© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Das System der exzentrischen WG
Bernd Zeller karikiert unsere Gesellschaft als bizarres Kammerspiel
Lothar W. Pawliczak

Der Satiriker und Maler Bernd Zeller ist stark mit entlarvend-ironischen Karikaturen und pointiert-hintergründigen Kurztexten. In der Exil-Reihe des Buchhauses Loschwitz präsentiert er nun vier Einakter, auch als Kammerspiel in vier Folgen aufzufassen. Unsere Gesellschaft wird in einem Subsystem vorgeführt, in einer Wohngemeinschaft. Gleich werden Regeln benannt: Planung der Bad- und Toilettenzeit für jeden, Wasserkontingent, Putzplan, wöchentliches WG-Ritual. Aber nicht jeder hält sich dran. Manche nehmen es sich heraus, gleicher zu sein. Die Ursache: „Furchtbar, was der Kapitalismus mit den Menschen anrichtet!“ Furchtbar, der Wohnungseigentümer Marc-Kevin Tölzig, „der jüngste Professor für Medienanalyse und Migrationspädagogik aller Zeiten“, muß seine letzte Kammer vermieten, weil die Gehälter „verfassungswidrig niedrig“ sind. „Wir nehmen aber auch gern Kontakt zu einfachen Menschen auf (…) Wir sind alle Opfer der Verhältnisse“, und so bekommt die junge Zana mit Kopftuch das Zimmer, „als Person wahrgenommen“, aber eigentlich Polin und bei der nächsten Gelegenheit als Diebin verdächtigt. Sie wird Putzfrau der WG, aber „wenn sich deine Klasse einmal erhebt, dann bin ich auf eurer Seite.“ Genug verraten, Textbuch lesen erfordert viel Phantasie.

Besser wäre eine Inszenierung, aber welcher Regisseur, welche Bühne würde das bringen? Starbesetzung wäre nötig: Harald Schmidt als Marc-Kevin sich in Selbstbeweihräucherung übend: „Mein Leben für die Wissenschaft, für die Gesellschaft, die Forschung. Die Gesellschaft, wie stolz das klingt.“ Als Zana die Gruberin Monika, die „etwas zu sehr den einseitig männlichen Phantasien entsprungen zu sein“ scheint. Jan Josef Liefers als Gundolf, der eine Zeitschrift herausgibt – finanziert mit „Fördermitteln gegen Rechts“ – mit einem Text von Kreci (Soziologe Schrägstrich Historiker): Inhalt egal, Hauptsache die Länge stimmt. In dieser Rolle Dieter Nuhr. Als Conny, der abgelegten Geliebten von M-K, Gerburg Jahnke. Mit einem Paketboten – gegeben von Dieter Hallervorden – klopft ein bißchen Realität an die Tür: „Sie sind also ein Vertreter der breiten Mehrheit … Sie fühlen sich keiner diskriminierten Minderheit zugehörig? Wie kompensieren Sie dieses Defizit?“ Und dann der Eckenbrüller: Markus Söder kommt aus Connys Zimmer (Der Text muß dafür ein wenig angepaßt werden.) – ihr „Untermieter“ zeichnet auch die WG-Genossen –, springt für M-K bei der Talkshow-Zuschalte ein und liefert die gewünschten Wortblasen ab: „… Und deshalb setzen wir auf ein klares Signal in all seinen Aspekten und Facetten für die Wertschätzung all derjenigen, die für die Demokratie …“ Und niemand merkt, daß er nicht der ist, der er ist.

Bernd Zeller: Systemtheorien. Vier satirische Einakter.Reihe Exil. Edition Buchhaus Loschwitz. Dresden 2024, broschiert, 119 Seiten, 17 Euro