische Fiktion unterscheidet sich freilich von dem außenpolitischen Gärtner Deutschlands, Annalena Baerbock, die en passant von einem Krieg mit Rußland fabulierte. Echte Aufklärung verspricht hier der jüngste Titel „Best of Baerbock“ des Publizisten Werner Reichel, der bereits in „Der deutsche Willkommenswahn“ die entsprechenden Zitate der Protagonisten mit nimmermüder Luzidität in einer Tiefenschärfe analysiert und kommentiert hatte, psychologisch, moralisch und gesellschaftspolitisch, was das Baerbock-Buch – wie bereits den „Willkommenswahn“ – schon jetzt zu einem polithistorischen Klassiker macht.