© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/24 / 11. Oktober 2024

Vom Pferd gefallen
Kino II: Ein bewegender Dokumentarfilm setzt dem vor 20 Jahren verstorbenen Superman-Darsteller Christopher Reeve ein Denkmal
Dietmar Mehrens

Ist das Universum ein Chaos? Oder ist alles aus einem bestimmten Grund da und unsere Aufgabe, den Grund dafür zu entdecken?“ Es ist dieser Satz von Christopher Reeves Sohn Will, der den Zentralgedanken des Films „Super/Man – The Christopher Reeve Story“ von Ian Bonhôte und Peter Ettedgui auf wenige Worte komprimiert und zugleich auf einen Nenner bringt, was für die Angehörigen des Superman-Darstellers zur Existenzfrage wurde.

Will gehörte zusammen mit seinen Halbgeschwistern Matthew und Alexandra Reeve Givens sowie deren Mutter Gae Exton zu den wichtigsten Interview-partnern für diese bewegende Dokumentation über Leben und Leiden des berühmten Hollywood-Stars, der 1977 als eher unbekannter Darsteller in die Rolle seines Lebens schlüpfte und nach einem tragischen Reitunfall zum Paradebeispiel für Ironie des Schicksals werden sollte: Ausgerechnet der Mann, der einen stählernen Helden verkörperte, der über Superkräfte und durch die Fähigkeit zu fliegen über ein Höchstmaß an Mobilität verfügte, war nach seinem lebensgefährlichen Sturz vom 27. Mai 1995, der in seiner Folgenschwere an den Skiunfall der deutschen Rennsportlegende Michael Schumacher erinnert, querschnittsgelähmt.

Nie zuvor gezeigte Filmaufnahmen plus Archivmaterial und Interviews

Christopher Reeve hat wie kein anderer die Hochs und Tiefs des Filmgeschäfts kennengelernt. Und das lag nicht allein an dem geringen Erfolg, den er mit Filmen erzielte, die mit seiner Paraderolle, der des Comic-Helden mit dem bürgerlichen Namen Clark Kent, nichts zu tun hatten. Nach dem schweren Sturz hängt sein Leben auf der Intensivstation am seidenen Faden. Zweimal setzt sein Herzschlag aus. Reeves Mutter plädiert dafür, ihren Sohn von den Geräten zu trennen, ohne die er nicht mehr atmen kann. Doch Ehefrau Dana ist dagegen. Mit den Worten: „Du bist immer noch du, und ich liebe dich“, rettet sie ihm das Leben. Wie durch ein Wunder erholt sich der Todgeweihte. 

Fast ein Jahr später, im März 1996, dann der umjubelte Auftritt des an den Rollstuhl Gefesselten bei der Oscar-Verleihung. Etliche der Hollywood-Größen haben Tränen in den Augen. Es beginnt der gesellschaftliche Kampf gegen das Übersehenwerden von Querschnittsgelähmten und anderen Invaliden, bei dem der Schauspieler auf die Unterstützung des späteren US-Präsidentschaftskandidaten John Kerry zählen kann. Reeve tritt auf dem Parteitag der Demokraten auf, hält eine bewegende Rede. Der 1952 in New York zur Welt gekommene Hüne mausert sich zur charismatischen Führungspersönlichkeit im Kampf um ein Heilmittel für Rückenmarksverletzungen und die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die nach ihm und seiner Frau Dana benannte Stiftung wird sein Lebensprojekt.

Alle persönlichen Therapieversuche scheitern jedoch: Der Mann, der Superman war, bleibt vom Hals abwärts gelähmt. Doch er gibt nie auf. Vor und hinter der Kamera führt der Unbeugsame parallel zum gesellschaftspolitischen Engagement seine Filmkarriere fort. Er spielt die Hauptrolle in der Neuverfilmung des Hitchcock-Klassikers „Das Fenster zum Hof“ und führt sogar selbst Regie. Seine Kraftquelle sind seine unerschütterlich zu ihm stehende Ehefrau Dana und die drei Kinder. 2004 dann der tragische Absturz: Reeve stirbt an den Folgen einer Infektion. Ein Jahr nach dem Tod ihres Vaters ereilt Alexandra, Matthew und Will die nächste Hiobsbotschaft: Wills Mutter Dana, die fast ein Jahrzehnt unter Aufbietung aller ihrer Kräfte an der Seite des Schwerbehinderten ausgeharrt hatte, ist an Krebs erkrankt.

Die durch die Authentizität der geschilderten Schicksale ergreifende Dokumentation enthält nie zuvor gezeigte private Filmaufnahmen, Archivmaterial sowie die ersten ausführlichen Interviews, die Reeves drei Kinder jemals über ihren Vater gegeben haben. Bekannte Hollywood-Kollegen, die zum Freundeskreis des Clark-Kent-Darstellers zählten, kommen zu Wort: Susan Sarandon, Jeff Daniels, mit dem zusammen er am Broadway spielte, Glenn Close, die er für seine eigene Regiearbeit „In the Gloaming“ besetzte und die eine große Unterstützerin der von ihm gegründeten Stiftung wurde.

In Archivaufnahmen ist außerdem der zehn Jahre nach Reeves Tod freiwillig aus dem Leben geschiedene Komiker Robin Williams zu sehen. Die beiden waren eng befreundet, seit sie sich in New York ein Zimmer an der Juillard School, einem Konservatorium für darstellende Künste, hatten teilen müssen. Ausschnitte aus den vier „Superman“-Filmen des New Yorkers sowie aus seinen weniger bekannten TV-Produktionen „Anna Karenina“ (1985), „In the Gloaming“ (1997) und „Das Fenster zum Hof“ (1998) runden den gelungenen Ausflug auf die Schattenseiten des Hollywood-Ruhms ab.

Foto: Christopher Reeve in dem ersten „Superman“-Film von 1978: Paraderolle als stählerner Held

Kinostart ist am 10. Oktober 2024