© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/24 / 11. Oktober 2024

Deutschland rüstet sich für den dritten Kriegswinter
Flüssigerdgasimport: Steigende Preise erwartet / In Stade und Wilhelmshaven sollen schwimmende LNG-Importterminals in Betrieb gehen
Marc Schmidt

Vor Beginn des dritten Kriegswinters hat Deutschland seine Erdgasversorgung von den bis 2022 dominierenden russischen Importen entkoppelt. Zu Herbstbeginn war ein Füllstand der Gasspeicher von 96 Prozent erreicht. Gleichzeitig sinkt der industrielle Gasverbrauch, was nur zu einem geringen Teil der Umstellung von Prozessen, sondern der deutschen Rezession geschuldet ist. Die rückläufige Produktion und die Vernichtung industrieller Kapazitäten senken den Bedarf, genauso wie der starke Auftragsrückgang.

Eine gegenläufige Entwicklung ergibt sich aus dem prognostizierten kalten Winter mit größeren Schneemengen. Dieser Aspekt steigert den Verbrauch der privaten Haushalte, des Handels und der Büro- und Dienstleistungsimmobilien. Zugleich ist in diesem Winter ein weiterer Anstieg der Dunkelflauten und anderer Produktionsausfälle bei Ökostrom zu erwarten. Obwohl sich ein Scheitern von Robert Habecks Neubaustrategie für Gaskraftwerke abzeichnet, wird diese Entwicklung dennoch auf einen Anstieg der Verwendung von Gas zur Stromerzeugung hinauslaufen. Die Wetterlage behindert Stromimporte, da die Nachbarländer wohl selbst einen erhöhten Bedarf haben. Die weiter genutzten Kapazitäten an Kohlekraftwerken dürften im Extremfall nicht ausreichen oder nicht schnell genug angepaßt werden können.

Gaslieferungen über Turkstream via Schwarzes Meer und Türkei

Die Verfügbarkeit von Flüssigerdgas (LNG) auf dem Weltmarkt ist in diesem Winter besonders schwierig abzuschätzen. Generell wird jede neue US-Regierung die Exportgenehmigungen für LNG weiter beschränken. Bereits jetzt liefern die Amerikaner deutlicher weniger LNG nach Europa als Rußland – trotz westlichem Embargo. Zwei weitere Faktoren verstärken die Tendenz zu einem steigenden Gaspreisniveau: Zum einen zeichnet sich eine weitere Ausweitung des Konflikts im Nahen Osten ab. Es ist fraglich, ob Förderung und Transport von Öl und Gas in den kommenden Monaten in dieser Region wie gewohnt weiterlaufen. Des weiteren endet zum Jahreswechsel der Transitvertrag für russische Gasexporte durch die Pipelines in der Ukraine. Ungeachtet des Krieges nutzt Rußland das Leitungsnetz in vermindertem Umfang weiter und zahlt Transitgebühren in Höhe von etwa 700 Millionen Dollar an die Ukraine. Obwohl Rußland Bereitschaft zur Vertragsverlängerung signalisiert hat, zeichnet sich ein Auslaufen des Vertrags ab.

Gaslieferungen über die Jamal-Pipeline über Weißrußland und Polen oder Turkstream durchs Schwarze Meer und die Türkei wären teurer – und auch riskanter. Ein völliges Ausbleiben russischer Lieferungen würde den Gaspreis für alle Länder deutlich erhöhen. Rußland versucht angesichts der Unsicherheiten LNG aus einer neuen Anlage nahe dem Polarkreis im asiatischen Markt zu verkaufen. Allerdings sanktionieren die Amerikaner alle Abnehmer wie die am Transport beteiligten Firmen, weshalb Rußland analog zu seinen Ölexporten versucht, eine „Schattenflotte“ von schwierig nachzuverfolgenden alten Schiffen zu mobilisieren.

Für diesen Winter sind LNG-Nachlieferungen über neue schwimmende Terminals in Stade und Wilhelmshaven vorgesehen. Deren Inbetriebnahme soll bald erfolgen. Zugleich wird – trotz der Kritik von Umwelt-NGOs – weiter an leistungsstärkeren landseitigen LNG-Terminals wie dem Hanseatic Energy Hub (HEH) gebaut. Das sind milliardenschwere Investitionen. Deren Anschluß und die Nutzung sind wirtschaftlich nur sinnvoll, wenn sie über das propagierte Enddatum für Erdgas („Dekarbonisierung“) hinaus in Betrieb sind. Denn an den Import von Bio- und synthetischem LNG (SNG) oder „CO₂-neutralem“ Ammoniak für die grüne „Wasserstoffwirtschaft“ glaubt nur das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.


 www.wilhelmshaven-lng.de/de/ueber-uns

 www.hanseatic-energy-hub.de/news