© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/24 / 18. Oktober 2024

Freiheit in Gefahr
Meldestellen: „Trusted Flagger“ agieren als private Zensurbehörden
Ralf Höcker

Man kann mißtrauisch werden, wenn ausgerechnet eine links-grüne Bundesregierung staatliche Aufgaben privatisiert. Denn normalerweise läuft es andersherum. Nicht so im Falle der „„Trusted Flagger““, denen die Ampel jetzt ganz enorme staatliche Macht als private Zensurbehörden verliehen hat – natürlich nur wenn sie „trusted“, also vertrauenswürdig, sind.

Worum geht es? Die Bundesnetzagentur hat mit den „„Trusted Flagger“n“ eine neue private Instanz geschaffen, die die Sozialen Medien überwachen sollen. Solche „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ sollen Plattformen wie Youtube und X auf bestimmte Inhalte hinweisen, die diese dann bevorzugt löschen müssen. Gemeint sind ausdrücklich auch Inhalte, unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Ein Leitfaden der Bundesnetzagentur definiert diese Inhalte und es lohnt sich, diesen genauer unter die Lupe zu nehmen. 

Zu den im Leitfaden genannten unzulässigen Inhalten zählen neben nachvollziehbaren Kategorien wie terroristischer Propaganda und Kinderpornographie auch linke Kampfbegriffe wie „Haßrede“ und „Diskriminierung“ sowie Äußerungen, die „negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen“ haben könnten. Die Auflistung ist nicht abschließend, sondern umfaßt auch – so wörtlich – „andere“ Äußerungen. Es ist offensichtlich, daß diese „Definitionen“ äußerst vage sind und das Potential haben, zur Zensur legitimer Meinungen zu führen.

„Haßrede“ ist kein rechtlich relevantes Kriterium, sondern ein inhaltlich beliebig aufladbarer linker Kampfbegriff. Denn Haß ist ein legitimes menschliches Gefühl und kann als Motiv einer Äußerung nicht automatisch zu deren Unzulässigkeit führen. Die Begriffe „Haßrede“ und „Diskriminierung“ sind im übrigen nicht nur schwer zu definieren, sondern unterliegen auch einem ständigen Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Was heute als Haßrede gilt, kann morgen bereits als gesellschaftlich akzeptierte Meinungsäußerung angesehen werden.

Dies schafft einen gefährlichen Spielraum für willkürliche Entscheidungen und wird dazu führen, daß kritische Stimmen aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden. In einer Demokratie ist es jedoch von entscheidender Bedeutung, daß auch unbequeme und sogar haßerfüllte Meinungen Gehör finden, solange sie keine Strafgesetze verletzen.

Die maximal offene Formulierung „negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen“ ist besonders problematisch. Wer entscheidet eigentlich darüber, welche Äußerungen negative Auswirkungen haben? Demnächst sind es faktisch die „Trusted Flagger“. In einer stark polarisierten Gesellschaft, in der der öffentliche Diskurs oft hitzig geführt wird, kann und wird diese Fallgruppe dazu verwendet werden, unliebsame Meinungen zu unterdrücken und so das demokratische Fundament unserer Gesellschaft zu untergraben.

Ein weiterer kritischer Punkt ist die Uferlosigkeit des Leitfadens. Bereits zu Beginn der Liste wird darauf hingewiesen, daß sie keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Neben den genannten Kategorien gibt es ausdrücklich auch „andere“ Inhalte, die als problematisch angesehen werden können. Diese Formulierung öffnet Tür und Tor für eine Vielzahl von Interpretationen, gibt den „Trusted Flagger“n einen erheblichen Ermessensspielraum und läßt Raum für Mißbrauch. Die Möglichkeit, daß „Trusted Flagger“ faktisch willkürlich entscheiden können, welche Inhalte gelöscht werden sollen, ist besorgniserregend. Insbesondere kleinere Plattformen könnten aus Angst vor negativen Konsequenzen vollkommen legale Inhalte löschen und so die Vielfalt der Meinungen im Netz gefährden.

Hinzu kommt: „Trusted Flagger“ werden vermutlich vor allem Organisationen mit eigenen politischen Agenden oder Interessen sein. So handelt es sich gleich bei dem ersten zugelassenen „Trusted Flagger“ REspect! um eine politische Vorfeldorganisation der Grünen. Dies wirft Fragen hinsichtlich der Neutralität und Objektivität auf: Können wir wirklich davon ausgehen, daß solche Organisationen im besten Interesse einer offenen Gesellschaft handeln? Es besteht natürlich die Gefahr, daß persönliche Überzeugungen in den Entscheidungsprozeß einfließen und somit eine Form von Zensur mit politischer Schlagseite entsteht.

Zudem ist zu erwarten, daß innerhalb der „Trusted Flagger“ keine Binnenpluralität in dem Sinne existieren wird, daß von Sympathisanten der AfD bis zur Linken alle relevanten Parteien ihre jeweils „eigenen“ „Trusted Flagger“-Organisationen erhalten werden. Man muß kein Verschwörungstheoretiker und kein Hellseher sein, um zu erahnen, daß gewisse Flagger eben nicht das Prädikat „trusted“ erhalten sollten.

In einer Zeit des zunehmenden politischen Extremismus und der Polarisierung ist es wichtiger denn je, daß wir einen offenen Dialog fördern – auch wenn dieser Dialog unbequem sein kann. Der Ansatz der Bundesnetzagentur wird voraussichtlich genau das Gegenteil bewirken: Statt einen Raum für Diskussionen zu schaffen, wird er durch Überregulierung dazu führen, daß Menschen sich zurückziehen und ihre Meinung nicht mehr äußern.

Wir brauchen weder staatliche noch private Zensurbehörden. Die nächste Bundesregierung ist aufgerufen, in der EU eine Abkehr vom Prinzip der „Trusted Flagger“ durchzusetzen. Mindestens muß die Liste unzulässiger Meinungsäußerungen massiv eingeschränkt werden. Unjuristische und schwammige Kriterien wie „Haßrede“, „Diskriminierung“, „Negative Auswirkungen auf den zivilen Diskurs oder Wahlen“ oder gar „andere“ haben darin absolut nichts zu suchen. Es genügt vollkommen, strafbare Meinungsäußerungen aus dem Netz zu entfernen.

Wir stehen an einem kritischen Punkt in unserer digitalen Geschichte. Wir müssen nun gemeinsam dafür kämpfen, daß das Internet ein Ort bleibt, an dem unterschiedliche Meinungen gehört werden können – ohne Angst vor Zensur und Repression.



Prof. Dr. Ralf Höcker LL.M. ist Honorarprofessor an der Cologne Business School für Medienrecht und Anwalt für Medienrecht.