© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Überforderung Deutschlands
Energieeffizienzgesetz: Spürbare Wohlstandseinbußen werden zum Wirtschaftsprogramm
Dirk Meyer

Die deutsche Gesellschaft und die Wirtschaft stehen vor massiven Herausforderungen. Sollen die damit einhergehenden Investitionen (etwa Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur) und konsumtiven Ausgaben (Pflegeversicherung; JF 42/24) nicht unser derzeitiges und gewohntes Wohlstandsniveau stark beeinträchtigen, bräuchte es ein erhebliches, aber völlig unrealistisches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP), um den notwendigen „Zusatzkuchen“ bereitzustellen.

Die prognostizierten Zusatzausgaben pro Jahr sind gigantisch: der energetische Umbau/Klimaziele (218,3 Milliarden Euro), wachsende Ansprüche an die Sozialhaushalte (63 Milliarden Euro), Sanierung der Infrastruktur (38,2 Milliarden Euro), Migration (37,2 Milliarden Euro), „Kriegstüchtigkeit“ (28 Milliarden Euro), Digitalisierung (15,5 Milliarden Euro). Das summiert sich auf insgesamt 400 Milliarden Euro entsprechend einem notwendigen Wachstum von 9,5 Prozent pro Jahr. Demgegenüber beträgt die langfristige Wachstumsrate, das sogenannte Potentialwachstum, gerade einmal 0,5 Prozent. Das etwa Zwanzigfache wäre notwendig, wenn es nicht zu Wohlstandseinbußen kommen soll.

Klima-Planwirtschaft: Warum günstig, wenn es auch teuer geht

Doch eine gegenteilige Entwicklung droht. So fällt unser Industriestandort strukturell immer mehr zurück. Nach der Studie „Transformationspfade für das Industrieland Deutschland“ der Boston Consulting Group (BCG) und des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Industrieverbands BDI liegen zwei Drittel der wichtigsten Standortindikatoren (etwa Infrastruktur, Steuern, Lohn- und Energiekosten) hinter denen der Wettbewerber im Ausland. Mit der Folge, daß etwa ein Fünftel der deutschen Industriewertschöpfung mittelfristig gefährdet ist – aktuelle Beispiele sind VW und Thyssen-Stahl. Vor allem hohe Energiekosten und schrumpfende Märkte für bisherige deutsche Kerntechnologien (Verbrennerverbot) belasten– alles politisch mit verursacht. Die BDI-Studie rechnet einen Investitionsbedarf in der deutschen Industrie für die „grüne“ Transformation von 1,43 Billionen Euro allein bis 2030 vor.

Einen gewichtigen Anteil dieser Zusatzlast hat das Klimaziel. Obwohl Deutschland nur für 1,8 Prozent der weltweit menschengemachten CO₂-Emissionen verantwortlich ist, wird auf die bereits hohen EU-Vorgaben noch draufgesattelt. Zudem wurde auf die Nutzung der CO₂-freien, aber risikobehafteten Kernkraft in kurzer Anpassungsfrist verzichtet. Dafür wird nun Atom- und Kohlestrom als Ersatz importiert. Doch wenn schon staatliche Zielvorgaben, dann sollten sie widerspruchsfrei erreichbar sein (Effektivität), und das zu geringst möglichen Kosten (Effizienz).

Das Energieeffizienzgesetz (EnEfG) von November 2023, das die EU-Energieeffizienzrichtlinie 2023/1791 (EED) in deutsches Recht umsetzt, ist jedoch ein Paradebeispiel dafür, wie man es nicht machen sollte (JF 25/23). Im Gegensatz zum Gebäudeenergiegesetz („Heizungshammer“) hat das EnEfG in der breiten Öffentlichkeit keine große Resonanz gefunden, da es primär energieintensive Firmen der Privatwirtschaft sowie den öffentlichen Sektor selbst betrifft. Doch die Folgen werden uns sehr teuer kommen.

Anders als der Name suggeriert, geht es beim EnEfG vorrangig um die Deckelung und Rückführung des gesamten Energieverbrauchs des Landes – also nicht um eine gesteigerte Energieeffizienz: praktisch ein Etikettenschwindel. Gerechnet auf den Zeitraum 2008 bis 2030 soll der Endenergieverbrauch Deutschlands mindestens um 26,5 und der Primärenergieverbrauch um 39,3 Prozent sinken. Wirtschaftswachstum, eine zusätzliche Produktion, legt zwar einen höheren Energieverbrauch nahe. Allerdings ermöglicht der technologische Fortschritt, entsprechende Anreize vorausgesetzt, daß die Produktion energieeffizienter erfolgt.

Dann kann das gleiche BIP, der Wert der volkswirtschaftlichen Güterproduktion, mit weniger Energie erstellt werden. Ist der Anstieg der Energieproduktivität (BIP pro Energieeinheit) auch noch höher als das Wirtschaftswachstum, wird trotz der Mehrproduktion absolut weniger Energie verbraucht. Das ist wünschenswert, werden doch gleich vier Fliegen mit einer Klappe erschlagen: Teure Energie wird eingespart (Kostensenkung), die Umwelt geschont, bei einer Umstellung auf regenerierbare Energien auch noch der CO₂-Ausstoß vermieden und letztlich durch Wirtschaftswachstum eine Zusatzproduktion zur Verteilung bereitgestellt. Doch eine reine Vorgabe zur Energieeinsparung, wie sie das EnEfG vorgibt, garantiert nicht einmal eine CO₂-Minderung, wenn die Akteure verstärkt fossile Energien nutzen.

Wirtschaftliche Schrumpfung von jährlich 2,1 Prozent?

Gelingen kann das nur durch eine international abgesprochene und entsprechend hohe CO₂-Lenkungssteuer. Sie würde fossile Energieträger verteuern, diese einsparen helfen, deren Ersatz durch regenerative Energien befördern und den technologischen Fortschritt in diese Richtung lenken. Marktwirtschaftliche Mechanismen führen zu diesen erwünschten Ergebnissen auf der Grundlage von Technologieoffenheit. Wobei der Staat den CO₂-Steuersatz als Lenkungsinstrument „richtig“ im Sinne der Zielvorgabe setzen muß.

Doch wie sähe die Zukunft einer Klima-Planwirtschaft nach den Vorgaben des EnEfG aus? Preisbereinigt stieg das BIP zwischen 2008 und 2021 um 13 Prozent, während der Energieverbrauch um fünf Prozent sank. Rechnerisch ergibt dies einen Anstieg der Energieeffizienz von 1,4 Prozent pro Jahr. Bei einer prognostizierten durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate bis 2030 von 1,2 Prozent und gleichbleibenden Fortschritten in der Steigerung der Energieeffizienz – so Berechnungen des Ifo-Instituts, würde der Energieverbrauch bis 2030 nur um 2,5 Prozent fallen. Das EnEfG fordert jedoch 22 Prozent, also fast die neunfache Einsparung.

Die Pointe: Wollte die Politik ihr Einsparziel unter diesen Vorgaben mit regulatorischen Eingriffen (Verbote/Gebote) erreichen, so müßte das BIP um 14 Prozent zurückgehen. Dies entspricht einer Schrumpfung von jährlich 2,1 Prozent. Eine Gegenüberstellung mit den eingangs genannten Wachstumsanforderungen von 9,5 Prozent jährlich, um zumindest das jetzige Wohlstands-/Konsumniveau unter den wohlstandszehrenden Zusatzlasten der gesellschaftlichen Herausforderungen zu sichern, zeigt den Realitätsverlust der Politik. Kann das bei gleichzeitigem Festhalten an obrigkeitsstaatlicher Bevormundung ein Erfolgsrezept sein?



Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg bdi.eu/artikel/news/transformationspfade-fuer-das-industrieland-deutschland-studie-langfassung