© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Putin und Trump sind Feinde der Freiheit
Der US-Historiker und Osteuropa-kenner Timothy Snyder fabuliert über den Freiheitsbegriff und bezieht klar Stellung, durch welche Politiker im Heimatland und weltweit diese in Gefahr gerät
Dirk Engelhardt

Eine rote Manschette über dem Buch teilt dem potentiellen Käufer mit: „Pflichtlektüre. Timothy Snyder ist einer der wichtigsten Denker unserer Zeit“, sagt Thomas Piketty. Piketty ist ja nicht irgendwer, sein Wort hat Gewicht – und soll den nötigen Eindruck schinden.

Außerdem ist zu lesen, daß Snyder Autor von weltweiten Bestsellern ist. Das klingt alles recht eindrucksvoll. Nun klrät er „Über Freiheit“ auf. Freiheit also, ein Wort, über das schon Tausende Bücher, Tausende Gedichte, Tausende Lieder geschrieben wurden. Gibt es zu dem ziemlich strapazierten Begriff wirklich etwas bahnbrechend Neues zu sagen? Und für wen soll dieses Buch denn Pflichtlektüre sein? 

Auf der Rückseite des Buches läßt der Text bereits erahnen, in welche Richtung das Werk geht. Trump und Putin werden als „sadopopulistische Demagogen“ bezeichnet, denen der Autor offen den Kampf ansagt. Simone Weil, Edith Stein und Vaclav Havel kommen ohne Framing durch. 

Bei einem Zeitungsartikel, das lernen Journalisten meist im ersten Jahr, kommt es auf den ersten Satz des Textes an. Er entscheidet oft, ob der Leser weiterliest oder einfach weiterblättert. In „Über Freiheit“ geht der erste Satz so: „Was denkst du? Fragte Mariia lächelnd in ihrem hellen Kleid, als ich mit eingezogenem Kopf durch die niedrige Tür ihrer ordentlichen kleinen Hütte nach draußen trat, zurück in die Sonne und die Trümmer.“ Es folgen ausführliche Beschreibungen der russischen Zerstörungen in der Ukraine, wie Mariia damit umgeht, und was Nordamerikaner gemeinhin unter Freiheit verstehen. 

Und damit ist der Ton für das Freiheitsbuch gesetzt. Schon auf Seite 13 kündigt Snyder an, er wolle in seinem Buch Freiheit definieren. Um gleich darauf zu konstatieren, daß das Wort übermäßig gebraucht wird, besonders in den Vereinigten Staaten von Amerika, „The Land of the Free“. Snyder, der aus einer Quäker-Familie aus dem Mittleren Westen der USA stammt und an der Brown University, an der Oxford University Geschichte, Politikwissenschaft und Philosphie studierte, hat sich während des Ukraine-Krieges schnell positioniert und eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, die immerhin 1,25 Millionen Dollar einbrachte, um die Luftabwehr der Ukraine zu unterstützen. Snyder behauptet, der einzige Weg, den Krieg in der Ukraine zu beenden, wäre der Sieg der Ukraine. Nur so könne Diktator Putin aus dem Weg geräumt werden, und Rußland könne einen demokratischen Weg einschlagen. Mit der Ukraine hat sich Snyder intensiv beschäftigt und schon fünf Bücher über das Land veröffentlicht. Mit diesem Wissen liest sich das Freiheitsbuch in einem anderen Licht. 

Natürlich ist der Konflikt in der Ukraine nicht durchgängig Thema, als Historiker schweift Snyder episodenweise in die Hitler-Zeit, den Holocaust, den Stalinismus oder die US-amerikanische Geschichte ab oder flicht Episoden als Professor im Lehrbetrieb mit Studenten ein. Im Kern geht es Snyder darum, daß Freiheit nicht negativ bestimmt ist, sondern um positive Attribute ergänzt werden muß. Zu diesen Attributen gehört unter anderem körperliche Souveränität und eine gewisse Verfügung über Wissen; Punkte, die in der geisteswissenschaftlichen Beschäftigung mit Freiheit aber auch kein wirkliches Novum darstellen.

Doch in seiner Gänze ist das Freiheitsbuch keine „Pflichtlektüre“, sondern eine sehr individuelle und zugleich sehr politische Betrachtung des Freiheitsbegriffes. Es dürfte kein Zufall sein, daß Snyder es vor den US-Wahlen fertiggestellt hat, denn es könnte dem einen oder anderen Politiker als Schützenhilfe dienen. Für den normalen Leser ist es eher ein Buch, das man kauft, um es prominent ins Regal zu stellen. In einem Rutsch durchlesen wird es kaum jemand, schon allein wegen des streckenweise dozierenden Tonfalls. Empfehlen es Buchhändler ihren Kunden? „Also, wir hatten ja schon das Buch ‘Über Tyrannei’ von Timothy Snyder, das verkaufte sich sehr gut“, sagt Mieke Wölky von der Buchhandlung Odradek in Berlin. Sie habe das neue Buch „Über Freiheit“ selbst noch nicht gelesen, ahnt aber schon, daß es sich wegen des renommierten Namens und des erfolgreichen Vorgängers gut verkaufen wird. Bei einem Autor wie Snyder, der mehr als eine halbe Million Follower bei X hat und dessen Bücher nicht selten in zwei Dutzend Sprachen übersetzt werden, sind diese Hoffnungen also nicht unberechtigt.


Timothy Snyder: Über Freiheit. Verlag C.H. Beck, München 2024, gebunden, 410 Seiten, 29,90 Euro