Alarmstimmung bei den Grünen. Nachdem aufgrund einer Serie von Wahlniederlagen bereits die Führungsspitze um Omid Nouripour und Ricarda Lang ihren Rücktritt auf dem kommenden Bundesparteitag Mitte November angekündigt hat, geht es beim Nachwuchs der Öko-Partei derzeit noch weitaus turbulenter zu. Dort war der komplette Bundesvorstand nicht nur zurückgetreten, sondern hatte auch angekündigt, die Grüne Jugend (GJ) zu verlassen, um einen neuen linken Jugendverband ins Leben zu rufen. „Zeit für was Neues“ heißt das Motto, unter dem sich die Klimaradikalen neu erfinden wollen.
Im Raum steht die Gründung einer neuen Partei, ähnlich wie es Teile der Letzten Generation in der Vergangenheit bereits mit der „Klimaliste“ (Ergebnis bei der Europawahl: 0,1 Prozent) versucht hatten. Aber auch den Übertritt zur Linkspartei sehen die Abtrünnigen als ernsthafte Option. Längst hat die Austrittswelle auch die Landesvorstände erfaßt. Neun von ihnen haben ebenfalls komplett oder teilweise ihren Rücktritt und Austritt aus der Grünen Jugend angekündigt.
Unter ihnen befindet sich auch die ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend, Sarah-Lee Heinrich. Während die Grüne Jugend auf ihrem Kongreß am vergangenen Wochenende in Leipzig um ihren künftigen Kurs ringt, hält die 23jährige auf dem gleichzeitig stattfindenden Bundesparteitag der Linkspartei in Halle bereits eine Rede, in der sie die Zusammenarbeit ankündigt. Die Aktion dürfte lange im voraus geplant gewesen sein. Denn Heinrichs Rede erfolgte genau einen Tag nach der Wahl des neuen Bundesvorstands der GJ. Entsprechend angefressen reagieren dort die rund 600 Kongreßteilnehmer.
Trotz Unmut bleibt eine Austrittswelle aus
Die tagen in der Freien Oberschule in Leipzig. Die Turnhalle dient als Plenum, die Klassenräume sind mit Isomatten und Schlafsäcken gefüllt, fungieren als Übernachtungsstätte. Aufgeteilt sind sie nach „Früh- und Spätschläfer*Innen.“ Wobei „Frauen, inter*, trans* und nicht-binäre Personen“ noch einmal gesonderte Schlafzimmer erhalten.
Und auch für den Naßzellenbereich gelten ganz spezielle grün-alternative Gender-Regeln. So gibt es „offene Duschbereiche“ sowie „Frauen, inter*, trans* und nicht-binäre Duschen.“ Letztere wiederum erhalten „gesonderte Duschzeiten.“ Das vegane Essen wird vom Öko-Caterer geliefert, getrunken wird Mate-Tee und Haferkaffee.
Vor dem Schuleingang haben sich mehrere kleine Grüppchen gebildet, die über ihre aktuelle Situation diskutieren. „Es ist schon eine Sauerei, daß die sich einfach so vom Acker machen und wir das Ganze dann aus der Presse erfahren“, läßt einer seinem Unmut über den Austritt der bisherigen Vorsitzenden freien Lauf.
Andererseits sollen derlei Überlegungen schon weitaus länger im Raum gestanden haben, sagen sie. Demnach habe der ausgeschiedene Bundesvorstand schon während seiner Amtszeit Gespräche über den Aufbau einer linken Parallelorganisation geführt. Schnell wird aber auch klar: Um einen Richtungsstreit handelt es sich hierbei eigentlich nicht. „Inhaltlich wollen wir ja alle das gleiche“, sagen sie hier. Doch so einig sich der Öko-Nachwuchs in der Ablehnung von Robert Habecks Politik ist, so uneinig ist er sich über die richtige Strategie zur Durchsetzung seiner linksradikalen Verbotsphantasien. Ein Teil von ihnen sieht innerhalb der Grünen keine Zukunft mehr, will zur Linkspartei wechseln. Andere denken über die Gründung einer neuen Partei nach. Und eine dritte Gruppe möchte weiter innerhalb der Grünen wirken und die Partei noch weiter nach links verschieben.
Es gebe unterschiedliche Auffassungen über die richtige politische Strategie. So schätzt die Gruppe der Austrittswilligen die Chancen auf eine noch linkere Grüne Partei als gering ein. Sie will nun vielmehr die kriselnde Linkspartei mit ihrer radikalen Klima-Ideologie neu beleben und sie auf diese Weise über die Fünf-Prozent-Hürde bekommen. Das Problem der Gruppe: Lediglich das bisherige Spitzenpersonal hat die Grüne Jugend verlassen. Massenaustritte in der Breite der Organisation blieben dagegen bisher aus.
Die erheblich größere Gruppe der Verbliebenen sieht dagegen die Chancen größer, ihre Mutterpartei in linkere Gefilde treiben zu können. So wie ihr neugewählter Bundessprecher Jakob Blasel, eine einstige Führungsfigur der Klimabewegung Fridays for Future. Geht es nach dem mit 74,6 Prozent der Stimmen gewählten selbsternannten Klima-Aktivisten, werden künftig auch Mietzi, Bello oder Waldi grün-alternativen Verboten zum Opfer fallen. Denn Haustiere seien zwar „liebenswürdig und nett“, aber auch „ein ziemlicher Umwelt- und CO2-Luxus“, den man sich da leiste. Im Namen des Klimaschutzes sollte es untersagt werden, Tiere unnötig zu züchten, hatte der 24jährige früher einmal gefordert.
Seine mit 84,5 Prozent gewählte Co-Vorsitzende Jette Nietzard stimmt einen ebenso radikalen Kurs an. Die 25 Jahre alte studierte Erzieherin und überzeugte Feministin will Regierungsposten künftig „divers“ besetzen lassen, Reiche mit höheren Steuern belasten und mehr Migranten ins Land holen. Wie Blasel fordert sie mehr Umverteilung und Radikalität von ihrer Mutterpartei, die mit ihren Ampel-Partnern in der Koalition „keine faulen Kompromisse“ schließen dürfe.
Daß darüber hinaus auch Karriere-Überlegungen für den Verbleib bei der Grünen Jugend eine Rolle spielen wird anhand des ehemaligen GJ-Bundessprechers Timon Dzienus deutlich. Im Gegensatz zu seiner einstigen Co-Vorsitzenden Heinrich ist der 28jährige, der den Ex-Parteifreund Boris Palmer voriges Jahr noch als „rassistischen Kotzbrocken“ bezeichnete, die Faust auch schon mal zum kommunistischen Gruß hebt und die Haftstrafe für die Hammerbanden-Linksextremistin Lina Engel als „völlig übertrieben“ bezeichnete, in der GJ geblieben.
Grund dafür dürften auch hier weniger inhaltliche Fragen sein als die Tatsache, daß die Grünen Dzenius in Hannover als Bundestagskandidat mit Aussichten auf eine Listenabsicherung ins Rennen schicken werden.