Ja, der Freiheitskämpfer Javier Milei steckt an. Als er im Juni 2024 in Hamburg von der Friedrich August von Hayek-Gesellschaft mit der Hayek-Medaille ausgezeichnet wurde und den Saal betrat, sprangen die anwesenden Gäste spontan auf und skandierten „Libertad, Liber-tad“! Milei selbst war von dieser Reaktion erkennbar gleichermaßen überrascht wie gerührt. Soviel überschäumende Begeisterung kennt er aus seiner argentinischen Heimat und ganz Lateinamerika. Aber jetzt auch die kühlen Deutschen?
„Milei kann die Welt verändern“, sagt Philipp Bagus, deutscher Ökonom und Professor für Volkswirtschaftslehre in Madrid. Fraglos war die Wahl von Javier Milei zum Staatspräsidenten von Argentinien nicht nur eine Sensation, sondern ist ein epochaler Einschnitt: Ein bekennender „Anarchokapitalist“ als politischer Führer eines Landes, das seit Jahrzehnten als Musterbeispiel für Staatsinterventionismus und sozialistische Umverteilungspolitik gilt. Direkt gewählt vom argentinischen Volk, mit 56 Prozent der Stimmen. Ob daraus eine „Ära Milei“ wird, wie Bagus sein gerade erschienenes Buch genannt hat, bleibt abzuwarten. Klar ist: Die Welt wird auf das schauen, was in Argentinien unter Milei passiert.
Bagus ist wie Milei Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, die von Ökonomen wie Ludwig von Mises und eben Friedrich August von Hayek, dem späteren Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften, geprägt wurde. Die Bandbreite dieser Schule reicht bis heute von radikalen Staatsgegnern bis hin zu Verfechtern einer marktwirtschaftlichen Ordnung, die vom Staat als Rechtsrahmen garantiert werden soll. Ihnen gemein ist die Warnung vor einem Umverteilungsstaat, der unter der scheinbar fürsorglichen Parole der „sozialen Gerechtigkeit“ immer tiefer in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bürger eingreift, ihnen Freiheit und Selbstbestimmung nimmt und so am Ende selbst ehemals reiche Länder in Elend und Verzweiflung stürzt. Genau das ist in Argentinien passiert. Es sollte uns auch in Deutschland eine Warnung sein.
Als Milei im Dezember 2023 die Amtsgeschäfte übernahm, hatte die Inflation des Argentinischen Peso schwindelerregende 25 Prozent erreicht – im Monat! Obwohl Milei über keine eigene Mehrheit im argentinischen Parlament verfügt, setzte er per Dekret sofort radikale Maßnahmen durch, um die Geldentwertung zu bekämpfen. Er halbierte die Zahl der Ministerien und reduzierte die Staatsausgaben drastisch. Auch der bei Linken beliebten Quotenpolitik hat Milei bereits einen Riegel vorgeschoben. Natürlich bringt diese Schocktherapie schmerzhafte Einschnitte für viele Argentinier mit sich. Dennoch hat die Popularität Mileis darunter bisher nicht gelitten. Für viele seiner Landsleute verkörpert er die letzte politische Hoffnung auf eine Wende zum Besseren.
Der märchenhafte Aufstieg von Milei, auch das arbeitet Bagus heraus, ist allerdings auch seiner ganz besonderen Persönlichkeit zu verdanken: Er kann den Zusammenhang von wirtschaftlicher Freiheit und Wohlstand für alle derart gut erklären, daß ihm auf den Marktplätzen Argentiniens die Menschen gleichermaßen begeistert zuhören wie seine Millionen Follower auf Social Media. Milei ist authentisch und im besten Sinne populistisch. Er machte den Versuch öffentlich, ihn mit erheblichen Summen zum Rückzug aus der Politik zu bewegen, und ließ seine Diäten als Parlamentsabgeordneter verlosen. Zwei Millionen Argentinier nahmen an der Verlosung teil.
Milei ausschließlich auf seine Wirtschaftsreformen zu reduzieren, so spannend sie auch sind, würde allerdings den Blick darauf verstellen, daß er auch die nationalen Interessen seines Landes betont und den Schulterschluß mit den mächtigen Streitkräften sucht. Milei fordert die Rückgabe der Falkland-Inseln – die Argentinier nennen sie Malvinas – von Großbritannien nicht weniger vehement als seine Amtsvorgänger.
Um den Kampf gegen die ausufernde Kriminalität und vor allem die Drogenbanden zu gewinnen, will er neue technologische Möglichkeiten wie KI bei der Durchforstung des Internets umfassend nutzen. Auch die Überwachung öffentlicher Plätze soll massiv ausgeweitet werden, um für mehr Sicherheit zu sorgen. Die Skepsis von Milei gegen die bisher in Argentinien gültige freizügige Regelung bei Schwangerschaftsabbrüchen ist ebenfalls kaum dazu angetan, ihn als radikalen Staatsgegner zu etikettieren. Mag er sich selber ökonomisch auch als „Anarchokapitalisten“ bezeichnen, politisch ist er eher ein Konservativer.
Andererseits weist Philipp Bagus zu Recht darauf hin, wie absurd es ist, wenn deutsche Medien wie Spiegel und Zeit einem Staatsskeptiker wie Milei eine neue Art von „Faschismus“ anheften wollen. In Wahrheit hat Milei dem für Argentinien so verhängnisvollen sozialistischen „Peronismus“ den Kampf angesagt, dessen Begründer, Juan Péron, ein erklärter Bewunderer Mussolinis und des faschistischen Italiens war. Aber was zählen schon Fakten, wenn es darum geht, einen radikal-liberalen Reformer auf Biegen und Brechen zum üblen Rechtspopulisten zu stempeln?
Philipp Bagus: Die Ära Milei. Argentiniens neuer Weg. Verlag Langen Müller, München 2024, gebunden, 264 Seiten, 22 Euro