Er gilt als einer der großen Antihelden der deutschen Literaturgeschichte: Hagen von Tronje, der Mann, der den sagenhaften germanischen Helden Siegfried hinterrücks erstach. Wolfgang Hohlbein, einer der erfolgreichsten deutschen Autoren im Segment Fantasy und Science-fiction, hat sich der Nibelungensage, deren Ursprünge bis zu den frühmittelalterlichen Dichtungen der Edda-Sammlung zurückreichen, in seinem Roman „Hagen von Tronje“ angenommen. Der erschien 1986 bei Heyne und wurde nun von Cyrill Boss und Philipp Stennert für Constantin Film leinwandtauglich gemacht.
Das Nibelungenlied handle von zwei Kriegern, so unterschiedlich wie Tag und Nacht, verkündet eine Erzählerin: Siegfried und Hagen. Und dann die Überraschung: Letzterer sei völlig zu Unrecht als Bösewicht verschrien. Sie, Kriemhild, müsse es wissen. So beginnt die filmische Nacherzählung von Wolfgang Hohlbeins Roman. Auch die ersten Bilder sind vielversprechend: Atmosphärisch dichte Nebel- und Schneelandschaften ziehen den Zuschauer hinein in die Ära der dunklen Bedrohung, die von Hunnenkönig Etzel und seinen Horden für das Königreich Burgund und seine Metropole Worms ausgeht. Hier residieren die Nachfahren des in der Schlacht gefallenen Königs Dankrat (Jörg Hartmann): der frisch gekrönte König Gunter (Dominic Marcus Singer), seine beiden Brüder und seine Schwester Kriemhild (Lilja van der Zwaag).
Siegfried nervt alle mit seiner Arroganz und Unbeherrschtheit
Die Figur jedoch, die in diesem Film im Blickpunkt steht, ist ihr Waffenmeister: Hagen von Tronje (Gijs Naber). „Ich werde alles dafür tun, diese Familie zu beschützen“, legt das Drehbuch, bei dem die beiden Regisseure von Doron Wisotzky unterstützt wurden, Hagen in den Mund. Mit Pflichtbewußtsein und eiserner Disziplin hält er das von feindlichen Truppen erschütterte Königreich zusammen. Beides benötigt der loyale Diener der Krone auch, um seine heimliche Liebe zu Kriemhild zu unterdrücken. Tatenlos muß er zusehen, wie der berühmte Drachentöter Siegfried von Xanten (Jannis Niewöhner), der eines Tages am Hof der Burgunder auftaucht, das Herz der selbstbewußten Königstochter erobert.
Siegfried ist in dieser Version jedoch nicht der, als den wir ihn kennen. Er gleicht mehr einem der überdrehten Draufgänger aus der „Mad Max“-Saga als dem strahlenden Helden der Nibelungensage. An Gunters Hof benimmt er sich wie die Axt im Walde, nervt alle mit seiner Arroganz, seiner Unbeherrschtheit und seinen schlechten Manieren. Bei Kriemhild kommt er mit seinen Rockerallüren jedoch gut an. Nach einem gemeinsamen Waldspaziergang ist sie seine Verlobte.
König Gunter verfolgt derweil seine eigenen Pläne mit dem blonden Holzkopf: Er hofft darauf, mit der Hilfe des dank seines Bades in Drachenblut Unverwüstlichen sein bedrohtes Reich retten zu können. Siegfried hat ihm nämlich von der Walküre Brunhild (Rosalinde Mynster) berichtet, die noch so eine Unbesiegbare sein soll. Als Herrin eines kleinen Volks von Unbeugsamen thront sie hoch im Norden, im Eis von Islandia. Mit der Schiffsreise dorthin nähert sich der Film nicht nur seinem visuellen, sondern auch seinem dramaturgischen Höhepunkt. Gunters Traum, durch die Vermählung mit Brunhild seinem Reich neue Stärke zu verleihen, scheint unerfüllbar, da er sie zuvor im Kampf besiegen muß, um sich als Gemahl zu qualifizieren. Wieder hängt alles von Siegfried ab. Doch der blonde Schnösel hat selbst ein Auge auf Brunhild geworfen ...
Beim Dreh in Island entstanden zwar einige spektakuläre Aufnahmen, ansonsten bleibt „Hagen“ jedoch weit unter seinen Möglichkeiten. Der Film knüpft optisch eher an Uli Edels TV-Zweiteiler mit Benno Fürmann als Siegfried an, der vor zwanzig Jahren für Sat.1 produziert wurde, als an die beiden Hochglanz-„Nibelungen“-Filme von Harald Reinl (1966/67). Die stellen diesen Versuch eines neuen großen Wurfs auf der Grundlage des Heldengedichts locker in den Schatten. Das liegt vor allem daran, daß Boss und Stennert viel zu viele Szenen im Halbdunkel von Gewölben, Grotten und Burggemächern verschwinden lassen und dabei auch den roten Faden der Geschichte verlieren. Statt sich mit charakteristischen Dialogen auf den Dualismus Hagen–Siegfried zu konzentrieren und daraus ein großes Drama zu machen, verzettelt sich das Regie-Duo bei dem Versuch, allen Figuren gerecht zu werden. Mehr Orientierung an Hohlbeins Buch wäre ratsam gewesen.
Der schönste Satz des gesamten Films, der ansonsten nicht durch geistreiche Dialoge auffällt, ist sicherlich Siegfrieds doppeldeutiger Ausspruch: „Jeder hat eine verwundbare Stelle.“ Dieser Film hat mehr als eine.
Kinostart ist am 17. Oktober 2024 https://constantin.film/news
Foto: Drachentöter Siegfried (Jannis Niewöhner) und Waffenmeister Hagen von Tronje (Gijs Naber)