Frage: „Was ist das Wesen?“ Antwort: „Wir können vor den Pfaffen und Edelleuten nicht genesen.“ Ein Denunziant hatte diese Parole der Bundschuhbewegung mit vielen anderen Informationen übermittelt. Die Straßburger Räte präsentierten sie am 29. April 1502 den versammelten Vertretern der Obrigkeit. Wie die erste Bundschuh-Verschwörung – alle waren im Südwesten des Reiches verortet – von 1493, so war auch jene zweite schon im Planungsstadium verraten worden, ein Schicksal, welches die beiden folgenden von 1513 und 1517 ebenso erleiden sollten. Benannt war diese nach dem mit einem langen Riemen gebundenen Lederschuh der einfachen Landbevölkerung im späten Mittelalter.
Indes: Ob es sich bei der einprägsamen Parole wirklich um die Erkennungsworte der Verschwörer handelte, darf bezweifelt werden. Zu unsicher sei die Quellenlage insgesamt, zu unsicher seien die Gewährsleute. Daß es die vierte Bundschuh-Verschwörung des Jahres 1517, die von der Geschichtsschreibung in der Regel als Höhepunkt der Bestrebungen angesehen wird, überhaupt gab, sei sehr zweifelhaft. Würden die ersten drei in ihrer Bedeutung im Vorfeld und als Wegbereiter des 1524 ausbrechenden Bauernkrieges „bisweilen grotesk überbewertet“, so handle es sich bei der letzten mit „einiger Wahrscheinlichkeit“ gar lediglich um einen Mythos.
Kontinuitäten der einzelnen Verschwörungen seien Konstruktionen, mit der Rolle des Anführers Joß Fritz als „Mastermind des Bundschuhs“ sei es mit Blick auf belastbare Fakten auch nicht so weit her. Dem vom Bundschuh verwendeten Schlagwort vom „göttlichen Recht“ dürfe man „nicht zu viele ideologische Lasten aufbürden“. Die Zahl der Verschwörer sei bei genauem Hinsehen äußerst gering gewesen, vom tatsächlichen Mobilisierungspotential ganz zu schweigen, die Planungen seien wenig sorgfältig gewesen, die Beteiligten nicht entschlossen genug und zu handfesten aufständischen Aktionen sei es ja aufgrund der frühzeitigen Entdeckung ohnehin nicht gekommen.
Die Korrektur des historischen Stellenwertes der Bundschuhbewegung ist eines der Anliegen des Bandes „Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts“. Der Verfasser Gerd Schwerhoff, bis vergangenen März Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden, seither Seniorprofessor, hat damit sein ebenfalls gerade erschienenes großes Werk über den Bauernkrieg („Der Bauernkrieg. Eine wilde Handlung“, C.H. Beck, München 2024) um eine Vorgeschichte ergänzt. Diese will er als „längere essayistische Zwischenbilanz, die erzählerische und analytische Elemente kombiniert“, verstanden wissen.
Schwerhoff holt weit aus. Zunächst bestimmt er seinen Gegenstand, die „Unruhen und Revolten“. Dabei handle es sich um „kollektive Aktionen mit einer besonderen Sichtbarkeit“ – mehr als Alltagswiderstand, aber weniger als eine Revolution, die eine nachhaltige Umwälzung zur Folge habe. Der Frage, ob die Zeit um 1500 einen Epochenumbruch darstelle, geht er nach. Die Formierung der Ständegesellschaft, die Problematik der Einpassung der Stadtbürger in das Schema der drei Stände, das Phänomen der Herrschaftsverdichtung, die umfassend diskutierte Reichsreform und viele andere Entwicklungen, ohne die die „Aufstände und Revolten“ (und der nachfolgende Bauernkrieg) nur schwer verständlich sind, werden zunächst grundlegend skizziert. Dazu gehört auch das wachsende Unbehagen am Gebaren der Kirche mit ersten reformatorischen Bestrebungen und die Frömmigkeitsbewegung. Daß Schwerhoff glaubt betonen zu müssen, daß der christliche Glaube „damals mit allen Aspekten des Lebens verflochten war“, in „einer Intensität, die sich vielen Menschen der Gegenwart kaum mehr erschließt“, spricht nicht gerade für sein Vertrauen in den Bildungsstand der Leserschaft.
Es folgt ein kurzer Exkurs über spätmittelalterliche Aufstände in anderen Teilen Europas, etwa dieJacquerie in Frankreich von 1358 oder den englischen Bauernaufstand von 1381. Dann ist Schwerhoff nach einer instruktiven, aber mit einem Viertel des gesamten Buchumfangs vielleicht etwas arg langen Hinführung endlich bei seinem eigentlichen Thema angekommen – den „Unruhen und Revolten“ zu Beginn des 16. Jahrhunderts. Detailliert und farbig werden die Bundschuhverschwörungen oder das unter dem Namen „Armer Konrad“ bekannte Bündnis geschildert. Im Unterschied zum Bundschuh sei der „Arme Konrad“, der 1514 im Herzogtum Württemberg mit seinen Forderungen und Protesten auftrat, die „größte Massenbewegung im Reich vor dem Bauernkrieg“ gewesen. Im „öffentlichen Reformdruck“ liege die Wirksamkeit des Bündnisses. Schwerhoff betont hier auch die Beteiligung von Stadtbewohnern. Vorgänge in den Städten nimmt er in seiner Darstellung mehrfach in den Blick und unterstreicht, daß etwa die „städtische Protestkonjunktur“ im Reich in den Jahren 1512/13 von der Forschung bislang vernachlässigt worden sei. Allerdings weist er die bekannte Position des Bauernkriegs-Experten Peter Blickle zurück, wonach es „eine Stadt und Land übergreifende Aktionsgemeinschaft im Sinne einer Revolution des gemeinen Mannes gegeben“ habe.
Der niedere Adel, bekannte Namen im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg oder dessen Vorfeld sind Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen, habe sich nur schwer neben anderen Ständen in den Untertanenverband einfügen können, Schwerhoff erkennt gar eine Art „Interessenkoinzidenz“ mit den Bauern. Daß die Anliegen der aufkommenden Reformation mit dem sozialen und gesellschaftlichen Anliegen der Aufständischen einhergingen, wird bestätigt, unter Zurückweisung der These, die kirchlich-religiösen Aspekte hätten lediglich katalytisch gewirkt.
Der in seiner tatsächlichen Bedeutung von Schwerhoff so heftig auf die Plätze verwiesene Bundschuh kommt übrigens doch noch zu seinem Recht in der Geschichte – als „Feindbild“ , das sich „aus seinen realen Kontexten ablösen und ein diskursives Eigenleben gewinnen konnte“. Zum Schlagwort sei die Bundschuhbewegung geworden, zum Symbol für drohenden Aufruhr, präsent bei den Zeitgenossen. Das von König Maximilian I. veranlaßte „Heidelberger Empörermandat“ vom 30. Mai 1502 gilt als Grundstein der Aufstandsgesetzgebung und war eine Folge der zweiten Bundschuhverschwörung.
Mit „Unruhen und Revolten“ hat Schwerhoff ein Buch mit immenser Informationsdichte und einer Reihe von pointierten Thesen vorgelegt. Auch wenn es sich eher um eine Fachpublikation handelt – der historisch interessierte Laie profitiert definitiv von der Lektüre.
Gerd Schwerhoff: Auf dem Weg zum Bauernkrieg. Unruhen und Revolten am Beginn des 16. Jahrhunderts. UVK Verlag, Tübingen 2024, gebunden, 243 Seiten, 44 Euro
BIld: Mitglieder des Bundschuh um 1500: Nicht zu viele ideologische Lasten aufbürden