So allmählich scheint auch die Filmbranche zu merken, daß man angesichts einer Politik, die Individualisierung, Selbstbestimmung und Feminismus jede nur erdenkliche Brücke baut, Familien und Kindersegen dagegen nicht, gut daran tut, wenigstens der infolgedessen zwangsläufig alternden Gesellschaft mal ein paar Brücken zu bauen. Und so kommen immer mehr Filme in die Kinos, in denen rüstige Rentner die Filmhelden sind. Man sah beispielsweise vor einem Jahr Michael Caine in seinem letzten Film „In voller Blüte“ (JF 48/23) als Weltkriegsveteran zu den D-Day-Feierlichkeiten in Frankreich reisen, wozu seine Gemahlin, gespielt von der kurz danach verstorbenen Glenda Jackson, nur den Kopf schütteln konnte.
Diesmal steht eine Frau im Mittelpunkt einer in der Grundkonstellation durchaus ähnlichen Durchbrenn-Geschichte: Thelma Post (June Squibb). Eigentlich hat die verwitwete 93jährige, die allein in ihrem Häuschen in Encino, Großraum Los Angeles, wohnt, vom Leben nicht mehr viel zu erwarten. Täglich schluckt sie ein Dutzend Pillen, zu den wichtigsten Verrichtungen des Tages gehören Stickarbeiten, das Abzählen der Tabletten und das Rein- und Rausnehmen der Hörgeräte. Ihrem 24jährigen Enkelsohn Daniel (Fred Hechinger) hat sie es zu verdanken, daß sie inzwischen ein weiteres Hobby hat, das ihr hilft, die im Überfluß vorhandene Zeit totzuschlagen: ihren Computer. Dort versucht sie mühsam, sich einen Überblick über ihre E-Mails zu verschaffen und lauscht sichtlich angetan dem Musikvideo zu „Papa Loves Mambo“.
Stürmischer Beifall für den Rentner-Doppelwumms
Eines bösen Tages jedoch ereignet sich Dramatisches im Leben der Seniorin: Sie fällt auf den sogenannten Enkeltrick herein: Daniel meldet sich mit Panik in der Stimme am Telefon. Er habe eine Schwangere angefahren – alles ganz schlimm! Nur gegen die sofortige Zahlung von 10.000 US-Dollar könne das Schlimmste abgewendet werden. Zu spät schaltet Thelma ihre Tochter Gail (Parker Posey) und ihren Schwiegersohn Alan (Clark Gregg) ein. Als der Schwindel auffliegt, ist es zu spät: Das Geld ist futsch.
Oder doch nicht? Die Postfachadresse, an die das Geld geschickt werden sollte, ist zwar im Müll gelandet, doch Thelma fischt sie wieder heraus. Und nun geht die Oma aufs Ganze: Sie wendet sich an ihren alten Freund Ben (Richard Roundtree), der im Altenheim lebt, und entwendet ihm, als der nicht richtig mitzieht, kurzerhand seinen Krankenfahrstuhl. Ben eilt ihr resolut nach. Zum Glück ist das Elektro-Dreirad (Spitzengeschwindigkeit: 10 km/h) ein Zweisitzer. Als Daniel, der vor der Pflegeeinrichtung auf seine Großmutter warten sollte, diese dort nicht mehr vorfindet, benachrichtigt er seine Eltern. Nun beginnt eine doppelte Verfolgungsjagd: Daniel und seine Eltern versuchen Thelma zu finden, Thelma und Ben die Trickbetrüger. Dabei schreckt Thelma auch vor drastischen Maßnahmen nicht zurück: Durch eine List erbeutet sie einen geladenen Revolver mit „Dirty Harry“-Kaliber und stürzt sich gemeinsam mit Ben in ein wildes Abenteuer, bei dem einiges zu Bruch geht. Die Abzocker, die Thelma ihr Geld gestohlen haben, können sich auf was gefaßt machen!
„Thelma – Rache war nie süßer“ ist eine sympathische Hommage von Regisseur und Drehbuchautor Josh Margolin an seine eigene Großmutter, von der einige Originalsätze direkt ins Drehbuch wanderten und deren unglaubliche, aber wahre Geschichte ihr Enkel auf Zelluloid bannte. Natürlich mit der nötigen künstlerischen Freiheit, von der sich Margolin durchaus noch etwas mehr hätte nehmen können. Denn das Drehbuch des Kino-Debütanten weist einige Schwächen auf. Neben Thelma macht es auch Daniel zu einer Hauptfigur der Rentnerkomödie. Doch dem mit großen Selbstzweifeln kämpfenden Enkel fehlt es an Kontur. Eine Nebenhandlung, die seine psychische Labilität zu erklären versucht, bleibt zu vage. Gelungen ist dagegen die subtile Kritik an den Zumutungen, die das Zeitalter von Amazon, Google & Co. für diejenigen bedeutet, die davon abgehängt werden.
Anläßlich der Weltpremiere beim diesjährigen Sundance-Filmfestival, dem Stelldichein der unabhängigen Produzenten, gab es stürmischen Beifall für den beherzten Rentner-Doppelwumms in Gestalt von „Shaft“-Ikone Richard Roundtree, der leider kurz nach den Dreharbeiten verstarb, und seiner Filmpartnerin June Squibb, die sich auch an der Produktion beteiligte – rüstig wie die Frau, die sie spielt.
Foto: Thelma Post (June Squibb) und ihr alter Freund Ben (Richard Roundtree)