© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

„Deutlich mehr operative Beinfreiheit“
Anhörung im Bundestag: Deutschlands Nachrichtendienste warnen vor Rußlands Aggressionen – und davor, ihnen die Mittel zu kürzen
Peter Möller

Geheimdienste haben für gewöhnlich wenig Gelegenheit, öffentlich für ihre Arbeit zu werben. Entsprechend groß war die Aufmerksamkeit, als sich am Montag in Berlin im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses die drei Präsidenten der deutschen Nachrichtendienste den Fragen der Mitglieder des ansonsten geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremiums stellten. Es war erst das achte Mal, daß diese öffentliche Anhörung stattfand. Ansonsten werden der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Bruno Kahl, des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, sowie die Präsidentin des Bundesamtes für den Militärischen Abschirmdienst (MAD), Martina Rosenberg, hinter verschlossenen Türen befragt.

Doch in kriegerischen Zeiten, in denen viel von Desinformation und „Fake News“ die Rede ist, liegt es nahe, den Verantwortlichen für die verdeckte Informationsbeschaffung und -auswertung einen medienwirksamen Auftritt zu gewähren. Vor diesem Hintergrund war der vorherrschende Ton schnell gesetzt. Alle drei Geheimdienstchefs verwiesen auf die stetig wachsende Bedrohung durch Rußland. Nach Ansicht von BND-Präsident Kahl ist die strategische Ausrichtung Moskaus Richtung Westen gerichtet und ziele auf eine neue Weltordnung ab. Eine Einschätzung, die von seinen beiden Kollegen geteilt wird. Während MAD-Präsidentin Rosenberg von besorgniserregenden Ausspähversuchen gegen die Bundeswehr berichtete, verwies Verfassungsschutz-Präsident Haldenwang auf „Einflußoperationen“ russischer Geheimdienste, mit denen russische Desinformation und Propaganda in Deutschland verbreitet werde.

Der BND-Präsident ließ keinen Zweifel daran, für wie ernst er die Herausforderung einschätzt: „Die russischen Streitkräfte sind wahrscheinlich spätestens ab Ende dieses Jahrzehnts personell und materiell in der Lage, einen Angriff gegen die Nato durchzuführen“, warnte Kahl. Ein ähnlich düsteres Bild malte Haldenwang. Der Verfassungsschutzpräsident verwies darauf, daß insbesondere russische Spionage und Sabotage in Deutschland deutlich zunehme. Vor einigen Jahren habe er mit Blick auf die verschiedenen Herausforderungen gesagt, daß Rußland der Sturm ist, China der Klimawandel. „Aber aus dem Sturm ist inzwischen ein militärischer Hurrikan geworden. Dieser Hurrikan zieht mit Macht von Ost nach West.“

Krise in Nahost  radikalisiert Islamisten

MAD-Präsidentin Rosenberg lenkte den Blick darauf, daß für die Bundeswehr der Schutz vor Sabotage und Spionage an Bedeutung gewonnen habe, wodurch auch der Millitärgeheimdienst vor besondere Herausforderungen gestellt werde. Ausspähversuche kritischer Infrastrukturen seien besorgniserregend und würden zu erhöhter Wachsamkeit zwingen, sagte sie: „Sei es, um deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine, Ausbildungsvorhaben oder Rüstungsprojekte aufzuklären, oder um durch Sabotagehandlungen das Gefühl der Unsicherheit zu vermitteln.“

Auch wenn die Herausforderung durch Rußland im Mittelpunkt der Anhörung stand, kamen auch der von Haldenwang als „größte Gefahr für die Demokratie in Deutschland“ herausgestellte Rechtsextremismus sowie der Islamismus und die Auswirkungen des Krieges im Nahen Osten zur Sprache. „Der islamistische Terrorismus ist zurück in Europa“, warnte der oberste Verfassungsschützer. Über die sozialen Medien versuchten die Islamisten insbesondere Einfluß auf Jugendliche zu nehmen. Die Krise in Nahost wirke dabei wie ein Brandbeschleuniger und befördere die weitere Radikalisierung islamistischer Kräfte.

Die drei Geheimdienstchefs nutzten die große Bühne natürlich auch für ein Werben in eigener Sache. Angesichts knapper Kassen und der laufenden Haushaltsberatungen sowie der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Änderungen bei der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste warnten sie davor, Möglichkeiten der Dienste stärker einzuschränken. Mit anderen Worten: Um der von den Behördenchefs eindringlich geschilderten Bedrohungen Herr zu werden, ist eine gute finanzielle Ausstattung ebenso notwendig wie „deutlich mehr operative Beinfreiheit“, wie es BND-Präsident Kahl auf den Punkt brachte.