Die Weimarer Nationalversammlung hatte im Februar 1919 kaum ihre Verhandlungen über die Verfassung der ersten deutschen Republik aufgenommen, da erreichte sie aus Hamburg die Petition eines dort soeben aus der Taufe gehobenen „Afrikanischen Hilfsvereins“. Sie forderte neben sozialen und ökonomischen Verbesserungen für die sich im Deutschen Reich aufhaltenden Schwarzafrikaner erstaunlicherweise auch die Beibehaltung des afrikanischen Kolonialbesitzes als Bestandteil Deutschlands sowie die rechtliche Gleichstellung der dort lebenden Bevölkerung. Mit Ausnahme dieser Loyalitätserklärung gegenüber Deutschland blieb die Petition allerdings unbeachtet, der „Hilfsverein“ löste sich 1924 auf.
Aber damit endet in den vom Berliner Journalisten Vincent Bababoutilabo gesammelten „Fragmenten rassistischer Geschichten in Deutschland von 1918 bis 2021“ (Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, 1/2024) das Kapitel „schwarze Selbstorganisation“ in der Weimarer Republik noch nicht. Die erlebte vielmehr eine bescheidene Blüte, als im September 1929 eine deutsche Sektion der französischen „Liga zur Verteidigung der Negerrasse“ gegründet wurde, die dann im Dezember 1929 erstmals öffentliche Präsenz zeigte, als sie sich an einer antikolonialistischen Großdemonstration auf dem Berliner Alexanderplatz beteiligte. Dort trat als Redner der aus Kamerun stammende Kommunist Joseph Ekwe Bilé auf, ein Mitbegründer des erloschenen „Hilfsvereins“. Organisiert hatte diese Veranstaltung der Sozialistische Schülerbund. Die Kooperation zwischen der Liga und der extremen Linken war kein Zufall, entstand sie doch unter der Regie der Kommunistischen Internationalen (Komintern) im „Kampf der ausgebeuteten Kolonialvölker gegen Imperialismus und Kapitalismus“.
Erst als Resultat der NS-Machtergreifung verschwand die Liga von der deutschen politischen Bühne, weil das Häufchen ihrer Protagonisten kurzzeitig inhaftiert, dann abgeschoben wurde, und weil die von Moskau gelenkte Komintern ihren antikolonialistischen Kurs ganz dem „Kampf gegen den Faschismus“ unterordnete.
Mangels „Community“ keine Notwendigkeit von Antirassismus
Bababoutilabos Versuch, ausgehend vom Weimarer Beispiel, endend mit der ebenfalls auf dem Alexanderplatz abgehaltenen „Black Lives Matter“-Demonstration vom 6. Juni 2020, eine identitätsstiftende Kontinuität des deutschen „Antirassismus“ zu konstruieren, scheitert an den von ihm selbst recherchierten Fakten. Denn die Schwarzen-Liga richtete ihre Agitation im Rahmen der Antikomintern, getreu den Losungen Lenins, allein gegen den imperialistischen Kolonialismus der Westeuropäer und der USA, nicht gegen das Phantom eines Schwarzafrikaner ausgrenzenden „Rassismus“ der ethnisch homogenen reichsdeutschen Mehrheitsgesellschaft.
Für die westdeutsche Geschichte ab 1949 kommt Bababoutilabo mangels schwarzer „Community“ das ihm wichtigste rassistische wie antirassistische Subjekt seiner Erzählung abhanden. Ersatzweise muß er den in der DDR virulenten „Alltagsrassismus“ gegenüber afrikanischen (etwa 15.000 aus Mosambik, 1.300 aus Angola) und 59.000 vietnamesischen Vertragsarbeitern (Zahlen von 1989) seit sowie die in den 1970ern sich formierende „transnationale Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma“ schildern, die im Geist des „Antirassismus“ jahrzehntelang um ihre Anerkennung als Opfer der NS-Rassenpolitik kämpfte. Erst kurz vor dem Mauerfall zeichnen sich in der Bonner Republik zarte Konturen der gegenwärtig voll ausgereiften Konstellation ab, die ideal in Bababoutilabos Schema passen, aber nicht von ihm, sondern von Tanita Jill Pöggel, einer am Frankfurter Lehrstuhl für Kriminologie und Strafrecht tätigen „antirassistischen“ Mitstreiterin skizziert werden (Leviathan, 1/2024).
Demnach kristallisierte sich schon in den 1980ern ein Netzwerk aus „Geflüchteten, Migrant*nnen und/oder vom Rassismus Betroffenen“ als kraftvolle „antirassistische Bewegung“ heraus, die mehrmals im Jahr zu „bundesweiten Treffen der Einwanderer- und Flüchtlingsinitiativen“ einlud. Nichts lag daher für die autochthone radikale Linke näher, als „antirassistische Solidarität“ zu üben und den damals nur tröpfelnden Zuwanderer-Zustrom als Ressource für ihren „Kampf gegen das kapitalistische Weltsystem“ zu nutzen. „Flüchtlinge als zentrale proletarische Akteure eines internationalen Klassenkampfs“ in die europäischen Metropolen zu schleusen, das schien als Sprengsatz zu taugen, um die „soziale Revolution gegen den spätkapitalistischen Imperialismus“ zu entfesseln.
Doch die Rechnung ging nicht auf. 1988, auf dem 7. bundesweiten Treffen der „EinwanderInnen- und Flüchtlingsinitiativen“, kam es zum Eklat, der „die tiefe Kluft zwischen nicht-deutschen Minderheiten und den deutschen Linken“ offenbarte. Denen wurde „latenter Rassismus“ vorgeworfen, weil sie „Geflüchtete“ antirassistisch instrumentalisieren wollten. Auch patentierte „Anti-Rassisten“ traf nun die „Rassismus“-Keule, so daß die klassenpolitische Einheitsfront zwischen zugewanderten proletarischen Sendboten des globalen Südens und deutschen Lohnabhängigen ein Traum blieb.
Interne Querelen solcher Art sowie der relativ schwache politische und somit finanzielle und mediale Rückhalt gestatteten dem „Antirassismus“ der Berliner Republik zunächst nur eine Nischenexistenz. „Neue Sichtbarkeit“ gewann er erst ab 2015, als die CDU-Kanzlerin Angela Merkel die deutschen Grenzen für jedermann öffnete. Neben den enthemmt „Willkommenskultur“ feierenden GEZ-Medien und der „Qualitätspresse“ spielt die Behörde der 2022 zur ersten Beauftragten für Antirassismus ernannten SPD-Politikerin Reem Alabali-Radovan und das seit 2017 mit vielen Steuergeldmillionen geförderte Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in Berlin eine tragende Rolle bei der „sichtbaren antirassistischen“ Massenmobilisierung.
Auf deren Einfluß weisen Tae Jun Kim und Elias Steinhilper (beide DeZIM) zwar hin, wenn sie im Forschungsjournal der Frage nachgehen, welche sozialpsychologischen und politischen Faktoren Menschen motivieren, an solchen den Bevölkerungsaustausch flankierenden „Protesten“ teilzunehmen. In erster Linie sind es für sie jedoch „individuelle Einstellungen“ und „subjektive Wahrnehmungen“, die Bürger in Mitläufer des staatlich subventionierten „Antirassismus“ verwandeln. Aus welchen Informationsquellen sich das dafür nötige Bewußtsein der 13.000 zum Thema „Rassismus und Antirassismus“ befragten Teilnehmer einer Erhebung speist, auf die sich Kim und Steinhilper stützen, fragen diese beiden „antirassistisch“ engagierten Sozialforscher natürlich nicht.
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