© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/24 / 11. Oktober 2024

Dorn im Auge
Christian Dorn

Mit Engels-Zungen gesprochen ist „Freiheit“ nichts anderes als die berüchtigte „Einsicht in die Notwendigkeit“. War es vielleicht dieser, die Arbeiter und Bauern einschüchternde ideologische Leitsatz der DDR, der Egon Krenz dazu verleitete, sich zum Anwalt der „Wende“ zu erklären? Jedenfalls sind für den November 2024 die Memoiren Angela Merkels angekündigt, ausgerechnet unter dem Titel „Freiheit“. „Chamäleon“ wäre treffender. Dabei markiert ein Satz aus dem Jahr 2013 (geäußert im TV-Duell gegen ihren SPD-Kontrahenten Peer Steinbrück) die prolongierte Machteroberung Merkels besser als jeder andere Satz: „Sie kennen mich.“ Dabei lautet das Motto heute: Sie werden mich noch kennenlernen – und zwar schneller, radikaler und ungeschminkter, als es je möglich war. In „Frechheit“ – Untertitel: „Die alternativlose Autobiographie von Angela Merkel“ – entstellt der Karikaturist und Satiriker Bernd Zeller das Wirken Merkels in der Weltgeschichte, beginnend bei der Menschwerdung, zur Kenntlichkeit.

„Nun sind sie halt da“, die Merkel-Memoiren, nach denen die Geschichte neu geschrieben werden muß.

Dabei schlägt während der Lektüre eigentlich jeder lakonische Kommentar zu den Skizzen von der überzeitlichen Sphinx des Merkelschen Museums eine Volte, so etwa bei der Ablösung des Alten Griechenlands durch das Römische Reich, als Merkel selbst den Schierlingsbecher reicht: „Der Becher für Sokrates war alternativlos, diese Einsicht vertrat er schließlich selbst.“ Auf der nächsten Seite präsentiert sich „Herodes’ Mädchen“, das als „für die Neugeborenen zuständige Familienministerin vollständige Arbeitserledigung vorzuweisen hatte“. In Rom wittert die Merkelokratie alsbald „Wahrheitsschwurbler (…) mit Formulierungen unterhalb der Aufwiegelung“, weshalb hier die „Erweiterung des Kreditrahmens“ folgt, „um den Zivilcouragepreis mit dreißig Silberlingen zu dotieren“, einer „Investition, mit der wir uns Zeit erkauften.“ Mutiert zur „Kultursenatorin“, organisiert sie Gladiatoren und Tiere, schließlich muß von den „Reichsleugnern“ abgelenkt werden. Lakonisch wird auch der Willkommenswahn reflektiert: „Den Limes habe ich nicht geöffnet, ich habe ihn bloß nicht geschlossen.“ Schließlich hätten sie die „Legionäre“ überzeugt, daß die Vorstellung vom Limes nur eine Illusion sei. Später, inzwischen Burgfräulein, motiviert sie „Nichtregierungsretter“ beim „Aufstehen gegen Drachen“. Einen historischen Wimpernschlag weiter geht es zur „Paulskirchenverfassung mit Pressefreiheit und Meinungsfreiheit.“ Diese aber „kam keineswegs überraschend, das war abzusehen und daher unverzeihlich“: Sie „mußte rückgängig gemacht werden.“ Mit anderen Worten: „Nun sind sie halt da“, die unglaublichen Merkel-Memoiren, nach denen die Geschichte neu geschrieben werden muß.


Bernd Zeller: Frechheit. Die alternativlose Autobiografie von Angela Merkel. Solibro, Münster 2024, gebunden, 68 Seiten mit 80 Zeichnungen, 20 Euro