© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Niemand will verzichten
Einsparungen: Sender und Verbände erteilen den ÖRR-Reformplänen der Länder eine Absage
Gil Barkei

Ende September stellten die Ministerpräsidenten ihre Pläne für eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) vor (JF 41/24). Vergangenen Freitag ist die Frist für Anmerkungen dazu abgelaufen. Und die sehen aus wie erwartet. ARD und ZDF lehnen die vorgeschlagenen Einschnitte wie Senderstreichungen oder die Fusion von 3sat und Arte entschieden ab. Wie so eine Reform umgesetzt werden soll, die den Namen auch verdient, bleibt ein Rätsel. Nachgeben und verzichten möchte niemand.

Herhalten als Argument muß wie so oft die Demokratie, die laut Stellungnahme des ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke „vor großen Herausforderungen“ stehe. „Gesellschaftliche Debatten werden unversöhnlich und stärker von Populismus und Radikalisierung geprägt als je zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg. Informierte Bürgerinnen und Bürger mit der Fähigkeit, zwischen Wahrheit und Fake News zu unterscheiden, sind vor dem Hintergrund dieser gesellschaftlichen Entwicklungen für die Zukunft unseres Landes von zentraler Bedeutung.“ 

Bei der Einsparung von Sparten- und Gemeinschaftsprogrammen sieht Gniffke „die Gefahr, daß die publizistische Vielfalt eingeschränkt und die gezielte Gestaltung von Angeboten zur Erreichung aller Bevölkerungs- und Altersgruppen durch zu starre Vorgaben erschwert wird“. Mit der anberaumten Einschränkung von Texten im Internet könnte der „übertragenen Funktion eines Gegengewichts, um einseitigen Darstellungen, Filterblasen, Fake News und Deep Fakes entgegenzuwirken, keine Rechnung mehr getragen werden“.

Unterstützung beim Thema Online-Texte erhält Gniffke von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse. Das geplante „Verbot der Presseähnlichkeit“ gehe „an der Realität vorbei“, heißt es in der AGRA-Einlassung zu den Länder-Plänen. „Sollte der Vorschlag so umgesetzt werden, würden die Programmschaffenden künftig auch bei der Eil- und Warnberichterstattung maximal reglementiert. Verlierer sind in erster Linie die Nutzer unserer Angebote.“ AGRA-Sprecher Hubert Krech sieht in dem Entwurf „de facto einen Kniefall der Politik vor den Zeitungsverlegern“. Diese geben sich in der Tat vorsichtig zufrieden – vorerst.

Das ZDF zeigt sich wie die ARD ebenfalls wenig begeistert. Beispielsweise beim neu zu schaffenden „Medienrat“: Komplexität und Aufwand würden „durch Einführung einer weiteren Kontrollebene zunehmen“, schreibt Intendant Norbert Himmler in seiner Stellungnahme. Zudem sei „eine Neuordnung der dem ZDF zugeordneten linearen Spartenprogramme“ innerhalb der vorgesehenen Frist bis Ende 2026 „angesichts von Personal, Programm- und Verbreitungsverträgen auch nicht wirtschaftlich sinnvoll gestaltbar“.

Beide, Gniffke und Himmler, pochen weiterhin auf eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags und verweisen auf die Verfassungsrechtsprechung. Die Zwangsabgabe hatten die Ministerpräsidenten wegen erheblicher Differenzen untereinander in ihren Plänen bewußt ausgeklammert. Doch eine Lösung des Streits ist damit lediglich aufgeschoben, nicht aufgehoben und spielt verzögernd den Gegnern einer wirklichen Reform in die Hände. So bemängeln auch die Personalratsgremien von ARD und Deutschlandradio, die sich insgesamt eine stärkere „Rolle der Beschäftigten in den Debatten“ wünschen, daß die Finanzierung komplett außen vor gelassen wurde. 

Von Verantwortungsträgern in höchsten Ämtern darf man mehr Courage zur Klarheit erwarten. Einige Politiker zeigen sich längst genervt. Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) stellt ausgerechnet im Interview mit dem potentiell betroffenen 3sat-Format „Kulturzeit“ sogar das ganze Reformprojekt in Frage: „Entweder kommen die Reformen und eine Entscheidung über den Beitrag, oder es kommt gar nichts. Das müssen, glaube ich, alle Beteiligten klar im Blick haben.“ Er pokert damit hoch und erhöht den Druck auf die östlichen Länderchefs. Diese hatten wiederholt betont, daß eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags ab dem 1. Januar 2025 mit ihnen nicht zu machen sei. „Eine Beitragserhöhung halte ich derzeit für nicht vermittelbar und sehe auch keine Mehrheit hierfür“, betonte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, nach der Veröffentlichung der Reformpläne gegenüber der FAZ. Der CDU-Politiker fordert gar eine „langfristige Beitragsstabilität“ und „eine Auszeit“, um erstmal abzuwarten, „wie die Reformen wirken“. 

Kürzen und Streichen, „aber nicht die Sicherstellung der ordentlichen, beitragsgerechten Finanzierung auch hinbekommen“, das geht aus Brosdas Sicht nicht. Auch bei der ÖRR-Reform wird eine Trennlinie zwischen Ost und West immer erkennbarer. Den vorgeschlagenen Verzicht auf einzelne Spartenkanäle lehnt der Sozialdemokrat ohnehin ab. Er halte „es für keine sonderlich kluge Idee, jetzt in die Angebote von Kultur, aber auch von Information im öffentlich-rechtlichen Bereich hinein zu sparen. Wo wir uns allerorten darüber aufregen, daß Fake News, daß entgleitende öffentliche Debatten unseren Alltag begleiten, und wir gar nicht mehr wissen, wie wir uns in der Gesellschaft orientieren und organisieren.“ Gniffke und Himmler dürfte das freuen.

Ein Dämpfer kommt ebenso von einem Sondergutachten der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. Für die neue Beitragsperiode 2025 bis 2028 sieht die KEF trotz Reformen keine nennenswerten Einsparungspotentiale. Kurzfristige Kostenreduzierungen bei Sportübertragungen seien zum Beispiel kaum möglich, da viele Lizenzen bereits bis 2032 eingekauft seien. Die angepeilte bündelnde Verlagerung von Inhalten ins Internet könnte sogar zu steigenden Ausgaben führen wegen der beim Streaming möglichen „nutzungsabhängigen Verbreitungskosten“.

Und auch der von der Rundfunkkommission der Länder selbst eingesetzte Zukunftsrat äußert sich zurückhaltend zu den Vorhaben. Er würdigt zwar einen erkennbaren „grundlegenden Reformwillen der Länder“, kritisiert allerdings, daß die Ministerpräsidenten von der Zukunftsrat-Empfehlung einer Dach-Anstalt zur zentralen Koordinierung der Länderanstalten abgerückt sind. Das stattdessen eingebrachte „Federführungsprinzip“ – eine ressourcenschonende engere Zusammenarbeit von ARD, ZDF und Deutschlandradio – reiche nicht aus, „um die evidenten Strukturdefizite der ARD zu beseitigen“ und die „organisierte Regionalität zu gewährleisten“, stellt die Vorsitzende Julia Jäkel gegenüber der FAZ klar. Es brauche im verschärften digitalen Wettbewerb der Medien „eindeutige Verantwortlichkeiten auf ARD-Ebene, um strategiefähig und entscheidungsstark zu werden“. 

Demokratische Verfahren dürfen „nicht geschliffen werden“

Zusätzlicher Gegenwind kommt von Umwelt- und Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften. In einer gemeinsamen Erklärung warnen sie, die Staatsvertragsentwürfe enthielten „bedrohliche Einschnitte, Rückschritte und Beschränkungen für die Öffentlich-Rechtlichen – ohne eine Zielvorstellung für einen besseren Rundfunk zu formulieren“. Verdi-Vorsitzender Frank Werneke sekundiert: „Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten planen massive Programmstreichungen, ohne auf die Folgen zu achten. Publizistische Vielfalt wird zerstört, ohne zu wissen, ob es überhaupt zu relevanten Kosteneinsparungen kommen wird. Von einer Absicht, die Öffentlich-Rechtlichen qualitativ zu stärken, ist nichts zu erkennen.“

Darüber hinaus sehen Verdi und DGB in einer gemeinsamen Stellungnahme „ein Einreißen bei den politischen Verantwortungsträger*innen“, da „die Medienstaatsverträge frühestens im Sommer 2025 ratifiziert werden“, das „geltende Verfahren jedoch eine Vertragswirkung ab 1. Januar 2025 vorsähe“. Demokratische Verfahren dürften „nicht geschliffen werden – auch nicht durch Verzögerung“. 

Für den Deutschen Journalisten-Verband wirken die Abläufe dagegen gehetzt. Er wirft den Verantwortlichen vor, die „größte medienpolitische Reform der Nachkriegszeit“ werde „gerade übers Knie gebrochen“. Geplante Kürzungen wirkten „eher politisch motiviert als strategisch sinnvoll“. Die Politik müsse vielmehr „endlich die digitalen Monopole in den Fokus nehmen“, ergänzt DJV-Vorsitzender Mika Beuster und meint damit die großen privaten Digitalkonzerne. 

Die nächste Konferenz der Regierungschefs der Bundesländer findet vom 23. bis 25. Oktober in Leipzig statt. Es gibt einiges zu besprechen.