© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Zeitschriftenkritik: Carto
Die Welt mit Karten verstehen
Karlheinz Weißmann

Geopolitik ist in Frankreich – anders als in Deutschland – ein populäres Thema. Einen sicheren Hinweis auf diesen Sachverhalt kann man darin sehen, daß neben der traditionsreichen und eher akademischen Zeitschrift Hérodote immer wieder andere Publikationen erscheinen, die sich mit dem Zusammenhang von Geographie und Politik befassen. Zu den interessantesten gehört aktuell zweifellos Carto wegen der hohen Qualität der Karten und Graphiken und der Orientierung an aktuellen und nicht nur geostrategischen Themen.

So wird in der jüngsten Ausgabe zum Beispiel ein Dossier zur Lage der USA geliefert, das der Dislozierung amerikanischer Truppen auf dem Planeten nachgeht oder dem unmittelbaren beziehungsweise mittelbaren Einfluß Washingtons im pazifischen Raum. Außerdem geht es um die Fragen, wann Frauen, die eine Abtreibung vornehmen wollen, dazu wegen restriktiver Gesetzgebung ihres Bundesstaates dessen Grenze überschreiten müssen, in welchem Teil der Südstaaten wie viele Denkmäler zur Erinnerung an die Konföderierten stehen und wie viele mittlerweile demontiert wurden oder wie sich die Wählergunst für Republikaner und Demokraten niederschlägt. Das zweite Schwerpunktthema befaßt sich mit dem Aufstieg der populistischen Rechten. Wenn man über die notorische Verwendung der Farbe „Braun“ zu deren Kennzeichnung hinwegsieht, werden hier sehr interessante Aufschlüsse geboten. Das gilt vor allem für den französischen Fall, wenn etwa das Anwachsen des Front beziehungsweise Rassemblement National ins Verhältnis zum Prozentsatz der Fremden in einem Departement gebracht wird oder man das Nebeneinander von Kriminalitätsrate und Aufschwung für den FN beziehungsweise seine Nachfolgepartei betrachtet.

Außerdem beschäftigt sich diese Nummer von Carto mit den Auswirkungen des Brexit, der Lage in Mexiko und Bolivien, der Bedeutung des Kamelhandels für die Machtstellung der Golfmonarchien, den Bürgerkrieg im Sudan, die Verbreitung von Mikroplastik in den Weltmeeren und der staatlichen Zugehörigkeit des Mont Blanc, wenn man die Entwicklung der Grenzverläufe rekonstruiert. Von aktueller Bedeutung sind außerdem zwei Beiträge zur Geopolitik Palästinas. Dabei werden nicht nur die tieferen Ursachen des Konflikts seit der Zeit der osmanischen Herrschaft und deren Umgestaltung durch den Ägyptenzug Napoleons ins Auge gefaßt, sondern auch die geostrategischen Faktoren, die auf den israelisch-palästinensischen Krieg von 1948/49 einwirkten oder sich im Hinblick auf die verschiedenen Lösungsvorschläge für ein Friedensabkommen auswirkten. Auch an deren regelmäßigem Scheitern zeigt sich wieder die Wahrheit des Napoleon zugeschriebenen Diktums „Geographie ist Schicksal“.

Kontakt: Die Zeitschrift Carto – Le monde en cartes, 13290 Aix-en-Provence, 100 rue Victor Baltard, erscheint alle zwei Monate. Die Einzelnummer kostet 10,95 Euro, ein Jahresabonnement 45 Euro.www.areion24.news