© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/24 / 11. Oktober 2024

Frauen an der Macht
Essay: Bringt konsequent in der Politik angewen-deter Feminismus die Gesellschaft wirklich weiter? Linke Ideologen sind davon überzeugt. Literatur- und Filmgeschichte widersprechen
Dietmar Mehrens

Sie küßten sie und schlugen sich um sie, vornehmlich allerdings mit dem Tennisschläger in der Hand, die beiden männlichen Hauptfiguren des Films „Challengers – Rivalen“, der sich seit Ende April an den Kinokassen, dank beachtlichen Zuspruchs in den urbanen und universitär geprägten Räumen, erstaunlich gut geschlagen hat. Am Ende bilden sie ein Trio mit zwei Herzen. Denn die, um die die beiden Männer sich duellieren, ist kalt wie Eis. Wenn in dieser Frau überhaupt ein Herz schlägt, dann nur für sie selbst.

Der Film von Luca Guadagnino ist eine der vielen Antipatriarchatsparabeln, wie sie derzeit Mode sind (vgl. Blick in die Medien JF 17/24). Er handelt von zwei Tennisassen, die einer attraktiven Frau verfallen oder, um es klassisch auszudrücken, sich von ihr becircen lassen. Denn die unheimliche Kirke oder Circe, die laut Homer Männer in Schweine verwandelte und auch Odysseus in ihren Bann zu ziehen versuchte, ist es, die hier offensichtlich Pate stand. Sie ist gleichsam der antike Beweis dafür, daß auch Frauen den Verlockungen der Macht erliegen und Eigennutz kein männliches Privileg ist.

Die charismatische Kalifornierin Zendaya ist das unangefochtene Zentralgestirn von „Rivalen“. Sie spielt die gestrauchelte Tennishoffnung Tashi Duncan. Mit ihrer unterkühlt-erotischen Ausstrahlung setzt sie die beiden um sie buhlenden Tennisjunioren Patrick Zweig und Art Donaldson derart unter Starkstrom, daß die Becircten wie hilflose Deppen wirken.

Jahre später ist Tashi Arts Trainerin. Sie entpuppt sich dabei als narzißtische Strippenzieherin, die mehr darunter leidet, daß Art seinen Zenit überschritten hat, als der Sportler selbst. Mit dem Druck, den sie darum auf ihn ausübt, gleicht sie jenem Prototyp der starken Frau, den wir aus Shakespeares Schurkenstück „Macbeth“ kennen. Der ehrgeizige Möchtegernkönig Macbeth geht darin über Leichen. Doch hinter ihm steht eine starke Frau, die im Grunde viel ehrgeiziger ist als der Thronprätendent selbst. Lady Macbeth kommt indes nicht aus dem Nichts. Im Grunde variiert der große englische Dramatiker in der Gestalt der eiskalten Lady nur das, was die Bibel als eines der kohärentesten Zeugnisse der Antike über Frauen zu berichten weiß.

Gleich im ersten Buch, mit Adam und Eva, geht es los: Wer hat sich da noch mal von der Schlange beschwatzen lassen und danach Adam beschwatzt? Ein paar Bücher weiter bricht die Heilige Schrift den Stab über die phönizische Königstochter Isebel. Die skrupellose Gattin des israelischen Königs Ahab gehört zu den großen Antiheldinnen der Antike. Wie ihr ägyptisches Pendant Kleopatra (aber ohne wie diese durch Elizabeth Taylor zu einer Lichtgestalt in den Lichtspielhäusern der sechziger Jahre geworden zu sein) ereilt sie die Nemesis. Der biblische Geschichtsschreiber, der die Sicht des jüdischen Klerus vertritt, fällt über sie ein ungnädiges Urteil und macht sie verantwortlich dafür, daß der magische Baalskult in Israel hoffähig wurde.

Als Ahab es in seiner Sommerresidenz Jesreël auf den Weinberg seines Nachbarn Naboth abgesehen hat, der aber nicht verkaufen will, ersinnt Isebel die Intrige, durch die Naboth ums Leben kommt: Zwei falsche Zeugen beschuldigen ihn der Gotteslästerung. Naboth wird gesteinigt. Nach einem Putsch des neuen Königs Jehu gegen die Dynastie Ahabs, der auch Ahasja, König von Juda, zum Opfer fällt, kommt es ca. 845 v. Chr. zur feministischen Machtergreifung durch Ahasjas Mutter Athalja aus der Linie Ahabs. Sie läßt alle Angehörigen des Königshauses von Juda umbringen und tritt an die Stelle ihres toten Sohnes, dessen Beraterin sie schon vorher war. Sie endet wie die intrigante Lady de Winter, ihre literarische Seelenverwandte, in „Die drei Musketiere“ (1844). Da ihr Enkelsohn Joas mit dem Leben davongekommen ist, wird Athalja nach einer Palastrevolte, die der Priester Jojada sechs Jahre später anzettelt, hingerichtet. „Das Patriarchat schlägt zurück“, würden Claudia Roth und Lisa Paus ihr Ende wohl seufzend kommentieren. Zu der klassischen Tragödie „Athalie“ hat 1691 der französische Dramatiker Jean Racine die frühfeministische Frauen-an-der Macht-Fabel verarbeitet.

Die intrigante Lady ist eine literarische Ikone, die in vielerlei Gestalt immer wieder auftritt, zuletzt etwa in der der Präsidentengattin Jill Biden. Nicht enden wollten die Spekulationen darüber, wie stark sie hinter dem Altersstarrsinn des scheidenden US-Präsidenten steckte, der trotz manifester gesundheitlicher Defekte auch dann noch an seiner Staatsoberhauptskandidatur festhielt, als längst alle präsidialen Felle davongeschwommen waren. Margaret Thatcher hatte zweifellos Lady-Macbeth-Qualitäten, nutzte diese aber lieber für sich selbst als für einen Mann an ihrer Seite. Für Angela Merkel, die Kanzlerin, die Kommunikation nach innen zu ihrer Geheimwaffe machte, gilt dasselbe. Nicht zuletzt SMS- und Telefonterror hielten sie 16 Jahre an der Macht.

Notfalls auch ganz ohne Männer aus kommt Lisbeth Salander, die große feministische Galionsfigur der Nullerjahre. Es ist kein Geheimnis, daß nicht die eher blasse Sprache der Krimis von Stieg Larsson, sondern die Faszination maßgeblich für den durchschlagenden Erfolg der drei Millennium-Krimis war, die von der weiblichen Hauptfigur ausging. Vor allem für die vielen Leserinnen. Frauen lesen ja viel mehr als Männer. Salander führt actionreich vor, welch unglaubliches Identifikationspotential frauliche Racheengel und vor allem die Umsetzung ihrer Rachegelüste in die Tat in Zeiten von #Metoo bieten.

Jahrelang wird Salander als Kind von ihrem perversen Vormund, dem Anwalt Bjurman, gequält und mißbraucht. Später wird sie dann nach dem Vorbild von Franz Kafkas Folterparabel „In der Strafkolonie“ dem Unhold seine Vergehen in die Haut einritzen. Als Computerhackerin, vor der kein System sicher ist, mausert sie sich zu einer Art Wonderwoman der digitalen Welt und verhilft damit ihrem männlichen Gegenüber Mikael Blomkvist zu den Ermittlungserfolgen, die in den drei Romanen „Verblendung“, „Verdammnis“ und „Vergebung“ wesentlich weniger im Fokus stehen als die mentalen und physischen Kräfte dieses, zumindest auf den Buchseiten der Romane, wahr gewordenen Kleinmädchentraums von Unabhängigkeit, Unbezähmbarkeit und Unbeherrschbarkeit.

Salanders Bisexualität dient dabei nicht nur dazu, dem zu Beginn des Jahrtausends, als die Romane erschienen, in neojakobinischen Kreisen bereits bös’ virulenten LGBT-Mumpitz die erwünschte Reverenz zu erweisen und so im linken Milieu zu punkten, in dem der Autor bekanntlich selbst zu Hause war. Sie ist auch Ausdruck der Verachtung für eine Sexualität, die bindet, an eine Person oder auch nur an ein Geschlecht. Das „Heimchen am Herd“-Klischee, dem seit jeher der linksfeministische Bildersturm gilt, es drückt eben nicht nur ein klassisches Rollenverständnis aus, sondern auch die Sehnsucht nach dem Mann, der sich die Frau nimmt, wodurch dann zusätzlich zum wirtschaftlichen ein sexuelles Abhängigkeitsverhältnis entsteht. Nobelpreisträger Milan Kundera, der ebenfalls zwei starke Frauenfiguren in den Mittelpunkt seines genialen Zeitporträts „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“ (1984) stellte, drückt das aus in dem großartigen Satz von der Schwere, nach der sich der weibliche Körper sehnt, weswegen die Leichtigkeit so schwer zu ertragen ist.

Wegweisend für das Bild der starken Frau im 21. Jahrhundert war auch Angelina Jolie in der Rolle der ebenso vollbusigen wie voll ihrer Stärken bewußten Schatzjägerin Lara Croft in den beiden „Tomb Raider“-Filmen (2001/2003). Vielleicht war schon das eine Zeitenwende. Legion sind die Filme, die seither auf starke Frauen setzen, ob im Western, in der Komödie oder im Action- und Superheldenfilm. Angelina Jolie selbst lieferte später als furchtlose Agentin in „Salt“ (2010) noch einmal eine Variante ihrer Lara Croft nach. Zuletzt wurde sogar über einen weiblichen James Bond als Nachfolger für den emeritierten Daniel Craig spekuliert.

Ein wahr gewordener Frauentraum von Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung ist natürlich auch Taylor Swift mitsamt all den Projektionen junger Mädchen von sexueller Attraktivität, Talent Brillanz und Resilienz, die die Popsängerin als unsichtbare Aura mit sich herumträgt und die einen Großteil ihrer Faszination ausmachen. Klar, daß zu dieser äußerst medienwirksamen Inszenierung auch eine anti-patriarchale und damit aktuell auch Anti-Trump-Grundhaltung gehört, die linke deutsche Medien dankbar aufgreifen: Um die Auftritte der Sängerin in Hamburg und München diesen Sommer machten sie ein Riesenbohei wie einst um den pädophilen und gleichwohl bei Deutschlands Musiksendern bis heute nicht in Ungnade gefallenen Michael Jackson. Swift ist gewissermaßen die real gewordene Lisbeth Salander, deren EDV-Sonderbegabung sich in Stimme und deren raubkatzenhafte Gewandtheit sich in Bühnenpräsenz verwandelt hat.

Die sich hinter dem nicht enden wollenden Antipatriarchats-Geschwätz und -Geätz verbergende abergläubische Überzeugung, eine von Frauen regierte Welt würde Frieden und Gerechtigkeit bringen, weil Frauen die besseren Politiker sind und Frauen an der Macht ergo das aufgelöste Rätsel einer bislang allzu kriegerischen Menschheitsgeschichte, ist natürlich genau so ein Quatsch mit grüner Soße wie die versponnene Geheimlehre, der sie entstammt. „Der spirituelle Gehalt der ökologischen Weltanschauung findet seinen idealen Ausdruck in der von der Frauenbewegung befürworteten feministischen Spiritualität – was angesichts der naturgegebenen Verwandtschaft zwischen Feminismus und Ökologie, die in der uralten Gleichsetzung von Frau und Natur wurzelt, zu erwarten ist“, schwurbelte New-Age-Guru Fritjof Capra, einer der grünen Säulenheiligen der Achtziger, in seiner pseudowissenschaftlichen Esoterikfibel „Wendezeit“ (1981), auf die sich noch 1993 Grünen- und SPD-Politiker in Bundestagsreden bezogen. Gruselige Folge und beredter Ausdruck dieses spirituell abgehobenen Frauenbilds war eine Karikatur im Wahlprogramm der Grünen von 1987, die sich ästhetisch bei der antisemitischen NS-Ikonographie bediente: Ein kriechender Fettwanst (der Patriarch) möchte dem weiblichen „Heimchen“ eine Kugel ans Bein ketten. Auf der steht: „Heim & Herd“. Das Bild drückt den ganzen Haß und die ganze Verachtung der Ökosozialisten für die bürgerliche Familie aus. Beides hat sich unter Merkel leider auch in weite Kreise der CDU geschlichen.

Klarer als Capras verschrobene Hagiographensprache sind die unvergessenen literarischen Zeugnisse, die Frauen von Anfang an als das zeigen, was sie sind: Menschen mit all ihren Fehlern. Zu Homers Circe, Racines Athalie und Shakespeares Lady Macbeth gesellen sich eine gnadenlose Königin Elisabeth I., die in Schillers „Maria Stuart“ (1800) ihre Rivalin enthaupten läßt, die gruselig narzißtische Mildred in Somerset Maughams Autofiktion „Der Menschen Hörigkeit“ (1915) und mit der abgrundtief bösen Hure Cathy Ames in John Steinbecks „Jenseits von Eden“ (1952) eine der widerlichsten Frauengestalten der Literaturgeschichte überhaupt. Diese Monumente, die Realismus und Naturalismus des 19. Jahrhunderts – Émile Zolas „Nana“ (1880) sei stellvertretend genannt – um etliche weitere ergänzen, räumen grundlegend auf mit dem Mythos von der Frau, die mit Macht moralischer umgeht als Männer. Im Grunde reicht aber auch ein Blick in die aktuelle Besetzung von Innen-, Außen-, Kultus- und Familienministerium, um zu wissen: Weltverbesserung durch Feminismus, das heißt den Teufel mit dem Beelzebub austreiben.

Foto: Die Zauberin Circe, Gemälde von Corrado Giaquinto (1703–1766): Laut Homer verwandelte sie Odysseus’ Männer in Schweine, Angelina Jolie in ihrer Rolle als Schatzjägerin „Lara Croft“ (2001/2003): Starke Frau