Wenn dein Blut einmal im Wasser ist, werden alle zu Haien, besagt ein Sprichwort, und wer nach heute nach vergossenem Blut sucht, findet es im Nahen Osten. Ein Jahr nach dem Angriff der Hamas auf Israel und eine Woche nach der Ausweitung des Konflikts auf den Süden des Libanon steht die gesamte Region vor einem Scherbenhaufen. Die menschlichen Kosten der Eskalation gehen längst in die Tausende, im Libanon allein dürften Hunderttausende auf der Flucht sein. Doch der Fokus auf das Dreieck Iran, Libanon und Israel verbirgt, daß sich in der Levante, in Nordafrika und im Zweistromland seit einigen Jahren mehrere Seiten verbissene Stellvertreterkriege mit munter wechselnden Bündnissen liefern.
Im Sudan etwa, dort steht eine vom Iran und Rußland unterstützte Zentralregierung gegen die RSF-Miliz, die unter anderem von den Vereinigten Arabischen Emiraten – und damit vermutlich auch Saudi-Arabien – mit Drohnen und weiteren Waffensystemen beliefert wird. Oder in Syrien, dessen Bürgerkrieg zuletzt deutlich an Intensität verloren hatte, der nun aber durch die Schwäche der Hisbollah wieder an Fahrt aufnimmt.
Von der Türkei protegierte Rebellengruppen aus dem Norden wittern die ungünstige Lage der syrischen Zentralregierung unter Präsident Assad. Der hatte zuletzt dank der kampfkräftigen schiitischen Miliz aus dem Nachbarland weite Teile seines Staates wieder unter Kontrolle bringen können und sieht sich nun mit der schmerzhaften Erkenntnis konfrontiert, daß er ohne ausländische Verbündete unverändert in der Defensive stecken würde. Eine begrenzte Offensive der türkeitreuen Rebellen zu Beginn dieser Woche veränderte den Frontverlauf im Norden des Landes drastisch. Ein eigenmächtiges Vorgehen der Rebellen ohne Rückhalt aus Ankara dürfte ausgeschlossen sein. Auch Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat offenbar das Blut im Wasser gerochen.
Während die Türkei als Profiteur der Eskalation gelten kann, geht es für die Regierung in Teheran um die Existenz. Die sogenannte „Achse des Widerstands“, wie iranische Strategen das weit gespannte Netz verschiedener mit dem Iran verbündeter Milizen in der arabischen Welt nennen, steht vor einer Zerreißprobe. Die anhaltende Wirtschaftskrise im Land macht die Versorgung der Partner mit Geld und Waffen zu einer kostspieligen Angelegenheit. Israels Angriff auf die Hisbollah dürfte hier Werte in Milliardenhöhe vernichtet haben, und spätestens seit der Ermordung des Hamas-Anführers in Teheran durch ein Mossad-Kommando ist das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten erschüttert.
Dabei ist die Islamische Republik auf die „Achse“ dringend angewiesen. In der iranischen Strategie ersetzen die Schattenkrieger aus den Nachbarländern die Abwesenheit eigener Massenvernichtungswaffen. Die Kombination aus Hamas, Hisbollah, Huthis und anderen Milizen war, so der bisherige Stand der Dinge, das iranische Äquivalent zur israelischen Atombombe. Nun muß das iranische Oberkommando hilflos dessen schrittweisem Zerfall mit ansehen. Erschwerend hinzu kommen dürfte für die Iraner auch die bewußt im unklaren gelassene Position der US-Administration.
Plötzlich übt auch Donald Trump sanfte Kritik an Israel
Bisher verbat sich Präsident Joe Biden eine weitere Eskalation der Spannungen mit Teheran, unterstützte lediglich beim Abfangen iranischer Flugkörper. Doch in Jerusalem drängt Netanjahu nun auf eine größere Offensive. Sein Kalkül: Fakten schaffen, die bis zur Amtsübergabe an Trump oder Harris nicht mehr zu revidieren sind.
Im Moment steht Israel dabei tatsächlich stärker da als seit dem schmählichen Ende des letzten Kriegs im Libanon. Doch wie gut sich die Offensive
im Libanon entwickelt, ist noch nicht abzusehen. Anders als beim relativ gefahrlosen Krieg aus der Luft haben es die israelischen Bodentruppen unverändert mit einem gut ausgebildeten und einsatzerfahrenen Gegner zu tun, der sich überdies seit Jahren auf genau diese Offensive vorbereitet hat. Videos und Bilder die in sozialen Medien zirkulieren, zeigen die blutige Realität im Süden des Libanon: ausgebrannte israelische Fahrzeuge, Tote und verletzte Soldaten.
Die Hochstimmung im eigenen Land angesichts der erfolgreichen Operationen von Geheimdienst und Luftwaffe dürfte bei ausbleibenden Erfolgen schnell wieder verfliegen, denn auch in Gaza läuft nicht alles glatt. Unverändert befinden sich viele Geiseln in der Hand der Hamas. Die hohen zivilen Opfer des Krieges beschädigen nachhaltig das israelische Ansehen in der Welt. Eine Sichtweise die offenbar auch Donald Trump teilt. Israel sei dabei, „den PR Krieg“ zu verlieren, tat der sonst stets betont israelfreundliche Republikaner kund. Eine Aussage, die durchaus auch als sanfte Kritik an Benjamin Netanjahu verstanden werden konnte.
Foto: Beerdigung des israelischen Stabsunteroffiziers Noam Israel Abdu, der von der Hamas im Gaza-streifen getötet wurde: Das andere Bild der israelischen Offensive in Gaza und Libanon