© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Frisch gepresst

Ziviler Ungehorsam. Ihren Zenit haben die spektakulären Aktionen linksgrüner „Klimakleber“ wohl überschritten, mit denen sie auf Flughäfen und Autobahnen allerlei Straftatbestände verwirklichten. Aus den Schlagzeilen sind diese Spielarten „zivilen Ungehorsams“ zwar fast verschwunden. Um so eifriger beschäftigen sich Juristen mit dem Phänomen, weil es zur Verhandlung der uralten Frage nach dem Verhältnis von Legalität und Legitimität, Recht und Moral einlädt. Diesem widmet sich auch die Doktorarbeit von Samira Akbarian, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität in Frankfurt/Main. Für sie gibt es rechtsstaatliche, einen radikaldemokratischen und ethische Zugänge zum zivilen Ungehorsam. Der erste, auf Versöhnung mit den Institutionen abzielende Weg, führt zu Reformen, während die nur bedingt „zivilen“ radikaldemokratischen Interventionen normative Grundlagen des staatlichen Systems in Frage stellen. Eine Variante davon, die ethische Konzeption, behauptet den Primat des Sittlichen und zielt auf die „Erlösung“ des Bestehenden von „Ungerechtigkeit und Herrschaft“. Die utopische Ordnung des „guten Lebens“ soll hier den staatlichen Status quo ersetzen. Was für Akbarian so lange legitim ist, wie die gutmenschliche Avantgarde dem linken Ideal von „Freiheit und Gleichheit“ verpflichtet bleibe, „das erfordert, manchmal das Recht zu brechen“. (dg)

Samira Akbarian: Recht brechen. Eine Theorie des zivilen Ungehorsams. Verlag C. H. Beck, München 2024, broschiert, 172 Seiten, 16 Euro



Liberalismus. Die Grundthese des US-Historikers Samuel Moyn lautet: Der Liberalismus, der ursprünglich ein hoffnungsvolles Zukunftsangebot darstellte, kam im Laufe des 20. Jahrhunderts, konfrontiert mit dem Totalitarismus, in die Defensive und machte eine fundamentale Wandlung durch. Statt zuversichtlich auf den Menschen zu blicken, beäugte er ihn mit Mißtrauen. Statt zugunsten gesellschaftlicher oder ökonomischer Freiheit zu plädieren, betonte er die Notwendigkeit von Begrenzung und Kontrolle. Er löste sich aus jeder europäischen Tradition, in der liberale Ideen häufig genug mit sozialem Anspruch verknüpft gewesen waren. In der Anglosphäre vermeinte er, dem Blutgeruch von Revolutionen, Weltkriegen und Bolschewismus entfliehen zu können. Sechs Denker dieses Denkens greift sich Moyn exemplarisch heraus, darunter die aufklärungskritische Politologin Judith Shklar oder den Philosophen Karl Popper. Nicht ganz klar wird allerdings, was genau die Eckpfeiler des konstruktiven, „neuen“ Liberalismus, der ihm vorschwebt, sein sollen. (lb)

Samuel Moyn: Der Liberalismus gegen sich selbst. Intellektuelle im Kalten Krieg und die Entstehung der Gegenwart. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024. gebunden, 246 Seiten, Abbildungen 30 Euro