Ungarns Premier Viktor Orbán besuchte im März die Vereinigten Staaten und hielt dort eine Rede vor der Heritage Foundation, einem konservativen Think Tank, der für viele der von Donald Trump befürworteten politischen Ideen verantwortlich ist. Die Heritage Foundation hatte parallel dazu einen 87 Seiten umfassenden Plan für Trumps zweite Amtszeit mit dem Titel „Mandate for Leadership“ veröffentlicht, der ein Kapitel über jede Bundesbürokratie enthält und eine Umstrukturierung auf allen Ebenen beschreibt, bei der Trump-Loyalisten die Leitung übernehmen und Staatsbedienstete, die als nicht im Einklang mit seiner Agenda stehend gelten, entlassen werden sollen.
Nach seiner Rede bei der Foundation erklärte Orbán gegenüber dem ungarischen Nachrichtensender m1, daß man Ungarn dort als einen besonderen Ort ansehe. Man vertrete dort die Ansicht, daß Europa ein großer liberaler Ozean sei, und darin befinde sich eine Insel namens Ungarn, die versuche, anders zu leben, zu denken und sich anders zu verhalten; um es mit Orbáns Worten zu sagen: „konservative Politik zu betreiben“.Ungarn genieße heute in den Vereinigten Staaten hohes Ansehen, weil es Dinge getan habe, die auch sie gern tun würden; nur daß diese dort einfach nicht funktionieren, bemerkte Orbán. Er betonte zudem, daß er vom ehemaligen US-Präsidenten Trump eingeladen worden sei, da die Beziehungen zwischen den USA und Ungarn im politischen Bereich derzeit kategorisch schlecht seien. Trotz der Tatsache, daß „wir Verbündete“ seien –, eines der Ziele des Besuchs sei die Wiederherstellung der Beziehungen gewesen, bemerkte er.
Eine mitreißende Verteidigung von Viktor Orbáns Amtsführung
Dies sei mit der amtierenden US-Regierung nicht möglich, erklärte er und sagte, daß der Grund dafür in der Tatsache zu suchen sei, daß es derzeit eine kriegsfreundliche Regierung in Washington gebe – die Demokraten seien an der Macht – und sie dem Krieg verpflichtet seien. „Gleichzeitig sind wir eine friedensfreundliche Regierung, was bedeutet, daß wir unterschiedliche Ziele verfolgen“, fügte er hinzu.
Im Gegensatz dazu sei Trump ein Präsident des Friedens, betonte Orbán und bemerkte, daß man bei ihm „bekomme, was man sehe“, da er bereits zuvor Präsident gewesen sei und man daher genau wisse, was zu erwarten sei. In seinen ersten vier Jahren als Präsident habe Trump Kriege beendet, und er sei seit langer Zeit der erste Präsident gewesen, in dessen Amtszeit kein neuer Krieg begonnen worden sei.
Nur die Republikaner, so Orbán weiter, verstünden, daß die Beziehungen zwischen den USA und Ungarn derzeit eine schwere Zeit durchmachen, weil die US-Regierung von Ungarn Dinge erwartet, die „wir nicht wollen und nicht liefern können“, betonte er. Hier erwähnte er unter anderem, daß sich Ungarn den Kriegsanstrengungen anschließen solle, sagen solle, daß Migration eine gute Sache sei, die nur gut gemanagt werden müsse, und daß Ungarn die LGBTQ-Rechte „und das gesamte System der verwirrenden und vielfältigen Formen des Zusammenlebens“ unterstützen solle.
Die amtierende US-Regierung sei zu dem Schluß gekommen, daß sie „nicht in der Lage ist, eine Einigung mit der ungarischen Regierung zu erzielen“, und daher gebe es nur eine Lösung, nämlich sie zu ersetzen, erklärte der Premierminister. Deshalb finanziere die amtierende US-Regierung offen die linke Opposition, linke Journalisten, Medien und zivilgesellschaftliche Organisationen. Dies trübe offensichtlich die Beziehungen, „wir sind Verbündete, keine Diener“, erklärte er. Trump lobte Orbán als klugen und starken Anführer.
In ihrem Buch „Last Warning to the West“ (Letzte Warnung an den Westen) greift Shea L. Bradley-Farrell, Präsidentin einer konservativen Denkfabrik, des Counterpoint Institute, Orbáns Gegner an. Sie weist darauf hin, daß in Ungarn freie und faire Wahlen stattfinden und daß Referenden abgehalten werden, die bei den ungarischen Wählern breite Unterstützung finden. Sie gibt zu (und unterstützt die Tatsache), daß Ungarn seine Südgrenze für Einwanderer geschlossen und die von der EU vorgeschriebenen Flüchtlingsquoten abgelehnt hat, behauptet aber, daß Ungarn Flüchtlingen innerhalb Ungarns mehr inländische Hilfe zukommen lasse als andere EU-Mitglieder.
Der Titel „Letzte Warnung an den Westen“ ist irreführend. Es ist vermutlich nicht die letzte, aber es ist auch keine Warnung. Zwei Drittel des Buches sind eine Standard-Geschichtsstunde, die hauptsächlich auf Sekundärquellen basiert und mit der Konsolidierung der magyarischen Konföderation im späten neunten Jahrhundert beginnt und sich durch die mongolische Periode, die osmanische und habsburgische Herrschaft, die Revolution von 1848 und den Kompromiß von 1867, der die Doppelmonarchie begründete, zieht. Die Autorin verschwendet viel Tinte auf die Ungerechtigkeit des Vertrags von Trianon, der 1920 zwischen den Alliierten und Ungarn unterzeichnet wurde und durch den die Größe Ungarns erheblich reduziert wurde und viele Ungarn hinter den neu geschaffenen Grenzen Rumäniens, der Tschechoslowakei und Sloweniens zurückblieben. Sie ergänzt die Geschichtslektionen mit den Schrecken der nationalsozialistischen und dann der sowjetischen Besatzung. Kurz gesagt ist sie eine Amerikanerin mit einem Doktortitel der Tulane University, die schreibt, daß sie für ihr Forschungsprojekt drei Monate in Ungarn verbracht habe. Doch die Bibliographie enthält keine einzige Quelle auf ungarisch.
Im letzten Drittel des Buches liefert sie eine mitreißende Verteidigung von Orbáns Amtszeit als ungarischer Ministerpräsident seit 2010 und eine Lobeshymne auf seine Partei Fidesz. Anstatt eine Warnung zu sein, stellt das Buch das heutige Ungarn als Vorbild dar, dem der Westen nacheifern sollte. Sie beschreibt die breite Palette an Sozialleistungen, die ungarische Bürger genießen, um Familien zu stärken. Sie behauptet, daß die Abtreibungsbeschränkungen in Ungarn die Geburtenrate erhöht haben. Und es stimmt auch, daß die Geburtenrate in Ungarn von 1,2 Geburten pro Frau auf 1,6 im Jahr 2020 gestiegen ist.
Das Buch gerät etwas aus den Fugen, indem es den linken Wokeismus in Amerika als ideologisches Äquivalent zum Stalinismus und zur Sowjetherrschaft im allgemeinen definiert. Bradley-Farrelll versucht zwar, einen überzeugenden strukturellen Vergleich zwischen der sowjetischen Indoktrination seiner Bürger und dem Versuch der amerikanischen Linken anzustellen, die amerikanische Kultur in Richtung der Themen zu biegen, wie Transgenderismus, Abtreibung, DEI (Diversity, Equity, Inclusion – Vielfalt, Gerechtigkei, Inklusion), soziale Gerechtigkeit und viele andere Ziele. Sie bezeichnet das außenpolitische Establishment Bidens als „George Soros State Department“ und Europas „Open Border Policy“ als ein Produkt von Soros’ Open Society Foundation. Die Autorin schreibt, daß die Bürokraten, die für Covid-Politik zuständig waren und sind, „Angst, soziale Ausgrenzung und Isolation“ verbreiten, vergleichbar mit sowjetischen Beamten, die Angst und Furcht nutzten, um die Bürger zu kontrollieren. Dasselbe gilt für die Klimaschutzpolitik, die Beispiele für die „zentrale Wirtschaftsplanung“ im Kommunismus seien.
Kann die „kleine Insel“ Ungarn Modell für andere Staaten sein?
Bradley-Farrell behauptet, daß die winzige akademische Frankfurter Schule die oberen Ränge von Roosevelts Außenministerium und der OSS (dem Vorläufer der CIA) mit sowjetischer Ideologie infiltriert habe. Tatsächlich bestand die Frankfurter Schule aus einer kleinen Anzahl nichtkommunistischer, westlicher revisionistischer Marxisten, die aus NS-Deutschland flohen und 1935 in New York City landeten. Sie hatten nur wenig Einfluß über einen kleinen Kreis von Intellektuellen hinaus, bis sie in den 1960er Jahren von den Studenten auf dem Campus wiederentdeckt wurden. Als Folge ihrer Lehren soll Roosevelt angeblich ein Auge zugedrückt habe.
Auf ähnlich Weise verteidigt die Autorin Orbáns Weigerung, Waffen zur Unterstützung der Ukraine zu schicken, und besteht darauf, daß nur Verhandlungen mit Putin den Krieg beenden könnten. Um ihre Liste abzurunden, behauptet sie, daß Eurokraten den Bolschewisten ähneln, indem sie Pädophilie und „Kindesverstümmelung“ „normalisieren“.
Bradley-Farrell scheint sich nicht bewußt zu sein, daß es in den Vereinigten Staaten seit mindestens zwei Jahren in konservativen Bundesstaaten wie Florida unter Gouverneur Ron DeSantis, gefolgt von Texas, Tennessee und zunehmend anderen konservativen Bundesstaaten im Süden und Mittleren Westen, eine Gegenreaktion gegen Woke gibt. Die Sowjetunion war ein monolithischer, lethargischer, engstirniger und unterdrückerischer Staat, der sich in seinen letzten Atemzügen befand.
Die Vereinigten Staaten sind dagegen eine dynamische, umstrittene, laute Demokratie, mit all ihren Fehlern. Die derzeitige politische Polarisierung dort ist eigentlich ein Zeichen von Stärke, da keine vorherrschende Ideologie sehr lange regieren kann, ohne in Frage gestellt zu werden. Den sowjetischen Kommunismus mit Bidens Amerika gleichzusetzen, ist eine oberflächliche und offensichtliche Werbung, um ihre Referenzen aufzupolieren, in der Hoffnung, eine offizielle Position in einer möglichen zweiten Trump-Regierung zu erlangen.
Ungarn ist ein kleines Binnenland, etwa so groß wie Indiana, das von sieben Nachbarn umgeben ist. Wie die Geschichtsschreibung von Bradley-Ferrell deutlich macht, hat Ungarn in den vergangenen 1.000 Jahren seit der mongolischen Herrschaft unter wiederholten Invasionen und Unterwerfungen gelitten. Orbán hat seinen Staat zu einer „Insel des Konservatismus“ in einem großen liberalen Meer erklärt. Die Frage ist, ob diese kleine Insel ein Modell für andere europäische Staaten oder die Vereinigten Staaten von Amerika sein kann. Das scheint unwahrscheinlich. Orbáns zentralistisches Modell würde in großen föderalen Staaten wie Frankreich, Deutschland oder den Vereinigten Staaten nicht funktionieren. Das Trauma der sowjetischen Besatzung, das Orbáns Politik seit seiner Studienzeit befeuert hat, ist einzigartig für Osteuropa und nicht Teil des kollektiven Gedächtnisses der meisten anderen westlichen Nationen.
Premierminister Viktor Orbán hat öffentlich erklärt, zuletzt in seiner Rede vor der Heritage Foundation, daß das Ziel seiner Partei darin bestehe, eine „illiberale Demokratie“ aufrechtzuerhalten. Heißt daß etwa, die Hebel des Staates zu nutzen, um die Politik von Fidesz gegenüber seinen Gegnern zu begünstigen, und die Medien, die Justiz, die staatliche Bürokratie und andere Mittel einzusetzen, um die Opposition zu schwächen? Es werden weiterhin Mehrparteienwahlen abgehalten, politische Gegner werden nicht inhaftiert, es gibt theoretisch eine freie Presse und Justiz.
Das Problem bei dieser Strategie ist, daß zwei dieses Spiel spielen können. Wenn die Oppositionspartei „United for Hungary“ an die Macht zurückkehren würde, wäre sie zweifellos versucht, die gleiche Taktik gegen die jetzt an der Macht befindliche Fidesz anzuwenden. Letztendlich würde dies zu einer Schwächung des Staates führen, da „illiberale“ Kräfte die „Demokratie“ in die Bedeutungslosigkeit schrumpfen lassen. Konservative sollten Institutionen bewahren und schützen, nicht sie niederreißen.
Bei allen Fehlern enthält „Last Warning to the West“ einige wertvolle Lektionen. So ist das Plädoyer der Autorin für den Widerstand gegen das Diktat der Überregulierung durch die Regierung nicht unbegründet. Fünfzig US-Bundesstaaten unterliegen willkürlichen Anweisungen aus Washington, und dasselbe gilt für die Brüsseler Bürokraten, die den Willen der Bürger in den 27 von ihnen kontrollierten Mitgliedstaaten routinemäßig ignorieren, unter anderem durch die Androhung von Geldstrafen bei Mißachtung ihrer Vorschriften. In den vergangenen drei Jahren wurden 30 Milliarden Euro an EU-Mitteln aufgrund angeblicher schwerwiegender Defizite in der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn eingefroren, und die EU erwägte sogar, Ungarn die Übernahme der alle sechs Monate rotierenden EU-Ratspräsidentschaft zu verweigern. Entsprechend boykottierten die meißten Minister ein EU-Finanzministertreffen Mitte September in Budapest und ließen sich vertreten.
Der Widerstand in Ungarn gegen die Auslöschung der Kultur eines ganzen Staates ist eine Inspiration für Bürger in anderen Ländern, die das Bedürfnis verspüren, sich gegen die wachsende Tyrannei der im Westen allgegenwärtigen globalen liberalen Eliten zu wehren.
Shea Bradley-Farrell: Last Warning to the West, Jogállam és Igazság Nonprofit Kft., Budapest 2023, broschiert, 358 Seiten, 18,70 Euro
Professor Elliot Neaman lehrt Geschichte an der Universität von San Francisco