Es ist verrückt, wie schlecht Konservative in diesen Dingen sind“, faßte ein Nutzer der Internetplattform X die allgemeine Stimmung Anfang Mai zusammen. Kurz zuvor hatte das amerikanische konservative Medienunternehmen „Daily Wire“ die erste Folge seiner hauseigenen Zeichentrick-Comedy-Serie „Mr. Birchum“ ausgestrahlt. Und aus dem eigenen Lager vor allem Kopfschütteln geerntet. Zu uninspiriert die Witze, so der allgemeine Tenor, zu altbacken die aufgegriffenen Themen. „Viele der Witze fallen flach aus und viele der Dialoge sind nicht besonders gut. Die Macher der Serie sollten nicht erwarten, daß Leute diese Serie mögen, nur weil sie die ‘richtige’ politische Einstellung vertreten“, urteilte ein weiterer Nutzer.
Es scheint also auch im Jahr 2024 alles nicht ganz so einfach zu sein mit der politischen Rechten und der Popkultur. Wo sind gute rechte Bands, wo laufen überzeugende Filme, die konservativen Geist atmen? Die Rechte ist nach wie vor darin begabt, Hochkultur zu produzieren, doch Pop assoziiert man mit ihr nicht.
Ausgerechnet der linke Ventil-Verlag hat sich im Rahmen seiner Reihe „Testcard“ nun darangemacht, eine theoriegesättigte Übersicht zum Thema „Rechtspop“ zu veröffentlichen. Noch habe diese Poprechte „vielleicht noch gar nicht mitbekommen, daß es sie bereits gibt“, beginnt der Musikjournalist Frank Apunkt Schneider den Band. Doch zeichne sie sich „eben immer deutlicher ab, wenn auch noch nicht als einheitliches Gebilde, sondern als noch zu entwirrendes Sammelsurium“. Ostdeutsche Rapmusik mit rechten Texten lasse sich ebenso unter den Begriff einordnen wie die Wahlkampfveranstaltungen Donald Trumps, in denen er zu den Klängen des 1970er-Jahre-Discohits „YMCA“ die Hüften schwingt. „Das Mandantenverhältnis, das sie mit dem zu gleichen Teilen herbeihalluzinierten wie real vorhandenen Volkswillen im Spätkapitalismus einzugehen“ hofften, wolle die Rechte „als Beitrag zur populären Kultur verstanden wissen“. Also: Politik soll selbst Pop, soll große Geste, Revolte und Errettung werden.
In einem weiteren Beitrag versucht der Sozialpädagoge Jan Raabe das bisherige Verhältnis zwischen Popkultur und „rechter Szene“ in Deutschland nachzuzeichnen. Sein Befund läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: die Versuche rechter Akteure der siebziger, achtziger und neunziger Jahre, Popkultur zu vereinnahmen, seien allesamt erfolglos geblieben. Gleichzeitig habe es immer wieder Pop-Subkulturen gegeben, etwa die Gothic/Neofolk-Szene oder die Skinhead-Bewegung, die sich unabhängig irgendwelcher Unterwanderungsversuche in eine rechte und teilweise rechtsextreme Richtung entwickelten. „Die ‘Generation Hoyerswerda’, die mit ihrer rassistischen Gewalt politische Wirksamkeitserfahrungen“ machen konnte, sei etwa „popkulturell durchgeprägt“ gewesen, schlußfolgert der Autor: Sie hatte „einen Sound, eine Mode, ein Lebensgefühl“.
Zwei Exzentriker geraten ins Lager der Trump-Anhänger
Einem aktuelleren Beispiel widmen sich die Journalistin Babsi Clute-Simon und die selbsternannte „Rechtsextremismusexpertin“ Bianca Kämpf. Im Kern ihres Textes steht der Begriff der Avantgarde. Die Vorstellung einer konservativ-rechten Pop-Elite, deren Kunst nicht einfach als „links“ codierte Formen übernimmt, sondern auf grenzsprengende und fruchtbar-anrüchige Weise eine eigene Popkultur kreiert, geisterte seit längerem durch bestimmte Zirkel der Neofolk- und Black-Metal-Szene sowie Teile der sogenannten „Neuen Rechten“. Clute-Simon und Kämpf richten ihren Blick jedoch auf gänzliche andere Protagonisten, nämlich die beiden amerikanischen Alternativ-Pop-Musiker Ariel Pink und John Maus. Die machten sich in den frühen 2000er und 2010er Jahren als exzentrische und innovative Indie-Musiker einen Namen. So nahm Pink sein erstes Album als Student in seinem Schlafzimmer auf, ersetzte das Schlagzeug durch mit dem Mund produzierte Plopp- und Schnalzgeräusche und baute sich, anstatt sich auf die Suche nach einem Plattenvertrag zu begeben, einen eigenen kleinen Kiosk, von dem aus er seine Alben verkaufte.
Maus vertrieb seine Songs, eine merkwürdige Mischung aus achtziger New-Wave und Mittelalter-Melodien, noch in den frühen 2000er Jahren auf Kassetten.
Was die beiden in einem Band über rechte Popkultur zu suchen haben, ist auf den ersten Blick schnell geklärt: Tatsächlich wurden Maus und Pink unter der Menschenmenge gesichtet, die am 6. Januar 2021 vor dem Kapitol demonstrierte – und das Gebäude schließlich heimsuchte. „Wie haben zwei experimentelle Freigeister, deren Œuvre eingebettet ist in eine immer wieder als tendenziell links gedeutete Alternative- und Independent-Kultur, ihren Weg gefunden in diese Ansammlung sich entrechtet fühlender Bürger des konservativen bis extrem rechten Spektrums?“, fragen die Autoren. Ihr Weg der demonstrativen Verweigerung gegenüber jeglicher musik-industrieller Normalität hatte sie offenbar langfristig ins Lager der Trump-Sympathisanten geführt.
Die Avantgarde hat eine eigene rechte Tradition
Ungern möchten Clute-Simon und Kämpf nun die häufig vorgenomme Einordnung der beiden Musiker als „Avantgarde“ stehenlassen. Zumindest einen Traditionsstrang lassen sie gelten: Von Faschismus-affinen Kunstrichtungen wie dem italienischen Futurismus ziehen sie eine Verbindung zu John Maus und seinem Lied „Cop Killer“. Das hatte der Musiker einst mit den Worten beschrieben, es behandele „die Idee, daß jede würdige politische oder künstlerische Agenda immer das Zunichtemachen der jetzigen Situation suchen“ solle.
Dazu kommt das Gift der Nostalgie. Während Pink musikalisch immer wieder auf die sechziger und siebziger Jahre anspielt und Kindheitserinnerungen aufleben läßt (der Musikjournalist Simon Reynolds bezeichnete Pinks Debütalbum „The Doldrums“ als „halbewußten Versuch, die glückselige, wahllose Art und Weise nachzubilden, mit der Kinder Popmusik hören, bevor sie lernen, was cool oder uncool ist“), bedient sich Maus gern bei den Melodien mittelalterlicher Choräle. „Hier finden wir den Rückgriff auf das avantgardistische (und im selben Moment faschistische) Moment der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart und seiner Auflösung in die Gegenwart“, folgern Clute-Simon und Kämpf.
Zwei Kapitel weiter schreibt der Kulturwissenschaftler Ewgeniy Kasakow „zur Genese rechter Tendenzen und zur Rolle der faschistischen Ästhetik“ in der Rockmusik der ehemaligen Sowjetunion. Demnach seien frühe ästhetische Spielereien mit der Bildwelt des Nationalsozialismus vor allem einem antitotalitären Gestus entsprungen – es handelte sich um versteckte Kritik am Sowjetsystem. Ab den achtziger Jahren fügte jedoch die Dark-Wave-Band Agata Kristi dem Ganzen eine neue, auf den ersten Blick unpolitische Note hinzu: „Das Thema ‘Faschismus’ erscheint in diesem Kontext vor allem als Synonym für das metaphysische Böse“, faßt es Kasakow zusammen, um dann doch auf „antifaschistische“ Spurensuche zu gehen. So veröffentlichte einer der Haupt-Songwriter der Band, Vadim Samoylov, Anfang der Neunziger das Soloalbum „Malenkij Fritz“, das den Zweiten Weltkrieg „aus der Perspektive eines ‘verführten’ Deutschen darstellte“ – ohne allerdings die Grausamkeiten des NS-Regimes auszuklammern.
Ihren Höhepunkt fand die Verknüpfung von Pop, Kunst und Politik schließlich in der Nationalbolschewistischen Partei Rußlands. Die 1993 von dem Schriftsteller Eduard Limonow gegründete Bewegung „wendete die Totalitarismustheorie ins Positive: Alle Radikalen waren willkommen, was zählt war der Wille zur Auflehnung gegen das sich als alternativlos gebärdende System des siegreichen Westens“, beschreibt Kasakow. Obwohl politisch erfolglos, zog die Gruppe nicht bloß bekannte Intellektuelle wie Alexander Dugin an, sondern etwa auch das Punk-Urgestein Jegor Letow, den Jazzmusiker Sergej Kurjochin oder die Sängerin Natalia Medwedewa. Mit öffentlichen Aktionen irgendwo zwischen Konzept-Kunst und radikalem Protest, wie etwa der Besetzung des Hauptquartiers der Regierungspartei „Einiges Rußland“ im Jahr 2004, eroberte sich die Gruppe bis zu ihrem Verbot 2007 eine Schar junger, vor allem durch die Punk- und Skinhead-Subkultur geprägte Anhängerschaft.
Am Beispiel des postsowjetischen Rußlands und der „Generation Hoyerswerda“ wird allerdings klar: mit der lockeren Selbstverständlichkeit, mit der sich linker Pop in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in die Mitte der Gesellschaft rockte, kann rechter Pop bislang nicht aufwarten. Genuin und organisch gewachsene rechte Pop-Kulturen entstehen in Krisensituationen und zerbrechenden kommunistischen Systemen. Die bröckelnde Ordnung des liberalen Westens bringt rechte Jugendbewegungen hervor, doch bislang keinen konkreten kulturellen Stil, weder in der Kleidung,noch in der Musik. Der Versuch der Identitären Bewegung (IB), eine eigene Popkultur zu kreieren, blieb, so deutet es zumindest der Germanist Steffen Hendel in seinem Text, mehr Versuch als Realität. Zu eklektisch blieben die Versuche, sich von der britischen Rockband The Clash bis hin zum Graffiti-Künstler Banksy Popkultur einzuverleiben. Die IB blieb immer mehr Politik als Pop.
Doch in Zeiten brechender Gewißheiten ist nicht gesichert, daß dies so bleiben muß.
Fotos: US-Musiker Ariel Pink in Kopenhagen 2018; John Maus beim Roskilde-Festival 2018: Vom Avantgarde-Pop zum Kapitolsturm des 6. Januar,Vadim Samoylov gibt ein Konzert anläßlich des 30. Geburtstags der russischen Rockband Agata Kristi in der Crocus City Hall in Krasnogorsk: Protest gegen die Sowjetunion
Testcard Rechtspop: Ausgabe 27: Rechtspop. Beiträge zur Popgeschichte. Ventil Verlag, Mainz 2023, broschiert, 296 Seiten, Abbildungen, 18 Euro