Die japanische Hauptstadt hat mehrere S-Bahnen und zwei U-Bahn-Betriebsgesellschaften. Die größere, die 1927 gegründete Tokyo Metro, ist seit Jahren eine Geldquelle für ihre öffentlichen Eigner, denn die neun Linien mit einer Länge von 195 Kilometern reichen weit in die Kantō-Region hinein, wo auf nur 32.424 Quadratkilometern – der NRW-Fläche – 43,6 Millionen Bürger leben. Während anderswo der ÖPNV subventioniert wird, spülte er dort etwa 74 Millionen Euro in die Kassen. Jetzt soll diese Goldgrube versilbert werden. Die Hälfte der Anteile soll an der Börse zwei Milliarden Euro einbringen. Den Rest werden sich das Finanzministerium und die Stadt Tokio teilen.
Mit einer Bewertung von umgerechnet 4,3 Milliarden Euro wäre es der größte japanische Börsengang seit sechs Jahren, aber klein im Vergleich zum Aktiendebüt von Birkenstock (7,5 Milliarden) oder dem Chiphersteller ARM (54 Milliarden). Nach 34 Jahren Börsenflaute hat Japan Nachholbedarf, denn erst im Februar 2024 erreichte der Nikkei-Index wieder seinen Höchststand vom Dezember 1989. Infrastruktur gilt als eine stabile Anlage und erfreut sich bei renditehungrigen Anlegern großer Beliebtheit – und das bei Projekten in aller Welt. Mauteinnahmen oder Mieten von Pipelines oder Häfen sind so stabil, daß Renditen durch die Emission von Anleihen vergrößert werden, die der Stabilität wegen Bestnoten durch Ratingagenturen bekommen.
Trotz spektakulärer Ausnahmen blieb auch zu Covid-Zeiten die Ausfallquote deutlich unter der anderer Bereiche. Dennoch gibt es Tücken: Behörden arbeiten gern mit optimistischen Prognosen oder manipulieren Zahlen. Eurotunnel-Anleger werden sich schmerzhaft daran erinnern. Die Privatisierung der Deutschen Bahn klappte nicht, und in der Schweiz ist mit der Jungfraubahn nur eine 9,3 Kilometer lange Zahnradstrecke für Touristen an der Börse. In China sind die U-Bahnen von Hongkong (MTR) und die Shanghai Shentong Metro börsennotiert, in Nordamerika fünf große Güterbahnen. Bis zur Übernahme durch Berkshire Hathaway von Warren Buffett war auch die BNSF Railway börsennotiert. Private Anleger finanzierten den Bau der Dieselschnellbahn Brightline zwischen Miami und Orlando; eine Verbindung von Las Vegas mit Los Angeles ist in Planung. In Japan sind bisher zwei Eisenbahnen an der Börse.
Die Neun-Millionen-Metropole Tokio ist die einzige japanische Stadt, für die kein Einwohnerrückgang vorhergesagt wird. Die Tokyo-Metro-Bruttomarge von 32 Prozent liegt auf Vor-Covid-Niveau und dürfte zu halten sein. Netto lag die Gewinnmarge mit zwölf noch etwas unter den 14 bis 15 Prozent von vor 2020. Ob sie inflationsbedingt jetzt niedriger liegt oder ob Verbesserungspotential besteht, wird sich zeigen. Ebenso sollte die Dividende sicher sein, die auf japanisches Niveau von 3,6 Prozent prognostiziert wird. Das ist höher als bei anderen japanischen Bahngesellschaften, die um die zwei Prozent rentieren, und auch höher als die in der Vergangenheit an die öffentlichen Eigner gezahlten Werte.
Das legt den Verdacht nahe, daß Ausschüttungen zu hoch angesetzt werden, um eine hohe Bewertung zu erreichen. Analysten stufen Tokyo Metro als günstig bewertet ein. Doch es bleibt die Frage: Ist die Tokyo Metro ein neuer „Eurotunnel“, der die Prognosen nicht erfüllen kann? Aber selbst dann wären die Kurswirkungen begrenzt – außer es gibt wie 1923 wieder ein großes Kantō-Erdbeben, das auch an der U-Bahn nicht spurlos vorübergehen dürfte.