Die Zahl der befristeten sozialversicherungspflichtigen Neueinstellungen geht zwar trendmäßig zurück, doch noch immer sind 37,8 Prozent der Neuverträge nicht langfristig angelegt. Betroffen seien vor allem junge Leute, Akademiker, gering Qualifizierte, Ausländer und Rentner. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen hingegen falle in der Summe kaum ins Gewicht. Das rechnet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung vor (WSI Policy Brief 85/24).
Es verwundert, daß in Zeiten der demographischen Krise und des beschworenen Fachkräftemangels mehr als ein Drittel aller neuen Vollzeitjobs nur befristet sind. Besonders kraß ist das im Wissenschaftsbetrieb, mit einem Anteil von 94,6 Prozent. Hier herrschen Sonderbedingungen, wie befristete Projekte, Promotionen und gesetzliche Rahmenvorgaben. Zudem ist es wichtig, für „frisches Blut“ zu sorgen. Andererseits verlieren junge Wissenschaftler so an Planungssicherheit, so daß sie in die freie Wirtschaft wechseln, wenn sie dort einen besseren Vertrag bekommen. Es sei dahingestellt, ob dies der Hochschullandschaft und dem Forschungsstandort Deutschland unterm Strich guttut.
Die Besseren machen das Spiel nicht mit und verlassen das Land
Bleiben wir im Bildungssektor: An allgemeinbildenden Schulen werden Lehrer zu 86 Prozent nur jahresweise beschäftigt; damit ist „Vater Staat“ der Haupttreiber bei den befristeten Arbeitsverhältnissen. Akademiker, die die Universität oder Hochschule verlassen, werden knapp zur Hälfte befristet eingestellt. Die Autoren der WSI-Studie sehen darin eine verlängerte Probezeit. Nahe liegt die Vermutung, daß die Arbeitgeber höchst unsicher über die Qualität der Neu-Akademiker sind, die auf den Arbeitsmarkt drängen.
Das könnte zum einen auf ein gewisses Mißtrauen gegenüber den Hochschulabschlüssen hindeuten, zumal qualifizierte Berufsabschlüsse wie im Handwerk zu 72 Prozent in unbefristeten Jobs münden. Zum anderen könnte auch ein individuelles Mißtrauen eine Rolle spielen. Themen wie „Work-Life-Balance“ werden derzeit großgeschrieben, und vielleicht will sich der Arbeitgeber erst einmal ein Bild von der Einsatzbereitschaft und Belastbarkeit seiner Neulinge machen.
Eine weitere, sowohl den Bildungsbereich als auch den freien Markt für Absolventen betreffende Interpretation könnte darin liegen, daß neu Eingestellte erst einmal auf die gewünschte „Political Correctness“ hin abgeklopft werden. Schon wer nicht freiwillig gendert, macht sich vielerorts verdächtig. Leider ist es so, daß sich viele Unternehmer dem Mainstream anbiedern; so haben „Schraubenkönig“ Reinhold Würth und die Lebensmittelkette Edeka zuletzt ostentativ ihre „Haltung“ gegenüber der AfD zur Schau gestellt.
Es liegt nahe anzunehmen, daß „rechts“ verortete Mitarbeiter in einem solchen Umfeld einen schweren Stand haben. Indes machen rechtliche Gründe eine Kündigung aus Gesinnungsgründen schwer. Also greift man zur eleganten Lösung und verlängert den auslaufenden Vertrag einfach nicht weiter. Schließlich ist zu bedenken, daß viele Firmen auf gepackten Koffern sitzen. Die desaströse Wirtschaftspolitik der Ampel wurde in dieser Zeitung schon vielfach kritisiert; sie gefährdet die Unternehmen existentiell. Insofern – Fachkräftemangel hin oder her – entsteht ein Anreiz zu Attentismus auch im produzierenden Gewerbe.
Man wartet, vielleicht bis zur Bundestagswahl, ob sich dann Grundlegendes ändert. Wenn nicht, ist man flexibel: man kann die Produktion schrumpfen und die Belegschaft elegant verkleinern; man kann abwandern; man verringert die Kosten von eventuellen Sozialplänen. Zudem ist es für Unternehmen weniger riskant, erfahrene Arbeitskräfte bei Auftragsmangel nicht zu entlassen, gleichermaßen zu horten (JF 39/24), als jüngere mitschleppen zu müssen, deren Expertise und Arbeitsethos eben noch unsicher sind. Die Besseren unter den Jüngeren machen das Spiel nicht mit und sind bereits jetzt dabei, das Land scharenweise zu verlassen.
WSI Policy Brief 85/24: wsi.de/fpdf/HBS-008960/p_wsi_pb_85_2024.pdf