© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 44/24 / 25. Oktober 2024

Unmut über die EU-Asylpolitik
EU-Regierungschefs streiten um illegale Migration: Italiens Asylplan wird indes gerichtlich einkassiert. Meloni steht mit ihrem Plan wieder am Anfang
Albrecht Rothacher

Der Berg kreißte und gebar eine halbtote Maus. In Brüssel trafen sich 27 EU-Regierungschefs. Fast alle wollten weniger illegale Migranten und eine zügige Abschiebung abgelehnter oder krimineller Asylbewerber. Ausnahmen bildeten Belgien und Spanien. Die linke spanische Regierung arbeitet derzeit an einer Reform, die Zehntausenden Ausländern den Aufenthalt und die Arbeitserlaubnis erleichtern soll. Zudem soll abgelehnten Asylbewerbern eine vorübergehende Legalisierungsmöglichkeit geboten weden. Ein heikler Interessenskonflikt. Um so mehr, weil aktuell eine Million Binnenflüchtlinge aus dem Libanon unter israelischem Bombenhagel unter anderem auf die EU-Insel Zypern drängen. Konkrete Lösungen wurden also dringend benötigt, doch wie üblich stritten sich die 27 und einigten sich gerade einmal auf einen Text von 47 Zeilen.

Der Europäische Rat forderte indes eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern in Form von umfassenden, gegenseitig vorteilhaften Partnerschaften, um den Ursachen zu begegnen sowie Menschenhandel und Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Sichere und legale Migrationswege seien im Einklang mit nationalen Zuständigkeiten von entscheidender Bedeutung für eine geordnete Migration. Zudem rief der Rat zu entschlossenem Handeln auf allen Ebenen auf, um die Rückführung aus der Europäischen Union zu erleichtern, zu verstärken und zu beschleunigen. Dies sind alles eher Gemeinplätze, außer daß die polnische „vorübergehende“ Aussetzung des Asylrechts gebilligt wurde. 

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte den 27 EU-Regierungschefs zuvor einen Brief geschickt. Darin recycelte sie genau das, was die EU-Kommission schon 2015 veröffentlicht hatte. Während der von Angela Merkel ausgelösten 

Migrationskrise präsentierte die Kommission damals den „EU-Aktionsplan für die Rückkehr“. Dieser forderte die „systematische – freiwillige oder erzwungene – Rückführung von Personen, die nicht berechtigt sind, in Europa zu bleiben“. Die Rückführung wurde den Staaten auferlegt. Nationen, die es mit dem Abschieben nicht ernst genug nehmen, wurde ein Vertragsverletzungsverfahren angedroht, denn die damaligen Rückführungsraten von immerhin 40 Prozent seien zu niedrig.

Abschiebungen oder Asylverfahren in Drittstaaten tauchten anschließend nicht mehr im EU-Asyl- und Migrationspakt auf, der in diesem Mai vor den EU-Wahlen nach jahrelangen Streitereien, angenommen wurde, aber erst 2026 in Kraft treten soll. Nun forderten 16 EU-Staaten, darunter Deutschland, Österreich, Italien, Schweden und Frankreich, gemeinsam mit den drei Schengenländern Schweiz, Norwegen und Liechtenstein, eine Reform des Asyl- und Migrationspakts. In einem „Non-Paper“ verlangten sie Bestimmungen für effizientere Abschiebungen und weniger illegale Ankünfte. Dafür soll die Behörde Frontex, die bislang nur illegale Ankünfte registrieren durfte, verstärkt werden. Die EVP möchte die zahnlose Grenzschutztruppe von 10.000 auf 30.000 Mann aufstocken. Zudem sollen Abkommen zur Rücknahme von Migranten verschärft werden. 

Deutschland, Frankreich und Spanien wollten eine frühere Umsetzung des Paktes, die Niederländer, Polen, Tschechen und Ungarn dagegen einen kompletten Ausstieg. Das Ergebnis ist ein heilloses Durcheinander.Deutschland hat einseitig Grenzkontrollen eingeführt. Polen hat das Asylrecht ausgesetzt, nachdem sich die Zahl über Minsk und Moskau eingeflogener Illegaler an den Grenzen Weißrußlands zu Litauen und Ostpolen verdreifacht hatte. Finnland hatte seine Grenzen zu Rußland ohnehin schon länger gegen das Einsickern unerwünschter Gäste geschlossen. 

Die Niederlande wollen einen kompletten Ausstieg aus der EU-Asylpolitik. Deren Ministerinnen für Entwicklungshilfe und Asyl verhandeln gerade mit Uganda die Abschiebung sämtlicher abgelehnter Asylbewerber ins Land, ähnlich wie dies die Tories mit Ruanda vorgehabt hatten – bis Gerichte und die neue Labour-Regierung das Projekt kassierten. 

Die Berufung wird zum letzten Rettungsanker

Italien hat nach einem Deal zwischen Giorgia Meloni und Albaniens sozialistischem Premier Edi Rama im Badeort Shengjin als „innovatives Modell“ ein Aufnahmelager, plus auf dem ehemaligen Militärflughafen Gjader ein Hauptlager für im Mittelmeer aufgegriffene Illegale mit einer Aufnahmekapazität von bis zu 36.000 Personen im Jahr einrichten lassen. Kostenpunkt: 360 Millionen. 

Doch hier hakt es. Meloni wollte erreichen, daß Migranten aus dem Mittelmeerraum außerhalb der EU – in Albanien –, untergebracht werden. Ein Gericht in Rom entschied nun, daß dies illegal sei, unter Berufung auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Die Zuwanderer, die nach Albanien geschickt werden sollten, dürfen nun doch nach Italien einreisen. Trotz dieser Niederlage hält Meloni an ihrem Plan fest und will durch eine Berufung eine Revision des Obersten Gerichts erwirken. 

Sie hat dafür ein Dekret veröffentlicht, das die Liste der „sicheren Herkunftsländer“ in ein Gesetz umwandeln soll. Diese Liste umfaßt Länder wie Albanien, Ägypten und Bangladesch. Doch die Entscheidung des Gerichts bedroht Melonis Pläne. 

Kritiker werfen ihr schon länger vor, gegen europäische und internationale Gesetze zu verstoßen. Sie befindet sich in einer Zwickmühle, da ihr Vorhaben nicht nur innerhalb Italiens, sondern auch von anderen rechten Regierungen Europas genau beobachtet wird, die ähnliche Maßnahmen erwägen.